Elektra in der Lindenoper: So singt man die Hamburger Konkurrenz in Grund und Boden!

Richard Strauss, Elektra,  Staatsoper Unter den Linden, 19. Juni 2022

Foto: Vida Miknevičiūtė © Marius Vepsta design

Ein furchterregendes Agamemnon-Motiv, schon beginnt der fesselnde Strudel des Richard Strauss-Krimis. Keine einzige Rolle war unterbesetzt, bei Strauss eine wahre Herausforderung. Aus dem Graben kamen ordentlich krachende Klänge, die Aufführung war ein Sog von Anfang bis Ende!  

Staatsoper Unter den Linden, 19. Juni 2022

Elektra
Musik von Richard Strauss
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

von Johannes Karl Fischer

An dieser Sängerin sollte sich alle Strauss-Sopranistinnen ein Beispiel nehmen. Vida Miknevičiūtė (Chrysothemis) war die unangefochtene Siegerin dieses Sängerkampfes, den Strauss zu Noten gebracht hat! Ihr bissiger Sopran schlug sich durch jeden noch so überwältigen Orchester-Klang durch, das konnte selbst Asmik Grigorian in Salzburg letztes Jahr nicht überbieten.

Das alles, nachdem (Elektra) in ihrem ersten Monolog „Allein! Weh, ganz allein“ mit ihrer ebenfalls kraftvollen, wenn auch etwas runderen Stimme die Ohren im Saal wie ein Orkan auf die Bühne gesaugt hat. Eine Mammut-Aufgabe, das zu toppen, sie stand auf der Bühne und war der unangefochtene Star dieser Szene. Besser könnte man die beiden Schwestern wohl kaum besetzen.  Am Ende die Morde, danach nochmal Chrysothemis’ „Orest! Orest!“, genauso furchterregend wie die fortissimo Pauken und Blechbläser am Anfang. Wie Elektra eben sein muss.

Ricarda Merbeth © Mirko Jörg Kellner

Waltraud Meier war für die Mutter der beiden Töchter mehr als eine Idealbesetzung. 1983 hat sie in Bayreuth als Kundry debütiert, auch ihre Isolde war legendär. Die stimmezerstörenden Wagner-Partien hat sie zum richtigen Zeitpunkt hinter sich gelassen und sich nun als Königin der Klytämnestras gekrönt. Dass sie im tiefen Register stark geglänzt hat, gab der Rolle der bösartigen Mutter eine passende, dämonische Färbung.

Foto: Waltraud Meier, © Monika Rittershaus

René Pape sang den Orest wie ein Göttervater. Seinen mächtigen Bass mit glasklarer Textverständlichkeit macht ihm im Moment keiner nach. Donnernd begann er die erste Zeile „Ich muss hier warten“ – man wusste kaum, ob das ein Gott oder ein Mensch sein sollte. Erst, als er sich seiner wahren Identität entpuppt „Die Hunde auf dem Hof erkennen mich“ wird klar, wen er eigentlich spielen soll. Dieser Sänger wäre die Idealbesetzung für den Wotan! Nur Schauspielern scheint nicht seine Stärke zu sein; über weite Strecken hätte man denken können, er sänge konzertant im Kostüm. 

Aegisth ist wahrhaftig „der Böse“ dieses Stückes. Bei Gerhard Siegel hätte man glatt glauben können, Aegisth würde unter seinem Sakko eine Pistole tragen und alle, die ihm nicht gehorsam sind, damit erledigen. Lange habe ich schon keinen so guten, angstmachenden Sänger in dieser – recht kleinen – Tenor-Rolle gehört.

Von den Mägden bekam die last-Minute-Einspringerin Antonia Ahyoung Kim (4. Magd, für Anna Samuil) am meisten Applaus, völlig verdient. Auch die anderen Vier waren sehr stark besetzt – Roberta Alexander (5. Magd) sang das hohe a „an ELEKtra getan“ so strahlend, da hätte man ihr locker die Titelrolle zugetraut.

Der 29-jährige Staatskapellmeister Thomas Guggeis ließ es im Graben ordentlich krachen, ohne Lautstärke geht’s bei Elektra auch nicht. Die Schlagwerker hielten sich an vielen Stellen die Ohren zu, solche Akustik-Verhältnisse im Graben kennt man sonst nur bei Wagner. Fesselnde Klänge aus dem Orchester, so muss das sein. Auch die Wagner-Tuben – oft die größte Herausforderung des Strauss-Orchesters – waren in Top-Form, daran erkennt man ein wahres Spitzenorchester.

Die Inszenierung von Patrice Chéreau ist mittlerweile ein rares Relikt der Bayreuth-Legende. Alles, was die neue DOB-Meistersinger – die ich am Vorabend gesehen hatte – falsch machen, macht Chéreau richtig: Statt sinnlosem Stuhlschmeißereien eine eher minimalistische Regie, im Vordergrund steht die Musik und das Libretto. Während des Elektra-Monologs passiert – bühnentechnisch – schlicht gar nichts, warum, weil der narrative Gesang auch erzählen und nicht handeln soll.

Im Großen und Ganzen: Das war um Welten besser als die Konkurrenz am Gänsemarkt und überhaupt wahrscheinlich nur durch Salzburg zu überbieten. Kein einziger Buh-Ruf – anders als an der Elbe – zu hören, die wären auch völlig fehl am Platz gewesen. So singt man die Hamburger Konkurrenz in Grund und Boden! Einmal steht die Chéreau-Elektra dieses Jahr noch auf dem Spielplan – am 24. Juni. Wer sie noch nicht gesehen hat, sollte sich das dringend geben – nicht nur, weil Waltraud Meier an anderen Häusern schon Abschiedskonzerte gegeben hat.

Johannes Karl Fischer, 20. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Elektra, Staatsoper Hamburg, 13. April 2022

Elektra, Richard Strauss, Staatsoper Hamburg, 28. November 2021 (PREMIERE)

Richard Strauss, Elektra, Salzburger Festspiele, 1. August 2020

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert