Außergewöhnlich? Durchaus! Schräg? Unbedingt! Sehenswert? Auf jeden Fall! Lustig? Kein bisschen!

Platée, Ballet bouffon in einem Prolog und drei Akten von Jean- Philippe Rameau  Opernhaus Zürich, 14. Januar 2024

Fotos: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Platée
Ballet bouffon in einem Prolog und drei Akten
von Jean- Philippe Rameau ( 1683- 1764)

Libretto: Adrien- Joseph Le Valois d’Orville und Balot de Sovot
nach einem Stück von Jacques Autreau

Musikalische Leitung:  Emmanuelle Haïm
Inszenierung:  Jetske Mijnssen
Bühnenbild:  Ben Baur
Kostüme:  Hannah Clark
Lichtgestaltung:  Bernd Purkrabek
Choreografie:  Kinsun Chan
Choreinstudierung:  Janko Kastelic
Dramaturgie:  Kathrin Brummer

Platée:  Mathias Vidal
Jupiter:  Evan Hughes
Juno:   Katia Ledoux
Satyre/ Cithéron:  Renato Dolcini
Thespis:  Alasdair Kent
Mercure:  Nathan Haller
La Folie:  Mary Bevan
Momus:  Theo Hoffmann
Clarine/ Thalie:  Anna El-Khashem
Amour:  Tania Lorenzo

Erste Mänade:  Soyoung Lee
Zweite Mänade:  Katarzyna Rzymska

Orchestra La Scintilla
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

Opernhaus Zürich, 14. Januar 2024

von Kathrin Beyer

Das Opernhaus Zürich schrieb in der Mail, die ich vor dem Besuch der Vorstellung bekam, Folgendes:

„ … Dieses Musiktheaterwerk gehört zum Außergewöhnlichsten, was das Barockzeitalter hervor gebracht hat. Ein experimentelles Werk, zwischen Tragik und Komik, zwischen Oper und „Ballet bouffon“, die Genregrenzen auslotet“.

So weit, so spannend.

Die  Geschichte ist eine um Liebe, Eifersucht, Selbstüberschätzung, Spott und Intrigen, auf Kosten eines Einzelnen. Eher ein Stoff, aus dem Mobbinggeschichten geschrieben werden, denn Opern.

Platée ist eine unattraktive Sumpfnymphe, die davon überzeugt ist, dass alle, die in die Nähe ihres Teiches kommen und sie erblicken, in unsterblicher Liebe zu ihr entbrennen.

Auch sie verliebt sich quasi in jeden. Diese Tatsache nutzen die Götter für ihren perfiden Schabernack aus:

Jupiter, notorisch untreu, dennoch genervt von der permanent tobenden Eifersucht seiner Frau Juno, möchte diese und sich davon befreien. Und so wird Platée vorgegaukelt, der Gott des Donners habe sich in sie verliebt und möchte sie heiraten.

Platée wiederum ist hocherfreut und die beiden treffen im zweiten Akt aufeinander.

In einem länger dauernden Divertissement tritt überraschend La Folie ( der Wahnsinn) auf und warnt Platée vor dieser Verbindung, in dem sie die Geschichte von Apollo und Daphne erzählt. Platée selbst wird von den Tänzern und Sängern abwechselnd gelobt und verspottet.

Die Hochzeitszeremonie startet, Juno macht sich wutentbrannt auf den Weg zu dieser, kommt nicht ganz pünktlich, so dass Jupiter das Treueversprechen noch etwas herauszögern muss. Schließlich trifft Juno ein, sieht die Hässlichkeit Platées und erkennt, dass das alles eine inszenierte Täuschung war. Die Götter steigen in ihren Olymp zurück und Platée versinkt, fürchterlich gedemütigt, im Erdboden, genauer gesagt, im Teich.

Soviel zur ursprünglichen Version. Um die Hässlichkeit Platées herauszustreichen, wurde sie mit einem Mann (Haute-Contre) als Travestierolle besetzt. Ein Haute-Contre ist eine sehr hohe Tenorstimme, die nicht im Falsett singt.

Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Ein bisschen Pikanterie:  Die Uraufführung fand anlässlich der Vermählung von Louis, Dauphin von Frankreich und der Infantin Maria Theresia von Spanien statt. Zeitgenössischen Quellen zufolge sei sie keine Schönheit gewesen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

In dieser Zürcher Inszenierung muss Platée weder Frosch noch Kröte sein, er ist ein Mann. Auch den Sumpf durfte er hinter sich lassen, sein Zuhause ist der Untergrund eines etwas in die Jahre gekommenen Theaters. Dort arbeitet er als Souffleur und Mann für alles. Und natürlich verliebt er sich gern und reichlich. Eben noch in den Chorleiter Cithéron. Es wird mir immer ein Rätsel bleiben warum, denn Cithéron ist, mit seinen ungepflegten grauen, strähnigen Haaren, dem Norwegerpulli und den besockten Füßen in Birkenstocks alles andere als attraktiv. Die inneren Werte (wobei… er kümmert sich rührend um Junos Zwillinge Castor und Pollux) fehlen auch…egal, Platée wird sowiso abgewiesen, Cithéron ist hetero, das wissen wir nun.

Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Im Hause Jupiter/ Juno hängt der Haussegen schief. Die Dame des Hauses, gerade von den Zwillingen Castor und Pollux entbunden, zelebriert ihre (berechtigte) Eifersucht auf ihren amourös sehr umtriebigen Ehemann lautstark und mit Wumms. Schrill käme dem auch recht nah. In jedem Fall anstrengend für Jupiter und alle Theaterschaffenden um ihn herum. Damit es endlich Ruhe und Frieden gibt, wird ein bitterböser Plan ausgeheckt: Jupiter soll verlauten lassen, dass er sich vermählen möchte, mit Platée. Dieser sei so hässlich, dass keine Gefahr bestehe, Jupiter könnte sich tatsächlich zu ihm hingezogen fühlen. Zum Start der Hochzeit soll Juno hinzu kommen und sehen, wen sich Jupiter an Land gezogen hat, erkennen, dass das alles eine Farce ist und von ihrer Eifersucht geheilt sein. Gesagt, getan. Cithéron erzählt Platée, dass Jupiter ihn begehre. Da jener der Primaballerino des Ballettensembles ist, schmeißt Platée sich in ein Tutu und fühlt sich nun berufen, im Ballet mitzutanzen.

La Folie, der Wahnsinn, erscheint, ihres Zeichens Chefchoreografin des Ballettensembles und versucht, ihn zu warnen und gibt sich als gestrenge, sehr dominante Lehrerin.

Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Hilft alles nichts, Platée ist verliebt und landet nach vielen und langen Balletten, man muss ja die Wartezeit überbrücken, bis Juno erscheint, auf der überdimensionierten Hochzeitstorte.

Der Treuespruch wird von Junos Ankunft unterbrochen, die mit Kinderwagen fuchsteufelswild heranrauscht. Sie will wieder einmal einen riesigen Wirbel veranstalten, sieht Platée, begreift (warum auch immer) und bricht in Gelächter aus. Platée begreift etwas später und bricht in Tränen aus. Und dann setzt schadenfreudiges Gelächter ein und Platée scheint ins Bodenlose zu stürzen.

Was dann folgt, versöhnt mich ein bisschen. Es ist eine ganz kurze, stumme Schlussszene. Vorsicht, Spoiler! Jupiter sitzt allein, nicht sichtbar im Dunkeln. Als Platée sich ihm zufällig nähert, steht Jupiter sehr verloren auf und schaut sehr verloren Platée an. Was, wenn doch?

Ein Wunder wäre es nicht, denn…

… Mathias Vidal spielt seinen Platée mit einer rührenden Naivität. Es gibt nichts Böses in ihm. Sicher ist er manchmal anstrengend, nervig, aber immer liebenswert. Er ist reinen Herzens und wünscht sich nichts mehr als zu lieben und geliebt zu werden. Wer möchte das nicht? Selbst die Tanzproben, die linkisch aussehen, sind nicht albern. Er verliert nie seine menschliche Würde.

Seine schöne, klare, hohe, ausdrucksstarke Tenorstimme verstärkt diesen Eindruck. Es ist keine Wucht dahinter, sondern eine Sinnlichkeit, die so gut zu dieser Rolle passt.

Darstellerisch und gesanglich bleiben keine Wünsche offen. Chapeau!

Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Evan Hughes ging in seiner Rolle als singender Ballett-Star auf. Er machte sowohl als Sänger als auch als Schwanenkönig eine ausgezeichnete Figur.

Meine Bewunderung dafür, dass jemand so wunderbar singen und
tanzen kann!

Sein samtiger, voller Bass-Bariton und seine männlich muskulöse Erscheinung… da kann man schon mal schwach werden.

Katia Ledoux, als Juno, hat nur wenige Auftritte. Diese sind allerdings explosionsartig, so dass ich fast ein bisschen Verständnis für Jupiter aufbringe, wenn er in fremden Gewässern fischt. Sie ist eine Furie. Ihr Mezzosopran ist glasklar, scharf und laut, er dringt bis in die letzte Ecke des Hauses.

Renato Dolcini, der heterosexuelle Birkenstockträger ( welcher Homosexuelle würde so etwas auch tragen?) bestach mit seinem samtenen Bariton und seiner Fürsorge für die Babys. In diesen Sequenzen kam bei mir tatsächlich Heiterkeit auf.

Nathan Haller, Mercure, Drahtzieher der Intrige und hier Maskenbildner, fällt durch seinen strahlenden und ganz klaren Tenor auf.

Ein Auftritt, der mir im Ohr und Gedächtnis bleiben wird, ist der von Mary Bevan als La Folie.

Sie punktet mit einem starken, klaren, fabelhaften Sopran, der alle Koloraturen sauber nimmt.

Erwähnt sei noch, dass alle anderen Rollen ebenfalls sehr gut besetzt sind. Alle SängerInnen waren Meister ihres Faches, es war ein Genuss, sie zu hören.

Das Ballet wartete mit einer kurzweiligen Choreografie auf und das Können der Tänzerlnnen ist über alle Zweifel erhaben.

Der Chor war, wie eigentlich immer, stimmlich gut aufgelegt, er hat mir einige Gänsehautmomente beschert.

Das hauseigene Barockorchester La Scintilla, mit ihrer Dirigentin Emmanuelle Haïm, war für mich die Offenbarung des Abends.

Die erfrischende Musik erklang in manchen Momenten bewusst überzogen, in anderen wiederum sinnlich und leise.  Wenn Jupiter Blitz und Donner schoss, dann blitzte und donnerte es richtig. Als die Nordwinde bliesen, hörte es sich wie ein Orkan an. Der Frosch quakt, der Kuckuck ruft, alles gut abgestimmt mit dem Geschehen auf der Bühne. Berührend waren jene Momente, in denen Platée seinen Kummer besang und das Orchester diese melancholische Stimmung sehr still und unaufgeregt untermalte.

Ich bleibe dabei, heiter fand ich das Ganze nicht. Schadenfreude liegt mir wohl nicht so sehr im Blut. Mein Mitleid mit Platée war groß. Es gab einige witzige Momente, meist dann, wenn es um die Babys ging.

Den Ansatz, das Geschehen als Theater im Theater zu inszenieren, finde ich spannend.

Vieles ist gelungen, so z.B. eine Szene zur Vorbereitung der Hochzeit, die an „Die Schöne und das Biest“ erinnerte; Teekannen, Geschirr und Uhren spazierten über die Bühne.

Die Idee, Platée als homosexuellen Mann darzustellen, ist zeitgemäß und hat mir sehr gefallen, auch den unaufgeregten Umgang mit gleichgeschlechtlicher Liebe mochte ich sehr.

Auf dem Heimweg hörte ich einen Mann sagen, dass die Dame, die vor ihm saß, eingeschlafen sei. Ich musste schmunzeln.

Nein, das hätte mir nicht passieren können. Die Musik und der Gesang waren ausgesprochen schön. Das Bühnenbild und die Kostüme phantasiereich und sehenswert.

Und mehr als ein Mal war ich irritiert, weil ich den Faden verloren hatte.

Dann musste ich nachdenken, also keine Chance auf ein Schönheitsschläfchen.

Kathrin Beyer, 15. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer ab 19. November 2023, Opernhaus Zürich

Jacques Offenbach, Barkouf Opernhaus Zürich, 20. Dezember 2023

Macbeth, Oper in vier Akten von Giuseppe Verdi Opernhaus Zürich, 25. November 2023

Richard Wagner, Götterdämmerung Opernhaus Zürich, 5. November 2023

Giacomo Puccini (1858-1924), Turandot Opernhaus Zürich, 27. Juni 2023

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