Es kanonendonnert in der Elbphilharmonie

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Elena Bashkirova, Marzena Diakun  Elbphilharmonie, Hamburg, 27. März 2022

Elbphilharmonie, Hamburg, 27. März 2022

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Elena Bashkirova
 Klavier
Dirigentin Marzena Diakun

Foto: Elbphilharmonie, © Maxim Schulz

von Harald Nicolas Stazol

Wenn schon eine Dosis Bohuslav Martinů ausreicht um ein Junkie zu sein, handelt sich es nicht um einen hochdestillierten Vodka von der Tafel Putins, sondern um eine Bildungslücke: Gehört der mit einem Staatsbegräbnis in seiner tschechischen Heimat Geehrte doch zu den absoluten Neoklassikern überhaupt, er, der vom Prager Konservatorium 1910 „wegen Desinteresses am Unterricht“ flog, – nun, kann man sagen: Der Name schreckt ab, in die Musik fällt man in Liebe…

Was für eine beschwingend-betörende Matinee, die mit einem nebelumwundenen Glasturm beginnt und in einem Sonnenbad enden wird, kathartisch nach dem Konzert:

Denn da kanonendonnert das Philharmonische Staatsorchester Hamburg ganz zu Beginn „UKRAINA – den Opfern des Krieges“, einem in offenbar kürzester Zeit nach dem Angriffskrieg der „Schlächters“ (Joe Biden soeben) komponierten Erstaunenswerk, das tiefen Eindruck zu hinterlassen imstande ist.

Denn da hört man schon eingangs das Donnern der Artillerie, entgegengesetzt eine ukrainische Volksweise, dann MG-Beschuss, gewaltsam aufgedrängt die russische Hymne – nun ganz programmatisch. Die „Ode an die Freude“ blitzt ebenso auf wie die „Marseillaise“: Nun ist der Bezug zu Tschaikovskys patriotischem Helden-Poem „1812“ unverkennbar, mündet dies alles doch in eine majestätisch wie nie gehörte Nationalhymne des Landes des blauen Himmels und der Weizenfelder, wie man sie nicht einmal in der Royal Albert Hall hören konnte.

Eduard Resatsch, Jahrgang 1972, ein Ukrainer, hat sie in aller Eile niedergeschrieben, und dort erhebt er sich Parkett links, dritte Reihe, zu tosenden Ovationen des ja von dieser Uraufführung des Unerwarteten völlig überraschten, zahlreich betörten Publikums. Eine Melange etwa zwischen „War Requiem“ und der „1812“ samt Kanone, horribile dictu.

„Un dentiste, deux dentistes“ – man rufe einen Zahnarzt, am besten zwei – so ruft einst das Pariser Publikum an diesem 22. Dezember 1894 zur Uraufführung der „Ballets Russes“-Choreographie des Vaslav Nijinsky ob dessen spannungsreichen Zitterns. Dass der wahrscheinlich größte Tänzer des 20. Jahrhunderts dort nun wirklich, wie soll man es sagen, zum Höhepunkt gekommen sein soll, entnehme ich den Memoiren der Romola de Pulszky-Nijinsky, seiner Frau.

Nun, soweit kommt es nun nicht, selbst unter dem Dirigat der immer elegant-weitausholendend Marzena Diakun, schon jetzt so berühmt, dass man ihr bald ein Portrait widmen sollte – und das Ganze auf Stöckelschuhen!

Wer noch? An den Pedalen in Pumps? Die Pianistin Elena Bashkirova, eben eine RUSSIN!!! Ihr Ausdruck in Spiel wie im Antlitz bei Manuel de Fallas „Nächte in Spanischen Gärten“ sind unübertroffen.

Das Orchester in fast bestürzender Sicherheit. Prominente verdiente Hochachtung den Harfen Clara Bellegarde und Louisic Dulbecco, die zauberhafterweise in allen vier Suiten fundamental aufscheinen und auch unseren Flöten, in Sonderheit Walter Keller, gelten Lob und Preis!

Und dann sieht man sich draußen im vollen Sonnenschein sich das 1. Violinkonzert von Martinů einspielen, ja, süchtig nach Martinů – da „UKRAINIA“ des Resatsch kann man auf YouTube noch nicht finden – dazu ist es, aus tragischstem Anlass, zu neu.

Harald Nicolas Stazol, 27. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Eduard Resatsch
Ukraina – den Opfern des Krieges

Claude Debussy
Prélude à l’après-midi d’un faune

Manuel de Falla
Noches en los jardines de España / Sinfonische Impressionen für Klavier und Orchester

Bohuslav Martinů
Sinfonie Nr. 3 H 299

Französische Kathedralmusiken, Benefizkonzert für die Nationale Musikakademie in Kyjiw, Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg, Hansjörg Albrecht Hauptkirche St. Trinitatis, Altona, 25. März 2022

Junge Deutsche Philharmonie/Nicolas Altstaedt Violoncello, Elbphilharmonie, 22. März 2022

Elbphilharmonie Hamburg, Die Jacken der Spacken klassik-begeistert.de, 16. Januar 2022

 

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