Foto: G. Groissböck, © Wilfried Hösl
Nationaltheater, Bayerische Staatsoper, München, 21. Juli 2021
Richard Strauss, Der Rosenkavalier
von Willi Patzelt
Der gute alte Rosenkavalier in der Inszenierung von Otto Schenk (Premiere 1972!) hatte in München Kultstatus. Generationen von Zuschauern liebten ihn, die älteren bekommen heute mitunter noch feuchte Augen, wenn sie – nicht selten in fast schon anbetender Manier – Geschichten von Rosenkavalieren mit Carlos Kleiber, Brigitte Fassbaender und den anderen großen Namen erzählen. Dieses Werk in München neu zu inszenieren war also eine riskante Aufgabe. Um es vorwegzunehmen: Regisseur Barrie Kosky hat sie bestens gemeistert. Zusammen mit einer großartigen Sängerbesetzung und klugen musikalischen Interpretation, bekam man am 21. Juli in der Staatsoper großes Musiktheater geboten!
„Vom Ochs hängt der Erfolg der Oper ab“ schrieb Richard Strauss selbst kurz vor der Premiere 1911. Dieser Erfolg war am Abend vorher noch gefährdet. Der ursprünglich als Ochs eingeplante Christof Fischesser war erkrankt, Günther Groissböck sprang ein. Nun ist Fischesser – er war bereits öfter in München in den letzten Wochen als Ochs zu erleben – ein wirklich hervorragender Ochs. Aber wenn man glaubt es geht nicht mehr, kommt von irgendwo der Groissböck her. Er ist aktuell das Nonplusultra für diese Rolle. Man könnte fast meinen, er wäre hauptberuflicher Ochs-Darsteller.
Seine Interpretation des Ochs ist nicht einfach die eines stumpfen, dauergeilen (Arschl)ochs. Vielmehr zeigt er einen einsamen, sich in Prahlerei flüchtenden, lüsternen Adeligen, der seine Minderwertigkeitskomplexe mit Standesdünkel zu kompensieren versucht. Alles interpretiert in herrlich authentischem österreichischen Dialekt, lässt er auch die komödiantischen Seiten dieser Rolle nicht zu kurz kommen.
Und auch alle anderen Rollen sind hervorragend besetzt. Marlis Petersen gibt eine sich nicht nur nach Jugend sehnende, sondern auch wirklich jung gebliebene Marschallin, die sie in aller Verletzbarkeit und Zartheit zeigt. Samantha Hankeys Octavian passt herrlich dazu. In den wunderbaren Marschallin-Octavian-Szenen zu Beginn und am Ende des ersten Aktes ergänzen sich Petersen und Hankey auf das Beste. Vielleicht könnte dem Octavian eine größere Kindlichkeit an manchen Stellen nicht schaden. Octavian kommt mit seinen 17 Jahren womöglich zuweilen, gerade im 3. Akt, zu erwachsen daher. Liv Redpath zeigt Sophie wirklich als 15 Jahre altes Mädel. Ihr heller Sopran könnte hin und wieder noch tragender sein. Jedoch passt gerade das sehr gut zu der Rolle einer 15-jährigen.
Wie befremdlich wirkt es doch irgendwo immer, wenn zum Beispiel die in etwa gleichaltrige Eva aus den Meistersingern, von riesigen Sopran-Stimmen gesungen wird. Nun, es ist aus Gründen der Orchestrierung notwendig, jedoch hätte man sich bei Sophie teilweise ein etwas mehr zurückgenommenes Orchester gewünscht, um ihre Zartheit und ihre Kindlichkeit noch mehr wirken zu lassen.
Allgemein überzeugt das Bayerische Staatsorchester – natürlich – auf ganzer Linie. Jurowski gelingt vor allem eine brillante Tempogestaltung, die nun im Rosenkavalier zuweilen einer Quadratur des Kreises gleicht: Strauss’ rasche Metronomangaben stehen in teilweise wirklich krassem Gegensatz zur Möglichkeit der Textverständlichkeit. Und auch die Walzerübergänge gelingen gut. Wer freilich jene Übergänge von Kleiber-Aufnahmen im Ohr hat, der ist, so einst der ehemalige stellvertretende Solo-Oboist in München, Klaus König, irgendwo „versaut“ mit der Kleiber-Interpretation.
Jurowski zeigt die herrlich dahinschmelzenden Stellen, wie die Begegnung von Octavian und Sophie („ist wie ein Gruß vom Himmel“), aber auch die Modernität dieses Werkes, das viel zu häufig als ein Rückschritt nach Elektra und Salome in Strauss’ Oeuvre gesehen wird. Jurowski dirigiert, mit aller Hingabe für den Schmelz, einen zukunftsweisenden Strauss. Und das ist gut so. Schließlich steckt in diesem Werk (noch) mehr als „nur“ eine gezuckerte Walzer-Komödie.
Dies stellt auch gerade die Herausforderung für den Regisseur dar. Koskys Inszenierung zeigt die Geschichte aus drei Perspektiven. Im ersten Akt aus der mit der Vergänglichkeit hadernden Marschallin, im zweiten aus der Traumwelt Sophies und im dritten aus der des gewieften Oktavians. Am Ende hat man das Gefühl, es kommen im großen Schlussterzett („Hab’s mir gelobt“) alle drei Perspektiven zusammen und wie in einer chemischen Reaktion wird, durch die musikalische Reaktion, etwas Neues in der Musik frei. Otto Schenk bezeichnete dies als die „Auflösung von Liebe in Musik“. Auch als Zuschauer stellt man sich dann die Frage der Sophie am Ende „Ist’s ein Traum, kann es wirklich sein?“.
Willi Patzelt, 23. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss, Der Rosenkavalier Bayerische Staatsoper, München, 21. Juli 2022
Richard Strauss, Der Rosenkavalier Bayerische Staatsoper, München, 8. Mai 2022
Richard Strauss, „Der Rosenkavalier“, Garsington Opera, 6. Juni 2021