Foto: Wilfried Hösl (c)
Bayerische Staatsoper München, 16. Juni 2018
Arabella, nach Richard Strauss
von Raphael Eckardt
Mit Richard Strauss‘ Arabella steht an der Bayerischen Staatsoper derzeit eine Produktion auf dem Spielplan, die bereits in ihrer Premierenspielzeit 2015 für allerlei Aufsehen und Begeisterung bei den Münchner Opernfestspielen sorgen konnte. Nicht nur, weil diese Arabella mit Namen wie Anja Harteros, Kurt Rydl oder Michael Volle einen beeindruckend hochklassigen Besetzungszettel vorweisen kann, sondern auch, weil sie von einem Mann inszeniert wurde, der sonst eher Kinoleinwände und Kameras sein Zuhause nennen darf.
„Ich mache mich auf einiges gefasst“, hatte Regisseur Andreas Dresen („Sommer vom Balkon“) noch 2015 – vor seinem Ausflug auf die Opernbühne – angekündigt: Einerseits wohl, um etwaige überzogene Erwartungshaltungen in eleganter Manier zu dämpfen, andererseits sicherlich, um aufzuzeigen, welch herausfordernde Unterschiede zwischen den Bereichen der Opern- und Filminszenierungen liegen können. Doch Dresen meistert sie auch an diesem Abend mit Bravour.
Freilich, da macht er es dem Münchner Publikum auch denkbar leicht: Mit ebenso stimmig gradliniger und zurückhaltender Inszenierung stellt Dresen das rein Musikalische als mindestens ebenbürtigen Gegenpart zum rein Visuellen auf – und dürfte damit so manchem Münchner Operngänger dringlichst aus der Seele gesprochen haben.
Dresen verlegt die Handlung um eine verarmte Familie, Wirrungen und die wahre Liebe in ihre Entstehungszeit. „Es geht ums Geld, es geht ums Überleben“: Seine Arabella ist eine zeitlose Geschichte über Existenzängste vor karger, bedrohlicher Kulisse: Freischwebende Treppen wirken hier und da wie das aufgerissene Maul eines fratzenartigen Monsters, alptraumhaft schiefe Bauten zieren expressionistische Fassaden in mattem Grau.
Viel wichtiger aber: In dieser Inszenierung werden Figuren mit beeindruckender ästhetischer Sicherheit als Menschen des Alltags geführt und ein oft verkanntes Meisterwerk somit auf eine völlig neue Stufe gehoben: Das ist höchstes Regietheater und Musiktheater im besten Sinne gleichermaßen. Chapeau, Herr Dresen, das mache Ihnen erstmal einer nach!
Musikalisch ist dieser Abend dann ohnehin meisterhaft: Wie Arabella und Mandryka nicht nur poetisch, sondern auch stimmlich zueinander finden, ist wahrlich brillant. Schon das große Duett „Und du wirst mein Gebieter sein“ wird in angenehm ruhigen Gefilden gehalten, nicht zuletzt deshalb, weil der erfahrene Strauss- und Wagner-Interpret Michael Volle an diesem Abend einen Mandryka zum besten gibt, der nicht nur durch unglaublich nuancenreiche Sensibilität überzeugt, sondern auch durch beeindruckende technische Sicherheit.
Da sind unendliche landschaftliche Weiten zu erkennen, die von feinen farbenprächtigen, tiefglänzenden Schleiern durchzogen scheinen. Feuerrote Felder verwaschen elegant mit saphirblauen Seen. Michael Volle gibt sich als Kreateur eines einzigartigen musikalischen Panoramas. Immer wieder rollen sich sanfte Pianomotive zu donnergrollenden Windböen zusammen. Plötzlich scheint ein Sturm aufzuziehen! Wolken durchweben die weite Landschaft mit spinnfadenartigen Seidenmustern. Das ist gesangliche Qualität, die ihresgleichen sucht! Fabelhaft!
Anja Harteros als Titelheldin steht ihrem männlichen Kollegen da in nichts nach. Fast weiß geschminkt, mit der Ausdrucksstärke einer Stummfilmschauspielerin, schmettert sie an diesem Abend eine Arabella aufs Parkett, die jeden im Publikum unverfroren in ihren Bann zu ziehen scheint.
Da sind goldene Luftschlangen an der Decke der Bayerischen Staatsoper zu erkennen, die sich immer wieder zu neuen nuancenreichen Mustern formieren. Hier ein feiner Bogen, dort eine liebliche geschwungene Schleife! Die betörende Stimme von Deutschlands bester Sopranistin besonders in der Höhe immer zarter.
Ihr liebliches Hauchen ist vor allem im Finale von höchstem Reiz: Die Liebenden umkreisen sich lange, ein wunderbarer Mensch legt in verzückender Manier sein Innerstes offen, um eine tiefsinnige Liebesbeziehung einzugehen. Als Arabella ihrem Verlobten als Schlussgag keck ein Glas Wasser über den Kopf schüttet, wird angenehme Spannung auf eine komische Art und Weise gelöst – stets ohne die leichte Melancholie zu zerstören, die diese „Arabella“ so einzigartig macht. Bravo!
Kurt Rydl als Graf Waldner besticht vor allem durch imposante menschliche Größe. Mit balsamweicher, stets druckloser Stimme gibt er einen spitzfindigen Lebemann zum Besten, der sich vor allem durch eine beeindruckende stimmliche Vielseitigkeit auszeichnet. Immer wieder gelingt Rydl die Entfaltung eines fein geknüpften Klangteppichs, der sich in sanften Wellen langsam im Konzertsaal auszubreiten scheint. Eine Eigenschaft, die für das dargebotene Gesamtkonstrukt wahrlich Gold wert ist.
Ähnliches gilt für das an diesem Abend wieder einmal brillant auftrumpfende Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Constantin Trinks. Da werden noch so kleine Perlen der Strauss’schen Partitur offengelegt, ohne dabei je die großen Bögen zu vernachlässigen. Im wunderbar subtil realisierten Duett „Aber der Richtige“ schärfen leise Trompetenmotive auf magische Art und Weise jenen Kontrapunkt, den Strauss in der für ihn typischen kompositorischen Komplexität gesetzt hat, um nicht Gefahr zu laufen, in naive Operettenseligkeit zu verfallen.
Denn eher als Verfallsform der Operette steht diese „Arabella“ der 1933 (Uraufführung) noch jungen Filmkunst nahe – nicht zuletzt dank der brillanten Inszenierung eines Filmregisseurs, der den Beweis dafür erbringt, dass ein guter Bühnenarchitekt eben beides kann: Leinwand und Theater! Ein wahrlich fantastischer Abend!
Raphael Eckardt, 17. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de
Libretto, Hugo von Hoffmannsthal
Musikalische Leitung, Constantin Trinks
Inszenierung, Andreas Dresen
Bühne, Mathias Fischer-Dieskau
Chor, Sören Eckhoff
Graf Waldner, Kurt Rydl
Adelaide, Doris Soffel
Arabella, Anja Harteros
Zdenka, Hanna-Elisabeth Müller
Mandryka, Michael Volle
Matteo,Benjamin Bruns
Graf Elemer, Dean Power
Graf Dominik, Johannes Kammler
Graf Lamoral, Torben Jürgens
Die Fiakermilli, Gloria Rehm
Eine Kartenaufschlägerin, Heike Grötzinger
Ein Zimmerkellner, Milan Siljanov
Welko, Bastian Beyer
Djura,Vedran Lovric
Jankel, Tjark Bernau
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper