Elsa Dreisig (Gräfin Madeleine), Mika Kares (La Roche, Theaterdirektor), Salzburger Festspiele © Marco Borrelli
Den größten Jubel erntete verdient Elsa Dreisig als Gräfin, eine neue geniale Silberfürstin mit kristalliner Kopfstimme wie einst eine Gundula Janowitz. Am Pult machte Christian Thielemann seinem Ruf als genialer Strauss-Dirigent alle Ehre: Die leise, filigrane Musik ist bei ihm bestens aufgehoben.
Richard Strauss: Capriccio
Ein Konversationsstück für Musik. Op.85
Elsa Dreisig Die Gräfin
Christoph Pohl Der Graf, ihr Bruder
Sebastian Kohlhepp Flamand, ein Musiker
Konstantin Krimmel Olivier, ein Dichter
Mika Kares La Roche, der Theaterdirektor
Ève-Maud Hubeaux Clairon, die Schauspielerin
Jörg Schneider Monsieur Taupe
Tuuli Takala Eine italienische Sängerin
Josh Lovell Ein italienischer Tenor
Torben Jürgens Der Haushofmeister
Daniel Froschauer Violine
Raphael Flieder Violoncello
Jobst Schneiderat Cembalo
Wiener Philharmoniker
Leitung: Christian Thielemann
Salzburg, Großes Festspielhaus, 31. Juli 2024
von Kirsten Liese
An der Gründung der Salzburger Festspiele im August 1920 war Richard Strauss beteiligt. Entsprechend steht sein Oeuvre in der Mozartstadt in Tradition, allen voran sein Rosenkavalier.
Vergleichsweise selten allerdings hat der geniale Strauss-Dirigent Christian Thielemann eine Oper des Spätromantikers in Salzburg dirigiert – bedingt durch seine parallelen Einsätze in Bayreuth.
Streng genommen erinnere ich mich nur an eine einzige bisherige Produktion: Die Frau ohne Schatten 2011. Mit einer Inszenierung von Christof Loy, die mehr Hörtheater bot als Regie, war ausgerechnet sie das beste Beispiel dafür, dass eine konzertante Aufführung mitunter einen größeren Wert beschert als eine verunglückte statische Produktion, für die unnötig viel Geld für eine untaugliche Szene vergeudet wurde.
Kurzum: In Thielemanns Bayreuth-freiem Jahr bot sich nun die Lücke, wieder einmal in Salzburg Oper zu dirigieren. Dabei erscheint die Entscheidung für eine konzertante Aufführung noch aus einem anderen Grund als dem verbreiteten Regie-Elend plausibel: Capriccio ist ein Konversationsstück ohne eine Handlung, es wird darin überwiegend philosophiert.
Flamand und Olivier, der Musiker und der Dichter, die in ihrem Begehren um die Liebe der Gräfin Madeleine rivalisieren, diskutieren über die Prioritäten einer Oper: Prima la musica e dopo le parole oder prima le parole e dopo la musica, will heißen: Hat die Musik vor dem Text Vorrang oder der Text vor der Musik? Versteht sich, dass jeder seine Kunst als die vorrangige ansieht. Im erweiterten Diskurs mit dem Theaterdirektor La Roche, der Gräfin und ihrem Bruder, streift der Dialog zudem das Thema Textverständlichkeit von Sängern – unabhängig von der Güte der Texte selbst – sowie die schwindende Kunst des Belcanto Gesangs. Manchen Satz darunter würde man heute noch unterschreiben, es darf geschmunzelt werden. So auch über die eine oder andere Randbemerkung über die italienische Oper oder augenzwinkernde Eigenreferenzen an Werke wie Ariadne, Daphne und Liebe der Danae.
Capriccio ist indes nicht nur die letzte Oper des gebürtigen Münchners Strauss, sondern eine seiner intimsten, streckenweise reine Kammermusik, die der Komponist in seiner fortschreitenden Parlandosüchtigkeit im Laufe seines Schaffens mit einigen gesprochenen Dialogen durchsetzte.
Eine solche leise, filigrane Musik ist freilich bei Thielemann mit seinem subtilen Dynamisieren bestens aufgehoben, schon das zarte Vorspiel, ein Streichsextett, befördert einen unversehens in einen ganz anderen weltentrückten Kosmos voller Seligkeit.
Noch ein weiteres Mal schleicht sich in die Partitur ein kammermusikalischer Exkurs, ein Trio für Violine, Violoncello und Cembalo, eine Stilkopie in Anlehnung an barocke virtuose Triosonaten und frühklassische Kammermusik von Joseph Haydn. Diese Melange hat es im Zusammenspiel angesichts vieler vertrackter, diffiziler Skalen und Girlanden ganz schön in sich, erweist sich mithin als recht dankbares Intermezzo für so treffliche Musiker wie Daniel Froschauer und Raphael Flieder aus den ersten Reihen der Wiener Philharmoniker, die sich hier einmal auf der Bühne präsentieren. Begleitet von Jobst Schneiderat am Cembalo musizieren sie die Petitesse mit Akkuratesse und Leichtfüßigkeit.
Eigentlich, mag man denken, wäre diese Musik in einem kleineren Raum wie dem Haus für Mozart besser aufgehoben, von der hauchfeinen Kammermusik werden womöglich die Zuschauer in den obersten Reihen wenig gehört haben. Aber zum Glück gibt es ja noch die Sänger!
Die wichtigste und am zweiten Abend verdient am meisten bejubelte Person ist Gräfin Madeleine, die in Elsa Dreisig eine geniale Interpretin gefunden hat. Sie gefällt mir noch besser als Camilla Nylund, die diese Partie zuletzt unter Christian Thielemann in Dresden sang.
Schon seit längerer Zeit verfolge ich den Werdegang der Sopranistin, die Daniel Barenboim in den Anfängen ihrer Karriere an die Berliner Staatsoper holte und die sich schon damals mit ihrem kultivierten Singen, der schlanken Führung ihres Soprans und der silbrigen Kopfstimme als angehende große Lyrische empfahl. Inzwischen stelle ich sie sogar mit den legendären Silberfürstinnen von einst auf eine Stufe, Elisabeth Schwarzkopf, Lisa Della Casa und Gundula Janowitz.
Der lange Schlussgesang der Gräfin, überhaupt in seiner Beseeltheit die herrlichste Musik der gesamten Partitur, liefert dafür nachdrücklich den Beweis.
Auch deshalb, weil Dreisig mit Noblesse den weisen Worten Madeleines Bedeutung gibt, die sich schwer damit tut, sich für einen der beiden Verehrer zu entscheiden. Gewinnt sie den einen, verliert sie den anderen, resümiert sie. Verliert man nicht immer, wenn man gewinnt? Sätze, über die deren Paradoxie nachzudenken sich wahrlich lohnt.
Kristallin und schwerelos tönen ihre Spitzentöne bis in höchste Register hinauf, zudem sinnlich schön und vornehm. Wann und wo hat man das zuletzt schon so gehört?
Alle übrigen Partien mögen einem undankbarer erscheinen, weil sie ihren Interpreten kaum einmal Gelegenheit zu einer längeren ariosen Passage bieten. Aber Capriccio ist nun mal kein Stück, in dem sich mit imposantem Volumen, virtuosen Koloraturen oder prächtigen Melodien glänzen ließe, die große Kunst liegt hier ganz und allein in feinsinnigen Qualitäten, wie sie der Liedgesang erfordert.
Und darauf verstehen sich Sebastian Kohlhepp mit seinem in allen Lagen agilen Tenor, den Baritonen Konstantin Krimmel und Christoph Pohl (Einspringer für den erkrankten Bo Skovhus in der zweiten Vorstellung) sowie Ève-Maud Hubeaux als schalkhafter Schauspielerin Clairon aufs Vorzüglichste. Weniger biegsam mutete allein der Bass von Mika Kares als Theaterdirektor La Roche an, er brachte mehr Sprechtöne hervor als Musik.
Und das Orchester? Das sitzt keineswegs auf der Bühne wie im Konzert, sondern im hochgefahrenen Orchestergraben, und das aus gutem Grund:
Zwar sehe ich, wie Christian Thielemann bisweilen die Hand zum Mund führt, um es anzuhalten, die feingliedrigen Parlandos noch leiser zu begleiten. Aber natürlich muss das Orchester mal aufdrehen dürfen. Sonst wäre Strauss auch nicht Strauss. Dafür bieten die instrumentalen Überleitungen zwischen den Parlandi Gelegenheit, die Thielemann dafür nutzt, den prächtigen Großklang dieses Orchesters zu entfalten, insbesondere vor dem letzten großen Auftritt der Gräfin.
Herrlich tönt das, süffig, beglückend, magisch.
Richard Strauss, da bin ich mir ganz sicher, hätte an dieser Vorstellung ebenso große Freude gehabt wie das Publikum, das das ganze Ensemble groß feiert, allen voran Elsa Dreisig und Christian Thielemann.
Kirsten Liese, 1. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss, Capriccio Prinzregententheater, München, 17. Juli 2022 Premiere