Christian Thielemann dirigiert "Die Frau ohne Schatten" in den musikalischen Olymp

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten  Wiener Staatsoper, 24. Oktober 2023 

Tanja Ariane Baumgartner (Amme), Andreas Schager (Kaiser) © Michael Pöhn, Wiener Staatsoper

Richard Strauss
Die Frau ohne Schatten

Inszenierung: Vincent Huguet

Besetzung:
Andreas Schager, Elza van den Heever, Tanja Ariane Baumgartner, Clemens Unterreiner, Tomasz Konieczny, Elena Pankratova u.a.

Wiener Staatsopernchor
Orchester der Wiener Staatsoper
Dirigent: Christian Thielemann

Wiener Staatsoper, 24. Oktober 2023 

von Herbert Hiess

Anlässlich der Dernière der aktuellen Aufführungsserie von Richard Strauss Monsteroper „Die Frau ohne Schatten“ müsste man wieder die Plattitüden „Sternstunde“ usw. verwenden – da aber diese Serie schon vielfach in diversen Medien besprochen wurde, wird das tunlichst hier unterlassen.

Vielmehr bietet es Gelegenheit, etwas innezuhalten und über die Situation bei den Dirigenten zu diskutieren. Christian Thielemann, der sich immer wieder selbst „understatementhaft“ als Kapellmeister bezeichnet, hat hier in dieser letzten Aufführung schmerzlich bewusst gemacht, dass er heute einer der ganz wenigen ist, die das Attribut „Stardirigent“ tragen dürfen.

Wenn man sich die heutige Szene der Dirigenten betrachtet und Vergleiche mit vor über 20 Jahren zieht, könnte man – noch höflich formuliert – sehr nachdenklich werden. Hatte man damals die Auswahl von Künstlern wie Karl Böhm, Herbert von Karajan, Lorin Maazel, Claudio Abbado, um nur einige zu nennen, ist die Auswahl von tatsächlichen Kapazitäten heute nur auf Persönlichkeiten wie Christian Thielemann eingeschränkt.

Der deutsche Maestro hat jetzt wieder einmal bewiesen, dass er mit einem Orchester wie dem der Wiener Staatsoper (vulgo Wiener Philharmoniker) vermag, die (musikalischen) Sterne vom Himmel zu holen. Man muss schon sehr lange in die Vergangenheit zurückblicken, wann man solch eine Aufführung in dem Haus am Ring erleben durfte – und landet automatisch bei Karl Böhm. Von dieser Aufführung existiert wenigstens eine CD als Livemitschnitt.

In der bildhaft schönen und intelligenten Regie von Victor Huguet spielt sich das Märchen um die Tochter Keikobads (die Kaiserin) und dem Kaiser ab sowie um die Eheangelegenheiten von Barak und seiner Frau,„die Färberin“.

Richard Strauss fertigte für diese Geschichte eine seiner schönsten Kompositionen an. Wenn dann noch dazu so ausgezeichnete Sängerinnen und Sänger die Besetzungsliste bereichern, kann schon eine Festtagsstimmung ausgerufen werden.

Natürlich ist es schwierig, an die Besetzung der Karl Böhm-Produktion heranzureichen (Rysanek, Nilsson, Hesse, King, Berry); jedoch konnten die Sänger dieser Serie zunehmend überzeugen – vor allem Elza van den Heever als „Kaiserin“. Waren die ersten beiden Akte bei ihr noch nicht so „prickelnd“; den dritten Akt machte sie zum Ereignis. Vor allem der Monolog mit dem Violinsolo war einfach umwerfend.

Tanja Ariane Baumgartner und Elena Pankratova waren ausgezeichnet als Amme und als Färberin; wobei die Amme vor allem im ersten Akt sehr viel zu singen hatte, was Frau Baumgartner mit Bravour bewältigte. Wenn die Damen wortdeutlicher gesungen hätten, wäre es noch eindrucksvoller gewesen.

Bei den Herren bewies Andreas Schager wieder, dass er eine runde und schöne, tragfähige Stimme hat, wobei die musikalische Aussagekraft leider sehr überschaubar ist. Nuancen sind offenbar seine Sache nicht. Und feine Schattierungen kann er offenbar nicht rüberbringen. Da wird leider der Verlust von Stephen Gould äußerst spürbar.

Tomasz Konieczny sprang für den erkrankten Michael Volle als Barak ein. Im Gegensatz zu Volle, der über einen sehr runden und vollen Bariton verfügt, hat Konieczny einen äußerst scharfkantigen und tragfähigen Bariton. Aber er machte trotzdem aus dieser Aufführung ein Fest.

Man sollte das Publikum darüber informieren, dass bei einer solchen Aufführung unbedingt Taschentücher mitzuführen sind. Thielemann und die hervorragenden Sängerinnen und Sänger schafften es regelmäßig, die Tränendrüsen zu aktivieren. Vor allem der Schluss vom ersten Akt (Gesang der Wächter) als auch der Monolog der Kaiserin mit dem Violinsolo im dritten Akt trieben automatisch die Tränen in die Augen. Und nicht zu vergessen die Szene Barak-Färberin im dritten Akt. Thielemann versteht es wie immer bravourös, einen Klangteppich auszurollen, in dem man tief versinken könnte. Das war ein Moment, wo man sich wünscht, dass er nicht aufhören möge.

Man sagt Thielemann nach, dass er einmal gesagt hat, bei „Frau ohne Schatten“ sei das Orchester führend und die Sänger haben dabei keine dominante Rolle. Bei dieser Aufführung war der Beweis gar nicht schwierig – der Maestro und die Philharmoniker waren für diesen grandiosen Abend hauptverantwortlich. Davon kann man noch lange zehren!

Man muss dem aktuellen Operndirektor direkt dankbar dafür sein, dass er das Versagen der Dresdner Semperoper genutzt hat, und Christian Thielemann nun stärker ans Haus am Ring bindet – im April 2024 macht der vom Publikum hochgradig adorierte Maestro mit Wagners „Lohengrin“ wieder seine Aufwartung.

Und so nebenbei: Gottseidank lässt sich Roščić nicht vom „Mainstream“ drangsalieren und beschäftigt nach wie vor russische Künstler – vor allem bei Anna Netrebko macht er nicht halt.

Herbert Hiess, 25. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Wiener Staatsoper, 21. Oktober 2023

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Oper Köln, 17. September 2023

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten San Francisco Opera, 4. Juni 2023

2 Gedanken zu „Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten
Wiener Staatsoper, 24. Oktober 2023 “

  1. Die Einschätzung der aktuellen Dirigentensituation nehme ich gänzlich unterschiedlich wahr. Wir haben heute im Gegenteil eine Vielzahl nicht nur begabter, sondern auch bereits erfolgreicher Dirigenten und Dirigentinnen. Erwähnt seien z.B. Gustavo Dudamel, Klaus Mäkelä, Simon Rattle, Kirill Petrenko, Antonio Pappano, Jakub Hrůša, usw., usw. Karajan und Böhm standen übrigens vor 20 Jahren auch nicht mehr zur Verfügung.
    Bitte ein bisschen weiter über den Brillenrand hinausschauen!

    Peter Sommeregger

  2. Mich stört an dieser Kritik, dass sie nur Götzenverehrung betreibt, aber nichts begründet. Ich erfahre nur etwas über den Geschmack des Schreiberlings, der offenbar ein großer Fan von Christian Thielemann, Karl Böhm und Karajan ist, aber nicht, was deren vermeintliche Einzigartigkeit ausmacht. Er ergeht sich eigentlich nur in Behauptungen. So fällt seine Einschätzung sehr dünn und laienhaft aus. Leser, die die Aufnahme von Karl Böhm nicht kennen, haben davon gar nichts.

    Luisa Schmedt

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