Bildquelle: www.andreas-schager.info
Richard Strauss, Ariadne auf Naxos
Staatsoper unter den Linden, 13. September 2020
von Jürgen Pathy
Freizügigkeit oder Treue. Sowohl in der Kunst als auch in der Liebe. Basierend auf Hugo von Hofmannsthals Libretto ist das die entscheidende Frage in Richard Strauss‘ Oper „Ariadne auf Naxos“. Zwischen diesen beiden Prinzipien bewegen sich die frivole Zerbinetta, die von Sarah Aristidou stimmlich akzeptabel verkörpert wird, darstellerisch viel zu harmlos, und Ariadne, die Frau, die nur einmal liebt und sich nach dem Tode sehnt. Letztere von Anna Samuil zu stürmisch, zu dramatisch und ohne jeglichen Schöngesang dargeboten.
Ein Gott für alle Fälle
Bei Andreas Schager, der in die Rolle des Bacchus schlüpft, stellt sich die Frage zwischen Freizügigkeit oder Treue erst gar nicht. Zu keinem Zeitpunkt der Aufführung, mit der die Berliner Staatsoper die neue Saison eingeläutet hat, kommen irgendwelche Zweifel auf: Schager ist der heldentenorale Gott unter den Linden! Wer derart beeindruckend und gewaltig zu „becircen“ weiß, wie der gebürtige Österreicher, der seit Jahren zur Creme de la Creme seines Fachs zählt, dem gebühren Treue, Liebe und noch viel mehr zugleich. Als Bacchus zeigt Schager, dem die lange Corona-Pause anscheinend wohl bekommen ist, mal wieder wo der Hammer hängt. Und zwar in Rohrbach an der Gölsen, wo der 48-Jährige geboren wurde.
Egal, ob bei den „Circe, circe“-Rufen, die er mit einer Selbstverständlichkeit in den Saal trällert, als gäbe es nichts Einfacheres auf dieser Welt, oder bei den lyrischeren Stellen, wo feinere Übergänge zu gestalten sind, Schager triumphiert in allen Lagen. Und wie! Die Stimme klingt voluminöser, kräftiger und ausgeruhter als je zuvor. Kein Wackler, kein Wegbrechen, keine Intonationsfehler. Nada. Null! In allen Belangen eine Meisterleistung und sinnlich ausdrucksstarker Gesang. Einfach eines Gottes würdig!
Ebenso beeindruckend einige kleinere Partien. Explizit zwei Stimmen, die im tieferen Fach angesiedelt sind. Nicht nur Bariton Gyula Orendt, der als Harlekin ein großes Rufzeichen hinter seinen Namen pflanzt, auch David Oštrek als Lakai, weiß mit seiner geschmeidig geführten Bass-Stimme zu überzeugen.
Das Dirigat des Jungspunds
Das kann auch Thomas Guggeis teilweise. Dass der blutjunge Bayer, der seit dieser Saison nun offiziell neuer Staatskapellmeister des Hauses ist, weiß, wie man ohne große Erfahrung sicher durch eine Strauss-Oper manövriert, hat er bereits 2018 bewiesen. Damals noch als Einspringer für Christoph von Dohnányi. Der hatte die „Salome“, so hieß es zumindest, wegen „künstlerischer Differenzen“ mit Regisseur Hans Neuenfels geschmissen. Neuenfels ist es übrigens auch, der für diese Ariadne-Inszenierung verantwortlich ist. Damals wie heute, scheint Guggeis es mit Fassung zu tragen, dass das „Enfant terrible“ der Opernregisseure, mal wieder überdimensionale Phallus-Symbolik mit ins Spiel bringt.
Guggeis‘ Dirigat wirkt durchsichtig, klar, und geprägt von großer Selbstsicherheit. Vor allem im Vorspiel und im Intermezzo. Die Oper, insbesondere der Schlussteil, könnten jedoch etwas mehr Würze und Energie vertragen. Obwohl der Klangteppich, den Guggeis der Staatskapelle Berlin zu entlocken vermag, in einem strahlend-gleißenden Licht leuchtet, der dramaturgische Spannungsaufbau, der fehlt zum Ende hin ein wenig. Dennoch in Summe ein gutes Dirigat. Bedenkt man vor allem das Alter des jungen Mannes, der sich irgendwo in den Mittzwanzigern bewegt, dann kann man sich noch viel erhoffen!
Roman Trekel gefällt als Musiklehrer. Viel mehr als das, nämlich brillieren, kann Mezzo-Sopranistin Katharina Kammerloher als Komponist. Und Elisabeth Trissenaar, der die Ehre gebührt, als Frau in die Hosen des Haushofmeisters zu schlüpfen, erledigt ihren Job mit der notwendigen Mischung aus Charme und Überzeugungskraft. Das Publikum, coronabedingt schwer dezimiert, dankt es mit lautem Applaus.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 16. September 2020, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at