Ariadne auf Naxos an der Semperoper: Ein Musikalischer Triumph dank Camilla Nylund und Christoph Gedschold

Richard Strauss, Ariadne auf Naxos   Semperoper Dresden, 15. März 2023

Foto: Ariadne © Ludwig Olah

Spontan ist Camilla Nylund in der Titelpartie von Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos an der Sächsischen Staatsoper eingesprungen. Ihr Gesang und das virtuose Dirigat Christoph Gedscholds triumphieren, nebst einer glattgebügelten Inszenierung, die leider zu sehr damit beschäftigt ist, hübsch auszusehen, als sich wahrhaftig mit der Radikalität dieses Kunstwerks auseinanderzusetzen.

Richard Strauss   Ariadne auf Naxos
Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel
Text von Hugo von Hofmannsthal

Christoph Gedschold, Dirigent
Sächsische Staatskapelle Dresden

David Hermann, Regie
Paul Zoller, Bühnenbild

 Semperoper Dresden, 15. März 2023

 von Leander Bull

Noch vor Beginn der Vorstellung zeichnet sich in der Semperoper Dresden Ariadne auf Naxos als eine einzigartige Oper ab, die auch besonderer Methoden bedarf. Richard Strauss’ Werk thematisiert das Opernschaffen selbst – und fordert somit jeden Regisseur heraus, dieser Verhandlung und Verwandlung der Kunst mit einzigartigen Einfällen gerecht zu werden.

Um diese Dopplung der „Oper auf der Oper“ zu untermalen, tingelt der Haushofmeister, eine Figur des Vorspiels, noch vor Öffnung des Vorhangs durch die Foyers und Bars der Semperoper. Er sorgt für Ordnung im Hause, während sein gnädiger Herr selbst auf einem Podest, außerhalb des Saals, für alle Besucher sichtbar zu Abend isst. Man blickt in viele entzückte Gesichter, doch dieser pointierte Einfall bereitet nicht nur Freude, da wir uns vorkommen, als würden wir selbst im Hause des Wiener Neureichen der Opernhandlung gastieren; mehr noch ist es vielversprechend, schon vor Beginn der Aufführung zu sehen, dass hier gewitzte inszenatorische Methoden verwendet werden.

Genau solche Einfälle beleben darauffolgend das herrliche Vorspiel. Werkgetreu bekommen wir Einblick in den Betrieb des Hauses, hinter dessen Türen sich alle Darsteller auf die Opernaufführung vorbereiten. Kreativ und einfallsreich schöpft die Inszenierung farbenfroh viel aus dieser eigentlich minimalistischen Bühne, alles zugunsten einer pompösen Stilmischung, die Strauss’ und Hofmannsthals Werk gerecht wird. Hier wird die Form der „Oper auf der Oper“ Programm: überraschend spricht der Haushofmeister, schauspielerisch wunderbar intrigant und naserümpfend stolz verkörpert von Volker Muthmann, mal aus der Loge, mal aus dem Publikum. Ebenso entzückend ist die sängerische Besetzung, vor allem Angela Brower als Komponist, die dieser Figur mit ihrem verzweifelten,  cholerischen Schauspiel und ihrer sanften, doch immer inspirierten Stimme Leben einhaucht.

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Allen voran beleuchtet Christoph Gedschold am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden die Strauss’sche Partitur glänzend. Nicht nur arbeitet er die komisch verzwickten Stellen feinfühlig heraus, ohne sie zu sezieren, sondern stürzt sich gleichermaßen schonungslos in die heroischen Höhen der Musik, die ebenso ernst zu nehmen sind. Ariadne auf Naxos erzählt vom Aufeinanderprallen zweier künstlerischen Welten, von einer ästhetischen Spannung zwischen Hochkultur und Unterhaltung. Genau diese Spannung bringt Gedschold zum Aufblühen, was auch für Stellen kompensiert, an denen sich die Inszenierung vielleicht zu sehr ins Komische begibt und den Komponisten etwas ernster nehmen könnte. Ein wahrhaft gelungenes, reizendes Vorspiel, das die Erwartungen auf die eigentliche Oper nur noch weiter steigen lässt.

In dieser  wird bekanntermaßen die Opera seria Ariadne auf Naxos, reine Hochkultur, aus zeitlichen Gründen direkt neben der lustigen Aufführung einer wahnwitzigen, bunten Tanzgruppe aufgeführt; die absolute Steigerung der ästhetischen Spannung des Werks. Doch leider – leider! – funktioniert hier nichts mehr so recht. Obwohl die Bühne mit ihrer farbenfrohen Rokoko-Landschaft auf der einen und einem düsteren, zusammengefallenen griechischen Tempel auf der anderen Seite beide Ebenen doch passend kontrastiert, bleibt die reizende Spannung aus. Warum?

Anstatt humorvoll und spannungsreich vom Aufeinandertreffen künstlerischer Gegensätze zu erzählen, versöhnt der Regisseur beide Welten bereits im Vorhinein durch einfallslosen Kitsch. Einen maßgeblichen Teil leistet dafür sicherlich die Zeichnung Zerbinettas, die Anführerin der der Commedia dell’arte nachempfundenen Tanzgruppe. Solide wird sie zwar in einer treffsicheren Interpretation von Sarah Aristidou gesungen, doch ihre Charakterisierung lässt zu wünschen übrig. Ist sie bei Hofmannsthal und bei Strauss noch der sinnlich-reizende Gegenpol zur rein geistigen, mystischen Ariadne, so tritt sie hier als nettes Bauernmädchen im niedlichen, roten Kleid auf. Der doch ernsthafte, offenbarende Austausch zwischen ihr und Ariadne bleibt somit aus – selbst wenn Einspringerin Camilla Nylund wie erwartet die Partie unvergesslich singt. Das legendäre „Es gibt ein Reich“ nimmt betörend mystische Züge an. Nylund vermag es, diese Rolle in einen geheimnisvollen Umhang der Sehnsucht einzuhüllen.

Camilla Nylund bei der Ehrung. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Bisweilen blitzt ein interessanter Ansatz auf, wenn Najade, Dryade und Echo – mystisch in gelungenem Einklang gesungen von Ofeliya Pogosyan, Michal Doron und Alice Rossi – als rein  körperliche, abgearbeitete Wesen gezeichnet werden und Zerbinetta dagegen als fröhlich, unschuldig und rein auftritt. Trotzdem weiß die Inszenierung zum Ende hin wortwörtlich nicht mehr wohin, sodass während Bacchus’ Auftritt das Bühnenbild verdunkelt wird und im Hintergrund verschwindet. Die sängerische Herausforderung, die die Partie des Bacchus für jeden Tenor darstellt, wird bei Gregory Kunde ebenfalls hörbar, doch er schlägt sich wacker. Musikalisch sind die letzten Minuten („Gibt es kein Hinüber?“) ein großer Höhepunkt des Abends.

Die kokette Kunstfreude dieses Werks, im Vorspiel noch spürbar, wird in der Oper zugunsten eines spannungslosen Arrangements mit dem Kitsch entschärft. Lustig und humorvoll ist das auch nicht, wenn man mehr erwartet, als eine klischeehafte bunte Spaßtruppe, die hübsch über die Bühne spaziert oder Hausherren, die am Ende – sagenhaft – ein Smartphone (!!!) zücken.

Der Einfall, die Hausherren auch in der Semperoper anwesend zu haben, läuft letzten Endes in die Leere und wirkt vielmehr wie eine Entschuldigung für die ausbleibende Radikalität der restlichen Inszenierung. Nylunds sagenhafter Gesang und Gedscholds triumphales Dirigat tragen diesen Abend, selbst wenn die Inszenierung lieber kein Risiko eingeht und sich der Beliebigkeit hingibt. Man hätte es dem Haushofmeister nicht übel genommen, wenn er das für neun Uhr versprochene Feuerwerk, Grund für die Zeitraffung der Werke, noch etwas weiter vorgezogen hätte.

Leander Bull, 16. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Ariadne auf Naxos, Orchester der Wiener Staatsoper, Christian Thielemann, CD-Besprechung

Richard Strauss, Ariadne auf Naxos Staatsoper unter den Linden, 13. September 2020

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