Der Rosenkavalier an der Berliner Staatsoper lässt einen gewöhnlichen Dienstagabend im Dezember erstrahlen

Richard Strauss, Der Rosenkavalier  Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 19. Dezember 2023
Der Rosenkavalier – Staatsoper Unter den Linden, Fotos Premiere 2020 © Ruth Walz


Der Rosenkavalier
Komödie für Musik in drei Aufzügen
Musik von Richard Strauss
Text von Hugo von Hofmannsthal

Musikalische Leitung   Joana Mallwitz
Inszenierung   André Heller
Mitarbeit Regie   Wolfgang Schilly
Bühnenbild   Xenia Hausner
Kostüme   Arthur Arbesser

Feldmarschallin Fürstin Werdenberg   Julia Kleiter
Baron Ochs auf Lerchenau   Günther Groissböck
Octavian   Marina Prudenskaya
Herr von Faninal   Roman Trekel
Sophie   Golda Schultz
Junger Marianne Leitmetzerin   Anna Samuil
Valzacchi   Karl-Michael Ebner
Annina   Katharina Kammerloher

Staatskapelle Berlin
Staatsopernchor
Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 19. Dezember 2023

von Sandra Grohmann

Beklommen, wie nach jeder gelungenen Komödie, und glücklich verlasse ich die Staatsoper Unter den Linden. Und das an einem Dienstagabend im Dezember, nach einer Repertoire-Aufführung des Rosenkavalier in der nun auch schon wieder fast vier Jahre alten, vor allem durch ihre Opulenz bestechenden Inszenierung von André Heller.

Aber was für eine Vorstellung das war! Nicht nur handelte es sich um Joana Mallwitz’ zweiten Abend an diesem Haus nach ihrem Debüt am vergangenen Samstag, sondern die Sängerriege hätte durchaus auch die Premiere bestreiten können.

Vorab hatte ich allerdings die Aufgabe zu bewältigen, alle Stimmen vom Wochenende auszuschalten. In meinem Umkreis war nämlich schon Einiges über das Dirigat zu vernehmen gewesen – von „zu spitz“ bis „ich hätte mittanzen können“ –, und während eine meiner Lieblingsfreundinnen meinte, erstmals die Figur der Feldmarschallin, interpretiert von Julia Kleiter, verstanden zu haben, kritisierte ein Kollege diese Sängerin, ohne sie in der Rolle gehört zu haben. Es ist schwierig, unvoreingenommen zu hören, wenn einem so viel mitgegeben wird. Diese Filter musste ich also erst einmal von meinen Ohren nehmen: Das hatte ich mir auf dem Hinweg schon fest vorgenommen und das habe ich wohl auch hinbekommen. Gottlob.

Denn eine bessere Feldmarschallin hätte ich mir nicht wünschen können. Zusammen mit Golda Schultz als Sophie bildete Julia Kleiter das strahlende Doppelgestirn des Abends: Rollengerecht erklang für die Fürstin ein glitzernder, strahlender, zugleich voller und niemals scharfer Sopran. Vorzügliche Textverständlichkeit, die aber niemals zulasten der Musik ging, und ein Spiel, das in großer Ruhe ohne große Gesten stets die Verfasstheit der Figur nicht nur auf die Bretter brachte, sondern augenfällig machte und zu Herzen gehen ließ, taten ihr übriges. Freude am Gesang gesellte sich zu der Melancholie, die sich mir hier mitteilte.

Ebenso rollengerecht der samtige, butterweiche Sopran von Golda Schultz. Einfach herrlich! Das Jungmädchenhafte und zugleich Eigensinnig-Dickköpfige der Sophie brachte die Sängerin bestens zum Ausdruck. Sie nimmt mit diesen Berliner Vorstellungen übrigens zugleich Abschied von der Rolle, die sie lange verkörpert hat. Mit ihren inzwischen 40 Jahren mag dies angemessen erscheinen, obwohl man ihr die Fünfzehnjährige, erstaunlich genug, sowohl stimmlich wie auch darstellerisch immer noch abnimmt.

Als dritte große Frauenstimme gesellte sich Ensemblemitglied Marina Prudenskaya hinzu. Sie begeisterte vielleicht nicht ganz so wie die anderen beiden, zeigte insbesondere im zweiten Akt durchaus mal gleichsam kleine Schwächeanfälle, hatte ja aber auch die weitaus größere Partie zu bewältigen und trug insgesamt mit ihrer klaren und kräftigen Stimme sehr gut durch den Abend. Das letzte Terzett und das Schlussduett Oktavian-Sophie, auf das ich mich immer besonders freue, meisterten Sängerinnen und Orchester gemeinsam zart und spannungsvoll.

Der Rosenkavalier – Staatsoper Unter den Linden © Ruth Walz

Günther Groissböck als Ochs ist immer ein verlässlicher, großartiger Gegenpart und Partner zugleich. Vor allem Julia Kleiters Bühnenpräsenz war ihm unerwartet ebenbürtig, was zu einem wunderbaren Gleichgewicht führte. Was für ein Blickduell im letzten Akt!

Der Rosenkavalier – Staatsoper Unter den Linden © Ruth Walz

Es klingt vielleicht ein wenig gemein, das so zu sagen, aber Groissböck lieferte genau das, was von ihm zu erwarten war. Dabei ist das wahrlich nicht wenig – nur schon so oft besprochen und bejubelt, dass dem zum Darstellerischen und Sängerischen (von der Stimmfärbung und -führung bis zur scheinbaren Mühelosigkeit) nichts mehr hinzuzufügen ist. Warum er nach dem ersten Akt auch zwei, drei Buhrufe erntete, erschloss sich mir nicht. Für mich ist es jedes Mal nicht nur ein wahrhaft lerchenauisch, sondern ganz und gar ein Glück, ihn in dieser Rolle zu erleben und zu hören.

Bleiben Orchester und Dirigentin. Die Staatskapelle selbst war, der Mimik beim Schlussapplaus nach zu urteilen, von Mallwitz offenbar weniger begeistert als das Publikum, das der Dirigentin ebenso wie der Staatskapelle Berlin zujubelte. Auch hier wieder ein, zwei Buhrufe, aber weit überwiegend Begeisterung. Aus dem Orchestergraben war davon nichts zu spüren. Merkwürdige Diskrepanz.

Der Rosenkavalier – Staatsoper Unter den Linden © Ruth Walz

Erlebt habe ich eine teils sehr filigrane, teils etwas zu massige Interpretation, die im zweiten Akt die Sänger gelegentlich ein wenig übertönte – mag sein, dass es das war, was zulasten von Prudenskaya ging. Auch die Walzer gerieten gelegentlich zu schwer und ließen meine Beine jedenfalls nicht zucken. Das nimmt der Oper ein Stück ihrer beklemmenden Ambivalenz: Schade, denn, wie gesagt, gerade die großen Komödien legen einem die schwersten Eisen um die Brust.

Wo das Orchester aber etwas zurückgenommener spielte, kam der ganze weanerische Kosmos zum Vorschein. Die Oboe klagte, die Harfe funkelte und vor allem: Die Generalpausen atmeten. Die Spannungsbögen ließ Joana Mallwitz so halten, dass die Welt für einen Moment aufhörte, sich zu drehen. Langer Atem – und dann weiter in die Kurve. Auch das ist Walzerkunst, das vermittelt die Melancholie des Stücks und das führte gemeinsam mit der gesanglichen Leistung schließlich doch dazu, dass ich das Opernhaus glücklich und beklommen zugleich verließ.

Was für ein Dienstagabend.

5 Gedanken zu „Richard Strauss, Der Rosenkavalier
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 19. Dezember 2023“

  1. Liebe Kollegin,

    Julia Kleiter war bei der gestrigen Vorstellung leider wirklich keine ideale Feldmarschallin. Singen konnte sie das alles, nur leider ordnete sie sich musikalisch wie szenisch ziemlich hinter allen anderen ein – ganz, wie man das in einer Mozart-Oper erwarten würde – anstatt sich als Herrin ihres Hauses zu behaupten. Eine geniale Sängerin, aber keine Marschallin, vor der sich ein Vorstands-Unterkommissarius gehorsamst retiriert. Ich wollte ihr eine Chance geben, aber diese Rolle braucht einfach eine Isolde und keine Fiordiligi.

    Joana Mallwitz fand ich Welten besser als die bisherigen Dirigenten dieser Inszenierung, denn anders als bei Zubin Mehta oder Alexander Soddy (Simone Young habe ich nicht gesehen) wurde im Graben endlich mal im Grandezza gewalzert und nicht marschiert. Alles konnte aber die statische, leblose Regie nicht kompensieren, diese gehört sofort wieder abgesetzt. Notfalls einfach den Kosky-Rosenkavalier aus München übernehmen…

    Johannes Fischer

    1. Dissens, lieber Kollege, belebt das Geschäft. Der Unterkommissarius retiriert sich nicht vor einer Isolde, sondern vor einem Rang, der keine wagnerische Dramatik braucht, um sich Geltung zu verschaffen. Der auch durch leise und nachdenkliche Töne geltend gemacht werden kann. Wer Isolde-Grandezza erwartet, das muss ich leider sagen, der reduziert die Feldmarschallin auf ein Klischee, eine Plattitüde, ein Abziehbild. Dass sie so viel mehr ist als das, dass ihr Hofmannsthals Philosophie in die Rolle geschrieben ist (die Zeit! das größte aller Themen!), darf in keinem dramatischen Sopran untergehen. Also: keine Fiordiligi, richtig. Aber um Gottes willen auch keine Isolde. Julia Kleiter hat es ganz genau getroffen.

      Sandra Grohmann

      1. Liebe Kollegin, natürlich darf die Zeit und das Philosophieren bei der Marschallin nicht in übertriebener Wagner-Dramatik untergehen. Das Problem ist vielmehr andersrum: Auch und gerade eine Isolde sollte durchaus leise und nachdenkliche Töne auf die Bühne bringen, leider wird aber gerade diese Rolle allzu oft von übereifrigen und viel zu laut singenden Tristan-Tenören nahezu überrollt. Gerade bei Andreas Schager könnte man meinen, er würde die Isolde gerne aus dem Titel streichen und die Handlung ganz für sich beanspruchen. Das sollte so nicht sein. Die Isolde ist genau wie die Marschallin Herrin ihres Hauses. Eine ideale Marschallin sollte alle Barone dieser Welt zum Antichambrieren bringen, und zwar nicht wie Brünnhilde mit Schwert und Ross, sondern mit Stimme und stiller Souveränität. Julia Kleiter hat sich gegenüber den anderen SängerInnen leider etwas vornehm zurückgehalten.

        Johannes Fischer

  2. Da kann ich Sandra Grohmann nur beipflichten: Um Himmels willen bitte keine Isolde als Feldmarschallin, das ist eine hochdramatische und fundamental andere Partie (auch wenn es heute kaum noch Hochdramatische gibt)!, die Marschallin eine feinsinnige lyrische!

    Und: nein, bitte keine Inszenierung von Barrie Kosky. Das „jüdische schwule Känguruh“, wie Kosky sich selbst einmal scherzhaft charakterisierte, überdreht ja doch meistens alles, versteht sich leider wenig auf sublime, ernste Töne , wovon sein Münchner „Rosenkavalier“ Zeugnis gibt. André Hellers „Rosenkavalier“ macht zwar auch nicht glücklich, erscheint mir im Vergleich noch als das kleinere Übel.

    Kirsten Liese

    1. Die Marschallin braucht eine Isolde, die auch Rosalinde singen kann. Und die Kunst des Rosenkavaliers ist ja gerade, dass die ernsten Elemente auf die subtile Ebene versetzt werden, dadurch viel realitätsnäher und glaubhafter als in den ganzen tragischen Opern kommuniziert werden und das Publikum mit kritischen Fragen statt Tränen nach Hause geht. Kosky ist der einzige Regisseur, der das Lustige und das Ernste dieser Komödie für Musik schmackhaft zu vereinen weiß. Hellers Inszenierung passt einfach nicht zur Musik, die ist bei mir schon beim Vorspiel mit den Strauss und Hofmannsthal-Porträts durchgefallen. Weiß Herr Heller überhaupt, was da hinter geschlossenem Vorhang passiert?

      Johannes Fischer

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert