Walthers Lieder sprechen eine klare Sprache

Rezension: Walther von der Vogelweide – ein Wanderleben, klassik-begeistert.de

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Als sehr spannend empfinde ich die Direktheit und Klarheit des Inhalts. Ob Minnelied oder Sangspruch: Walthers Worte sind von eindrucksvoller Klarheit.

Allerheiligen-Hofkirche, München, 26. September 2021

Rezension Walther von der Vogelweide – ein Wanderleben

von Frank Heublein

Ich höre heute in der Allerheiligen-Hofkirche zu München mittelalterliches Liedgut um die Jahrhundertwende 1200 des Lyrikers und Minnesängers Walther von der Vogelweide. Eine weitere Seite des Sängers sind die Sangsprüche, ich verstehe diese als politisch-soziale Lieder. Joel Frederiksen als Leiter des Ensemble Phoenix Munich präsentiert dieses Programm mit zwei an der Basler Schola Cantorum Basiliensis in der Lehre für diesen zeitlichen Abschnitt tätigen Musikern Baptiste Romain und Marc Lewon. In dieser Forschung enthalten ist auch die Suche nach Perspektiven der Aufführungspraxis.

Musikalisch ist wenig überliefert, was man Walther direkt zuschreiben kann. Den Ausführenden fällt damit die Rolle der musikalisch Interpretierenden zu. Am eindrucksvollsten gelingt es den drei Mitgliedern des Ensemble Phoenix Munich in der Trias eines französischen Liedes, bei dem Text und Melodie überliefert sind. Von „Quant je voi l’erbe menue“ scheint mit einiger exegetischer Wahrscheinlichkeit Walther die Melodie für „Muget ir schowen“ übernommen haben, fachsprachlich nennt Marc Lewon dies Kontrafaktur. Mönche haben, die Melodienlinie ist für den Text „Hebet sydus“ ebenfalls erhalten, eine Kontrafaktur über Walthers Kontrakfaktur gelegt. Zwischen diesen drei Liedern spielen die drei Musiker eine instrumentale Interpretation der mönchischen Kontrafaktur.

Dieselbe Melodiengrundlage fühlt sich in mir verschieden an. Alle drei Lieder sind Minnelieder, also keusche Anbetung einer standesmäßig unerreichbar erscheinenden Frau von Rang. Zur Erläuterung: das mittelhochdeutsche frouwe (Frau) und frouwelîn (Fräulein) ist eine Bezeichnung weiblicher Personen von adeligem hohem Rang. Die „normale“ Frau niedrigen Standes wird mit wîp (Weib) tituliert. Das verzehrende Verlangen nach Frauen von Stand spielt in allen drei Liedern die Hauptrolle. Jedoch wird durch Sprache – französisch, deutsch und lateinisch – eine musikalische Anpassung der Melodie notwendig, die in mir die Lieder sehr verschieden klingen lassen.

Als sehr spannend empfinde ich die Direktheit und Klarheit des Inhalts. Ob Minnelied oder Sangspruch: Walthers Worte sind von eindrucksvoller Klarheit. Am deutlichsten wird dies im Lied „Nû alrêst leb ich mir werde“ (Jetzt erst lebe ich würdig). Die letzte Zeile „recht ist, daz er uns gewer.“ (Was uns zusteht möge er uns gewähren.) singt Joel Frederiksen nicht, sondern spricht diese Zeile. So wird pointiert die Forderung klar, die der Vasall Walther an seinen Dienstherrn in diesem Lied stellt: seine Gefolgschaft gerecht zu entlohnen. Für Walther als Angehöriger des 1. Standes lag diese gerechte Forderung in der Zuweisung eines Lehens, einer Art Dauerpacht eines Landstücks und der darauf lebenden Bauern. Durch dieses Lehen konnte er sich aller materiellen Sorgen seines Wanderlebens entledigen.

Musikalisch zart, einfühlsam und zugleich mit sonorer Stärke übernimmt Joel Frederiksen mit seinem tragendem Bass stimmlich den Hauptteil. Die drei Interpreten wissen jedoch auch im einzigen gesanglichen Trio des Abends „Alte clamat Epicurus“ (Laut ruft Epikur) zu überzeugen.

Die den Sänger begleitenden Melodien sind zärtlich, zurückhaltend, zuweilen wach und hell wie in „Unter den linden an der heide“. Ein eher ungewöhnliches Lied, da es die Sichtweise einer frouwe einnimmt, die über ein nicht standesgemäßes Liebesabenteuer erzählt.

Einzig wenn der Dudelsack zum Einsatz kommt, vermittelt dieser mir eine starke kraftvolle Rhythmik. Fordert mich geradezu zum Tanz auf. Ohne Dudelsack ist die Stimmung durchweg kontemplativ. Mein innerer Fokus liegt auf dem Gesang, dem Text, der Aussage.

Der klare und starke Inhalt dominiert zurückgenommene Melodien bei Streicherbesetzung. Darunter eine Art „Anti-Minne-Lied“ mit „Lange swîgen des hât ich gedâht“ (Lange zu schweigen, daran hatte ich gedacht). In diesem Lied beschwert sich Walther von einer Frau fallengelassen worden zu sein.

Dieser Abend ist einer voller Entdeckungen: Instrumente die ich am heutigen Abend erstmals sehe und höre. Ein Liedgut, mit dem ich mich das letzte (und bis zu diesem Abend einzige) Mal während meines germanistischen Studiums tiefer gehend auseinandergesetzt habe und gerade darum diese neu für mich entdecke. Walther muss eine herausragende Persönlichkeit gewesen sein, musikalisch wie im Umgang mit seinen – wechselnden – Herrschaften und Dienstherren. Sonst hätten ihn seine Lieder mit derart deutlichen Aussagen Verbannung oder Schlimmeres eintragen können.

Zuletzt hat Walther von der Vogelweide sich durchgesetzt und sein Ziel erreicht. Er hat ein Lehen erhalten und ein sesshaftes Leben im Alter führen können. Dies materialisiert sich im letzten Lied vor der Zugabe: „Ich hân mîn lêhen.“ Dieser Mann hat über Lyrik und Musik kommuniziert: über sein Leben, seine Forderungen und Ansichten. Er hinterlässt einen starken Eindruck in mir. Dank dreier exzellenter Musiker, die mir diese Musik wunderbar eröffnen.

Frank Heublein, 28. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm

Zuo Rôme voget, zuo Pülle künic
Vil wunder wol gemachet wîp
Vil wunder-Estampie
Kreuzton = Atzeton
Lange swîgen das hât ich gedacht
Unter den Linden & Stampedes
Quant je voi l’erbe menue
Hebet sydus nota
Muget ir schowen
Hebet sydus
Ich saz ûf einem steine
Alte clamat
Palästinalied
Ich hân mîn lêhen
Durchsüezet und geblüemet
Kann mîn frouwe süeze siuren

Besetzung
Ensemble Phoenix Munich:
Baptiste Romain  Gesang, Fidel, Rubeba, Streichleier, Dudelsack
Marc Lewon  Gesang, Quinterne, Citole,
Joel Frederiksen  Gesang, Citole

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