Foto: D.Damrau, K.Petrenko, BPhi (c ) Monika Rittershaus
Strauss, in Perfektion gestaltet: Diana Damrau und Kirill Petrenko zum Abschluss bemerkenswerter Osterfestspiele 2023
Baden-Baden, Festspielhaus, Ostermontag, 10. April 2023
Richard Strauss (1864-1949): Vier letzte Lieder
Ein Heldenleben op. 40. Tondichtung für großes Orchester (1897/98)
Diana Damrau, Sopran
Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko, Dirigent
von Brian Cooper, Bonn
Die anrührendste Szene in einer anrührenden ersten Konzerthälfte fand im Publikum statt. Diana Damrau und die Berliner Philharmoniker hatten gerade das erste der Vier letzten Lieder beendet. Wunderbare kurze Stille, aufmerksames Publikum, die Musik darf in Ruhe ausklingen. Sie ist gewissermaßen noch im Saal, obwohl sie nicht mehr schwingt.
Und dann kommt ganz leise, irgendwo von hinten, diese Kinderstimme, die in abfallender Intonation ein einziges einsilbiges Wort spricht. Und dieses Wort, „Schön!“, kommt derart von Herzen, dass die Sängerin lachen muss. Kurz aus ihrer gehaltenen Spannung ausbricht. Auch Teile des Publikums und des Orchesters schmunzeln oder lachen leise. Es wird dabei nicht zu laut, aber es ist ein heiterer Moment, ein zutiefst menschlicher Moment, bei dem man die ganz wenigen Zischer daran erinnern möchte, dass sie – möglicherweise – auch mal Kinder waren. Leider führt das Ganze noch zu unnötigem Zwischenapplaus. Aber es ist ein Moment, bei dem klar wird, was große Kunst, in Gemeinschaft erlebt, auszulösen imstande ist.
Diana Damrau gestaltet jede Zeile, die sie singt, und wird dabei vom Orchester förmlich auf Rosen gebettet, freilich ohne Dornen. Ihre Stimme schwebt über dem Orchester, ohne jemals schrill zu sein oder überdeckt zu werden. Im Gegenteil: In der Höhe klingt sie sehr angenehm, und auch in der Mittellage klingt sie voluminös und warm; dieses Repertoire ist wie geschaffen dafür. Wenn die gebürtige Günzburgerin im ersten Lied von „Vogelsang“ singt, breitet sie leicht die Hände aus, Emmanuel Pahud zaubert kurz auf der Flöte, und man „glaubt“ einfach alles, was da erzählt wird. Man riecht es. Draußen ist ja auch schon Frühling.
Das zweite Orchesterlied, „September“, ist, wie der einleitende „Frühling“ und das folgende „Beim Schlafengehen“, die Vertonung eines Gedichts des ganz in der Nähe von Baden-Baden geborenen Hermann Hesse. „Der Sommer schauert still seinem Ende entgegen“: Das ist ohnehin schon eine fantastische Zeile, und wenn Frau Damrau das singt und die Berliner Philharmoniker sie dabei begleiten, dann mag man sein Glück kaum fassen. Stefan Dohr hatte hier einmal mehr ein göttliches Solo, und die britische Kulturjournalistin, die ich am Vorabend kennengelernt hatte, sagte mir in der Pause, sie könne sich nicht entsinnen, jemals ein derart leise gespieltes Horn vernommen zu haben. Das ist nur ein kleines Detail von vielen, aber es trägt unbedingt zur Weltklasse der Berliner bei.
Das dritte Lied entsteht aus einer wohligen Basstiefe und birgt, quasi zum Kontrast, ein herrliches Geigensolo, das die neue Konzertmeisterin Vineta Sareika-Völkner ausdrucksvoll mit wunderbarem Vibrato darbot. Die legati, die Diana Damrau dazu sang, waren nicht von dieser Welt. Da hatte der liebe Konzertfreund aus Bayern, der schon am Karfreitag dasselbe Programm gehört hatte, nicht übertrieben.
Das Eichendorff’sche „Abendrot“ schließlich, mit all seinen unfassbar aufregenden Modulationen, mit seiner unbedingten Ruhe und den leise in Es-Dur flötenden Vögeln zum Ende, hatte alles, was man als leidenschaftlicher Hörer dieser Musik erwarten durfte.
Und natürlich steht am Pult auch einer, der die Oper – und damit das sensible Begleiten von Stimmen – in der DNA hat: Noch am Vorabend hatte Kirill Petrenko Die Frau ohne Schatten dirigiert, um dann um elf Uhr vormittags, vor dem hier beschriebenen Nachmittagskonzert, das Bundesjugendorchester zu leiten.
Erstaunlicherweise kam die nach der Pause folgende Tondichtung Ein Heldenleben keineswegs müde oder routiniert daher, sondern extrem energiegeladen. Extrem, wirklich. Herrlicher Klang, traumwandlerisch sicheres Blech, donnerndes Schlagwerk, und auch das richtig fett aufspielende Holz zu Beginn trägt dazu bei, dass diese erste Es-Dur-Tuttistelle immer ein wenig nach Orgel klingt… Man wurde hinweggefegt.
Wäre dieser „Held“ ein Konversationspartner beim Abendessen, er würde den Tisch dominieren, aber zuhören tut man ihm sehr gern, denn was er zu sagen hat, das ist außerordentlich spannend.
Ohne jegliche Spur von Trägheit zu musizieren und zu dirigieren, am Ende dieser zehn Tage Sinfonik, Oper und Kammermusik – da darf man als Publikum schon mal den Hut ziehen. Vineta Sareika-Völkner, vormals knapp ein Jahrzehnt lang Primaria des Artemis-Quartetts, gestaltete überragend das höllisch schwere Solo des dritten Teils, das durchaus als „kleines Violinkonzert“ angesehen werden kann. Hier gibt’s zum drei Tage zuvor dargebotenen Heldenleben mehr Details:
Gefühlt ist in Baden-Baden immer Festivalzeit. Ist es eigentlich nur gutes Marketing, vorweg Galastimmung zu verbreiten und dann doch einfach nur gute Konzerte zu bringen, die man auch anderswo hören kann? Ich denke, das wäre zu kurz gegriffen, zumal ja gerade auch die Kunstform Oper fester Bestandteil der Osterfestspiele ist. Und das gibt’s so schnell nicht woanders.
Festivalzeit ist in Baden-Baden vor allem dann, wenn ein Orchester, eine Künstlerin, ein Dirigent gleich mehrfach auftreten. Anderswo, etwa in Luzern und Berlin, geben sich die Orchester die Klinke in die Hand.
Eine Handvoll meiner Musikfreunde, die ich angefixt habe, freuen sich schon auf das neue Yannick-Festival La Capitale d’Été, dessen Premiere ich 2022 noch allein besuchte. Und nach den Osterfestspielen 2025 kommen die Berliner ja trotzdem weiterhin nach Baden-Baden; es soll laut bisher verkündeter Planung jährliche Konzert-Residenzen geben.
Wehmütig legte ich nach meiner Rückkehr in die Beethovenstadt eine meiner Lieblingsaufnahmen der Vier letzten Lieder auf. Vielen Freunden schenkte ich die CD, und gleich mehrere sagten, es sei die schönste Aufnahme, die sie davon gehört hätten. Ja, es gibt Elisabeth Schwarzkopf, Jessye Norman und so viele andere tolle Stimmen und Aufnahmen. Doch die Stimme der polnischen Sopranistin Aga Mikolaj ist in dieser (2011 bei cpo erschienenen) Aufnahme für mich ganz weit vorn, auf einer Höhe mit den großen Diven der Vergangenheit und Gegenwart.
Aga starb im November 2021 an einem tückischen, tödlichen Virus, von dem immer noch manche Leute behaupten, es existierte nicht.
Dr. Brian Cooper, 11. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss (1864-1949) – Die Frau ohne Schatten Baden-Baden, Festspielhaus, 9. April 2023