Foto: BRSO Mäkelä © Astrid Ackermann
Herkulessaal, München, 07. Oktober 2021
Rezension Konzert des Symphonieorchesters des bayerischen Rundfunks unter Klaus Mäkelä mit Frank Peter Zimmermann und Anna Lucia Richter.
von Frank Heublein
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielt unter Dirigent Klaus Mäkelä heute im Herkulessaal in München drei Werke des 20. Jahrhunderts. Die drei Komponisten Béla Bartók, Bohuslav Martinů und Gustav Mahler sind alle drei in der damaligen k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn aufgewachsen. Von den beiden ersten höre ich Werke für Violine und Orchester, die Frank Peter Zimmermann als Solist präsentiert. Von letzterem wird die vierte Symphonie mit Anna Lucia Richter als Solistin gegeben.
Foto: Frank Peter Zimmermann © Astrid Ackermann
Ich werde in den ersten Satz Béla Bartóks Rhapsodie für Violine und Orchester Nr. 2, Sz 90 hineingeworfen. Bartók benennt diese beiden Rhapsodien „Volkstänze für Violine und Orchester“. Der erste Satz fühlt sich an wie ein Spaziergang durch ein folkloristisches Dorf. Die Violine als antreibende Spaziergängerin setzt den Fokus. Das Orchester antwortet kraftvoll, als Menschenmenge, im Gegensatz zu dieser Spaziergängerin. Wuchtig, doch die Violine ist souverän, bahnt sich prägnant und elegant ihren Weg. Der zweite Satz beginnt dumpf treibend. Die Violine ist jetzt in der Defensive. Verteidigt sich geschickt gegen die orchestralen Attacken. Frank Peter Zimmermann zeigt einen konzentrierten Schwung, der von seinem Körper in sein Instrument hineinströmt. Wohin treibt das Orchester die Violine – und mich? Das bleibt mir als offene Frage, die mir dieses Stück hinterlässt.
Bohuslav Martinů hat seine Suite concertante für Violine und Orchester zwei Mal komponiert. Einmal in Paris 1938/39 und dann 1944 in New York, da er auf die erste Fassung keinen Zugriff hatte. Die zweite Fassung wird heute gespielt. Die Suite hat vier Sätze und entfaltet in mir vier unterschiedliche innere Bilder und Vorstellungswelten.
Der erste Satz, eine Toccata, macht mich atemlos. Die Geschwindigkeit, die Perfektion, die Dominanz der Solo Violine, die sich durchaus durchsetzen muss gegen ein alertes gespanntes Orchester. Zimmermann beindruckt mich mit souveränem energetischem Schwung. Er harmoniert perfekt mit dem Orchester.
Der zweite Satz ist mit Aria überschrieben und entfacht in mir eine nicht erfüllte große Sehnsucht. Die Verzweiflung nach etwas Unerreichbarem zu streben, schmerzt. Martinů wollte zurück in seine Heimat. Diese Sehnsucht hat er in Noten gesetzt, Zimmermann und das Symphonieorchester vermitteln mir dieses Gefühl intensiv bedrückend.
Der dritte Satz, ein Scherzo, ist ein kompletter Gefühlsumschwung. Verspielt, spielerisch, voller Temperament. Entspannt und vergnügt lasse ich mich umwehen vom lebhaften Zusammenspiel der Violine mit dem Orchester.
Das abschließende Rondo des vierten Satzes fordert Zimmermann alle technische Fertigkeit ab, das Orchester wird zum herausfordernden Gegenüber. Die Solovioline behält elegant erhaben die Kontrolle des musikalischen Geschehens. Ich habe widerstreitende Gefühle in mir. Das Was?, welches in mir von der Suite concertante zurückbleibt, ist komplex. Ich kann es mir nicht vollständig beantworten.
Foto: Frank Peter Zimmermann © Astrid Ackermann
Frank Peter Zimmermann lässt sich zu einer Zugabe hinreißen. Zum Enthusiasmus des Publikums kommt derselbe im Orchesterkörper hinzu. Eine Geige setzt zum Fußgewitter an. Die Zugabe ist ein Adagio in C von Johann Sebastian Bach. Zart, warm, elegant, schlicht. Zimmermann fesselt meine Aufmerksamkeit erneut. Hinterlässt keine Frage, nur edle Reinheit.
Gustav Mahlers vierte Symphonie G-Dur überrascht mich auch heute wieder. Ich nehme die sich steigernde Komplexität des ersten Satzes als sehr besonders wahr. Schellen, die mich an eine Schlittenfahrt erinnern. Klingt erst einfach, doch sie wird unglaublich abwechslungsreich. Ich kann viele eingeführte Motive wiedererkennen. Sie verschränken sich ineinander zu einem musikalischen Labyrinth, dem ich mich bereitwillig hingebe, den Irrungen der musikalischen Motive folgend.
Im zweiten Satz wird eine um einen Ton höher gestimmte Solovioline eingesetzt. Die Hingabe an das Schöne Reine des Ländlermotivs wird durchbrochen durch diese Schräge und lässt mein inneres Alertsein aus dem ersten Satz köcheln.
Der dritten Satz erzeugt eine sehr melancholisch traurig sehnsuchtsvolle Stimmung in mir. Innige Harmonie, die das zwar gebrochen aber stets lebendig Vitale in den vorherigen Sätzen Gehörte in weite Ferne schieben. Dieser dritte Satz dämpft mich und schließt mich in meine innere Sehnsucht ein.
Als Symphonie ist Mahlers vierte eher atypisch, da der vierte Satz der ruhigste von allen vieren ist. Anna Lucia Richters Sopran ist sehr gut verständlich, einfühlsam, prägnant und voller Energie. „Wir genießen die himmlischen Freuden“ nach Worten aus „Des Knaben Wunderhorn“. Aus meiner inneren melancholischen Sehnsucht wandere ich mit Anna Lucia Richters Stimme ins sphärisch Erlösende. Auf der düsteren Stimmungsgrundlage des vorhergehenden Satzes ist es mir aber keine Befreiung, eher fragende Aufforderung, die innere Sehnsucht zu durchbrechen. Wie? Mit dieser Frage lässt mich Mahlers Musik heute Abend zurück.
Klaus Mäkelä dirigiert unaufgeregt doch spannungsgeladen. Er formt aus dem bestens aufgelegten Symphonieorchester und den beiden großartig musizierenden Solisten Zimmermann und Richter drei sehr unterschiedliche zugleich prägnant und in sich differenzierte musikalische Eindrücke. Ein innerer Reichtum, der in mir zurückbleibt.
Frank Heublein, 09. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Béla Bartók
Rhapsodie für Violine und Orchester Nr. 2, Sz 90
Bohuslav Martinů
Suite concertante für Violine und Orchester, H276a (zweite Fassung)
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 4 G-Dur
Besetzung
Klaus Mäkelä, Dirigent
Frank Peter Zimmermann, Violine
Anna Lucia Richter, Mezzosopran
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks