Randall Goosby spielt sich in die Essener Herzen

Randall Goosby, Rotterdams Philharmonisch Orkest, Yannick Nézet-Séguin  Philharmonie Essen, 30. April 2024

Yannick Nézet-Séguin und das Orchester aus Rotterdam begeistern diesmal nicht durchweg.

Philharmonie Essen, 30. April 2024

Antonín Dvořák (1841-1904) – Karneval. Konzertouvertüre op. 92
Florence Price (1887-1953) – Violinkonzert Nr. 2 d-Moll; Adoration (Bearb. für Violine und Orchester von Jim Gray)
Johannes Brahms (1833-1897) – Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98

Randall Goosby, Violine
Rotterdams Philharmonisch Orkest
Yannick Nézet-Séguin, Dirigent

Foto: Randall Goosby © Decca

von Brian Cooper, Bonn

Der Herr am Nebentisch beim Italiener erblickt das Programmheft; man kommt ins Gespräch. „Ich habe 24 Abokonzerte für die Philharmonie, die restlichen kaufe ich hinzu“, erzählt er. Und wie steht’s mit Dortmund, wo das Orchester des Abends am Folgetag spielt? „Dort war ich noch nie. Wir haben hier in Essen eine herausragende Akustik, und die Welt kommt zu uns.“

Heute ist’s ein Spitzenorchester aus dem Nachbarland, Rotterdams Philharmonisch Orkest, mit seinem ehemaligen Chefdirigenten Yannick Nézet-Séguin. Man ist derzeit auf Tournee: Der Freund, der mich an diesem Abend begleitet, ist noch völlig hingerissen von der Walküre in Baden-Baden.

Trubelig geht es los mit Dvořáks Konzertouvertüre Karneval. Man muss sich noch ein wenig gewöhnen; es ist ein Stück, das eine gewisse Zeit braucht, bis es vom Ohr verstanden wird. Herrlich gelingen hier die elegischen Teile, insbesondere die e-Moll-Passage, in der die Streicher einfach unwiderstehlich spielen. Wunderbar vorgetragene Soli von Englischhorn, Flöte und von Konzertmeisterin Marieke Blankestijn veredeln diese Darbietung, bevor es auf die quirlig-fröhliche Zielgerade geht.

Dann folgt eine Repertoireentdeckung, und das in einem Monat, der ohnehin voll von Entdeckungen gewesen ist. Das zweite Violinkonzert von Florence Price ist vorwiegend heiteren Gemüts und so brillant komponiert, dass man sich fragt, warum es nicht öfter auf den Spielplänen steht. Vermutlich ist es zu kurz, weshalb man in Essen ihre luftig-zarte Adoration in einer Bearbeitung für Solovioline und Orchester dranhängte. Eine umgekehrte Reihenfolge wäre möglicherweise sinnvoller gewesen.

Der Solist des Abends, Randall Goosby, ist Schüler von Itzhak Perlman, und das hört man: Dieser großzügige, leicht ins Süße gehende Ton, den hat auch mein großes geigerisches Vorbild. Und Goosby ist jemand, der einen Saal für sich einnimmt, bevor er überhaupt nur einen Ton gespielt hat: mit einem gewinnenden Lächeln, tonnenweise Charisma und einem Selbstbewusstsein der sympathischen Art.

Die ersten Akkorde könnten von Richard Strauss sein, in Moll geht’s los, die kurze Einleitung changiert nach Dur, und die im Werk prominent auftretende Solotrompete bereitet den Boden für die Violine. Goosbys Ton macht süchtig, in der Höhe klingt seine Violine fantastisch, auf der G-Saite süffig. Läufe und sonstige Schwierigkeiten wirken federleicht; und selbst, als ihm die Schulterstütze herunterfällt, meistert er diffizilste Passagen mit stupender Souveränität. Und einem Lächeln.

Lyrisches und Heiteres wechseln sich ab, und Price überrascht immer wieder mit unerwarteten Harmonien. Man möchte das Werk gleich noch einmal hören, und das erste Violinkonzert gleich dazu. Hoffentlich gibt es das auf CD in genau dieser Besetzung.

Mit dem fetzigen und sehr effektvoll komponierten Louisiana Blues Strut von Coleridge-Taylor Perkinson brachte Goosby den Saal endgültig zum Kochen.

„Maßlos enttäuscht“ war mein Begleiter hingegen vom ersten Satz der Vierten von Brahms, die nach der Pause folgte. Ganz so weit würde ich nicht gehen, aber ich hatte am ersten Tag des Monats April immerhin die Berliner Philharmoniker in demselben Stück gehört und das Baden-Badener Osterkonzert noch im Ohr. Es liegt nahe, dass die Rotterdamer die meiste Probenzeit Wagners Walküre gewidmet haben.

Positiv hervorzuheben sind aber die wie immer unheimlich warm klingenden Streicher der Rotterdamer. Erst im Übergang zur Reprise hat man den Eindruck, dass die Hektik, von Nézet-Séguins grabenden und antreibenden Bewegungen visuell untermauert, endlich einer Ruheoase weicht. Dann aber zieht er wieder ordentlich die Zügel an, und man ist ein wenig ratlos ob der unnötigen Raserei.

Die drei weiteren Sätze jedoch klingen so, wie man es sich wünscht. Auch im zweiten Satz „gräbt“ Yannick nach maximaler Intensität. Hier verzaubern Horn- und Klarinettensoli. Der dritte, in einem Affenzahn, birgt dennoch schöne Details, und im Finalsatz, dieser so herrlichen Passacaglia, brodelt es stets unter der Oberfläche. Besonders das Flötensolo klingt warm und ruhevoll.

Insgesamt ein sehr guter Abend eines Orchesters, das schließlich nicht immer Sternstunden bereiten kann.

Dr. Brian Cooper, 1. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CD-Rezension: Rachmaninow 1. Sinfonie, Sinfonischen Tänze Op. 45, Yannick Nézet-Séguin und PO klassik-begeistert.de, 19. November 2023

The Philadelphia Orchestra, Yannick Nézet-Séguin, Dirigent, Rachmaninow Baden-Baden, Festspielhaus, 5. November 2023

Daniil Trifonov, The Philadelphia Orchestra, Yannick Nézet-Séguin Baden-Baden, Festspielhaus, 4. November 2023

Rachmaninow Festival, Daniil Trifonov, TPO, Yannick Nézet-Séguin, Dirigent Baden-Baden, Festspielhaus, 3. November 2023

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