„Jewgeni Onegin“: Barrie Kosky stellt die Liebe ins Zentrum

Pjotr Tschaikowski, Jewgeni Onegin
Komische Oper Berlin, 21. April 2018

Jordan de Souza, Dirigent
Barrie Kosky, Inszenierung
Rebecca Ringst, Bühne
Klaus Bruns, Kostüme
Günter Papendell, Jewgeni Onegin
Nadja Mchantaf, Tatjana
Aleš Briscein, Lenski
Maria Fiselier, Olga

von Yehya Alazem

Der in Melbourne geborene Regisseur Barrie Kosky, der im Sommer 2017 das Publikum und die ganze Opernwelt mit seiner Inszenierung von Richard Wagners „Die Meistersänger von Nürnberg“ in Bayreuth im Sturm genommen hat, hat ein ausgezeichnetes Fingerspitzengefühl für Bühnenkunst. Der Australier, der die Komische Oper Berlin seit der Spielzeit 2012/2013 als Intendant und Chefregisseur leitet, hat in den letzten Jahren für eine Reihe erfolgreicher Inszenierungen im Haus gesorgt.

Pjotr Tschaikowskis „Jewgeni Onegin“ ist eine Oper, in der eigentlich nicht viel passiert. Man könnte das Werk aus vielen Perspektiven sehen, jeder der Charaktere stellt einen Teil der menschlichen Gefühle dar, was dieses Werk so großartig macht.

Aber geht es eigentlich in „Jewgeni Onegin“ um Liebe? Zwischen Lenski und Olga kann man davon viel erleben – aber zwischen Tatjana und Onegin? Es gibt ja in der ganzen Oper nur eine Szene, in der die beiden Hauptcharaktere ein echtes gefühlsgeladenes Duett singen, und das ist in der Schlussszene, nach der niemand glücklich ist. In seiner Inszenierung von „Jewgeni Onegin“ stellt Barrie Kosky durch eine spannungsvolle Personenregie und ein romantisches Bühnenbild die Liebe ins Zentrum. Die Inszenierung ist zeitlos. Alles spielt im Wald, und wir spüren sonnige Tage, kalte Nächte und am Ende einen Regenabend. Die wechselnden Lichtstimmungen spielen eine große Rolle und verstärken die Atmosphäre in jeder Situation.

Jordan de Souza, seit Anfang dieser Saison der erste Kapellmeister der Komischen Oper, bietet mit seinem Orchester ein dramatisches und kompaktes Spiel und kitzelt durch die Transparenz viele Details und Schönheiten aus der Partitur heraus. Die ganze Oper hindurch spürt man die enormen Emotionen und Spannungen, die Tschaikowski in diese Oper hineingelegt hat. Der Chor singt klangschön, mit Präzision und einer ausgezeichneten Harmonik.

In der Titelrolle brilliert der deutsche Bariton Günter Papendell als Onegin. Mit einer dramatischen Stimme, einem tiefen, soliden Klang bietet er eine phantastische Interpretation des Titelhelden. Er zeigt eine charmante, arrogante Bühnenpräsenz und fällt am Ende zu Boden, zerstört nach Tatjanas Ablehnung.

Nadja Mchantaf liefert eine Leistung der extremen Gefühle. Ihre Tatjana ist facettenreich – von der hoffnungsvollsten Frau auf der Erde bis zu der traurigsten, die die Bühne in voller Verzweiflung am Ende der Oper verlässt. Sie besitzt einen schönen, dunklen Sopran, der in der Mittellage sehr warm und angenehm klingt. In der Höhe singt sie auch schön und hat Kontrolle über die hohen Töne, ihr fehlt aber die Kraft, die sie sonst im tieferen Register hat.

Als Lenski fängt Aleš Briscein ein wenig zu angestrengt und atemlos an, besonders in der Höhe, steigert sich aber deutlich mit der Zeit und erreicht den Zenit seiner Leistung in Lenskis Arie „Kuda, Kuda“ vor dem Duell mit Onegin. Sein Tenor ist hell und konzentriert und hat eine schöne Strahlkraft.

Die junge niederländische Mezzosopranistin Maria Fiselier stellt eine energische, liebevolle Olga dar. Ihre Stimme ist hell und liegt ziemlich hoch für eine Mezzosopranistin, hat aber auch eine wunderschöne Tiefe. Mit ihrer Ausstrahlung und frischen Energie sorgt sie für erfreuliche Momente.

Szenische Schönheiten, wunderbare gesangliche Leistungen und herrliche Klänge aus dem Orchestergraben machen diesen Opernabend zu einem äußerst berührenden Erlebnis.

Yehya Alazem, 23. April 2018, für
klassik-begeistert.de

Foto: Komische Oper Berlin

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