… anders formuliert: Die tumbe Minorität quält die klassik-begeisterte Majorität!
Magdalena Kožená zeichnete mit aller gebotenen Zartheit diesen in der Musik einmaligen Abschied, der in völliger Versöhnung das Selbst in die Weite des Universums entlässt.
Das Klatschen zwischen den Sätzen einer Symphonie und den Liedern eines Zyklus zerstört jegliche Spannung, es macht all diese Werke zu Revue-Nummern und nimmt ihnen Würde und Ausdruck. Offenbar meinen diese Leute, dass, wie in einer Fernseh-Show, jede Leistung sofort durch unreflektierten Applaus beantwortet werden muss.
Foto: Daniel Dittus
Großer Saal der Elbphilharmonie, Hamburg, 7. Juni 2022
Richard Strauss: Metamorphosen
Gustav Mahler: Das Lied von der Erde
Chamber Orchestra of Europe
Simon Rattle, Dirigent
Magdalena Kožená, Mezzosopran
Andrew Staples, Tenor
von Dr. Andreas Ströbl
Eine wehmütige Melancholie färbt die Werke von zwei – zeitweise – musikalischen Weggefährten; beide gelten jeweils als deren persönlichste Äußerungen, beide sind im reifen Schaffensstadium entstanden.
Über der Wehklage „Metamorphosen“ von Richard Strauss aus dem Kriegsjahr 1944 schwebt die Trauer über die dramatischen Kriegsverluste durch die Bombardierung der Kulturstätten, an denen der Komponist gewirkt hatte. Der Titel erinnert an die gleichnamige Dichtung Ovids und Strauss ging es um die Darstellung der Verwandlung der Seele in einen anderen Zustand. Der wehklagende Gestus lässt auch an eine Rückentwicklung zu einem Vorzustand denken, der Musikwissenschaftler Timothy Jackson spricht sogar von einer negativen Umwandlung.
Die Musik hat etwas Ruheloses, die Themen greifen in fugenartiger Verschlingung ineinander und werden unentwegt variiert – es gibt nur eine einzige kurze Generalpause im dritten Abschnitt, in dem auch der Trauermarsch aus Beethovens „Eroica“ zitiert wird. Ansonsten erlaubt das Werk kein Verschnaufen, wirkt getrieben wie eine von Schlaflosigkeit geplagte, trauernde Seele, die sich vom bisherigen Leben verabschieden muss.
Dieser Anspannung gaben Simon Rattle und die Streicherbesetzung des Chamber Orchestra of Europe schon dadurch sichtbare Gestalt, dass sie – bis auf die Cellisten natürlich – alle standen. Die Musikerinnen und Musiker wirkten mitunter, als seien sie eigentlich auf dem Sprung, rastlos und zur nächsten Wandlung bereit. Gerade der Ersten Violinistin Lorenza Borrani kam das Stehen zugute, denn sie gestaltete ihr Spiel mit expressiver Bewegung des ganzen Körpers. Rattle ging immer wieder in das Halbrund vor dem Orchester hinein, pointierte mit dem Zeigefinger einzelne Instrumente und kitzelte mit raschen Fingerbewegungen die nervösen Klänge heraus. Zwischen Dirigent und Orchester entstand so eine intime, energetisch aufgeladene Interaktion, aus der heraus sich dieser Trauerhymnus mit einer beschwörenden Entschiedenheit immer weiter fortentwickelte, bis das Stück mit sanftem Strich verklang.
Nach der Pause gab es das Hauptwerk des Abends, Mahlers symphonischen Zyklus „Das Lied von der Erde“. Leider konnte sich die Wirkung dieser besonderen Komposition, die textlich auf Hans Bethges Nachdichtungen altchinesischer Gedichte beruht, an diesem Abend nur bedingt entfalten, weil das Publikum jegliche Zartheit, Innigkeit und Sehnsucht, die in dieser Musik liegt, totklatschte.
Das Klatschen zwischen den Sätzen einer Symphonie und den Liedern eines Zyklus zerstört jegliche Spannung, es macht all diese Werke zu Revue-Nummern und nimmt ihnen Würde und Ausdruck. Offenbar meinen diese Leute, dass, wie in einer Fernseh-Show, jede Leistung sofort durch unreflektierten Applaus beantwortet werden muss.
Die Leute wissen es offenbar nicht, und so muss man es ihnen eben mitteilen. Das kann auf mehrere Weisen geschehen: 1. Der Dirigent macht einfach ein freundliches, aber klares Zeichen. Das hat die große Jessye Norman mit einer kleinen Bewegung des Zeigefingers an den Mund getan und alle waren mucksmäuschenstill. 2. Es gibt einen Hinweis in einer Einlage des Programmheftes. Am besten in fetten Großbuchstaben. 3. Die Ansage mit dem Hinweis auf mögliche Störgeräusche, die in der „Elphi“ vor jedem Konzert erklingt, wird um einen kurzen Hinweis erweitert. Diese Ansage darf auch ein My lauter als bisher sein.
Dann können diejenigen, die sich wirklich der Musik hingeben wollen, das auch entsprechend tun und sich der Darbietung widmen und nicht vorrangig der eigenen Anwesenheit. Dargeboten nämlich wurde „Das Lied von der Erde“ musikalisch ausgesprochen akzentuiert und differenziert, entsprechend der vielseitigen Klangfärbung dieses Zyklus’. Rattle, nun auf dem Pult, leitete begeisternd engagiert und agil; seine Mimik verriet, wie sehr er in dem Werk aufging.
Das eröffnende „Trinklied vom Jammer der Erde“ beschwört zwar den gemeinsamen Genuss, nach diesem wartet aber bereits der Tod. Und so ist es Zeit, Abschied vom Leben zu nehmen, das ebenso dunkel ist wie sein Ende. Bei aller Stärke musste sich der Tenor Andrew Staples in manchen Passagen anstrengen, um gegen das – weit jenseits kammermusikalischer Lautstärke spielende – Orchester anzukommen. Sein leidenschaftlicher Ausdruck entsprach allerdings ganz dem, was dieses schon durch das Bild des auf den Gräbern heulenden Affen bizarre Stück erfordert.
Das melancholische Lied vom „Einsamen im Herbst“, das durch Textstellen wie „Ich weine viel in meinen Einsamkeiten“ berückt, ließ Magdalena Kožená in aller traurigen Beseeltheit erklingen, fast madonnenhaft im Habitus; mit ihrem kräftigem Mezzosopran zauberte sie ein tönendes Licht wie das der Sonne durch immer karger werdendes Herbstlaub.
In „Von der Jugend“ entspricht dem textlichen Bild des chinesischen Pavillons die Pentatonik, es ist eine Musik gewordene Chinoiserie. Ohne gezwungen exotisch zu wirken, spielt Mahler gerade in diesem Lied liebevoll mit asiatischen Versatzstücken, in seiner frohen Unbekümmertheit von Staples angemessen wiedergegeben.
„Von der Schönheit“ entwirft noch einmal Rückblicke auf idyllische Unbeschwertheit und jugendliche Leidenschaft. Koženás Vortrag mit ihrer sonnigen Ausstrahlung und schelmischen Mimik unterstrich den zügigen Duktus des Liedes, bevor Staples mit dem „Trunkenen im Frühling“ ebenfalls nochmals in scheinbar unbeschwerte Sinnenfreude entführte. Nach dem Betrunkensein folgen das Erwachen und die nüchterne Erkenntnis, dass das endgültige „Adieu“ sich nicht mehr aufschieben oder verdrängen lässt.
Die wehmütig-mahnenden tiefen singulären Bass-Pizzicati im beschließenden „Abschied“ werden mitunter durch sanftes Flehen von Querflöte und Cello beantwortet; überhaupt besticht dieses letzte Stück vor allem durch die Wechsel von Tutti und dann wieder Reduktionen auf Dreierkombinationen von Singstimme und je zwei Instrumenten wie Harfe, Flöte, Cello oder Bass.
Bevor sich der große Vogel zum letzten Flug aufschwingt, drohen noch einmal tiefe Streicher und Tam-Tam, bei Mahler ein klangliches Symbol des Todes. Der ganze Abgrund der Mahler’schen Empfindung entwickelt sich in diesem instrumentalen Intermezzo mit seiner aufrichtigen Bewusstheit der Vergänglichkeit und liebenden Rückschau auf ein Leben, das schließlich übergleitet in die Ewigkeit der licht blauenden Fernen.
Magdalena Kožená zeichnete mit aller gebotenen Zartheit diesen in der Musik einmaligen Abschied, der in völliger Versöhnung das Selbst in die Weite des Universums entlässt.
Beim abschließenden langanhaltenden Applaus wurde die große Harmonie von Orchester, Solisten und Dirigent offenbar. Niemand wird es letzterem übelnehmen, wenn er bei seinem nächsten „Elphi“-Dirigat auch dem Publikum beibringt, was eine Generalpause ist.
Dr. Andreas Ströbl, 8. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Anmerkung des Herausgebers: Das mangelnde Eingreifen der Elphi-Macher in das tumbe, kindliche und rücksichtslose Verhalten vieler Elphi-besucher schädigt dem Ansehen dieses Weltkulturhauses – dem von den Baukosten her teuersten (von den Hamburger Steuerzahlern finanzierten) Konzerthauses der Welt. Mit diesen peinlichen Teil-Publikumsleistungen, die der Mehrheit der Besucher nicht bekommt, kann von der „Musikstadt Hamburg“ nicht ansatzweise die Rede sein. Sehr viele Musiker und Dirigenten sind eh schon genervt…
Andreas Schmidt, 8. Juni 2022
Rotterdams Philharmonisch Orkest, Yannick Nézet-Séguin, Elbphilharmonie, 27. April 2022
Elbphilharmonie Hamburg, Die Jacken der Spacken klassik-begeistert.de, 16. Januar 2022
es ist mir unbegreiflich, warum die elphi-leitung nicht einfach einen den beifall betreffenden absatz ins programmheft druck. im notfall ansagen dazu macht, wie bei den telefonen. ein nebochantes (unwissendes, unfähiges) publikum muss man halt erst zur klassik erziehen.
Es gibt zu allen klassischen Konzerten im Großen Saal im Internet, unterhalb der Angaben zum Programm, neben der Wegbeschreibung zum Platz auch u.a. folgenden ausführlichen Hinweis:
https://www.elbphilharmonie.de/de/mediathek/hier-hort-man-wirklich-alles/146
Man kann niemanden zwingen, das zu lesen und Publikumsbeschimpfungen (siehe oben) helfen keinem. Glauben Sie wirklich, dass Einlageblätter im Programmheft gelesen werden oder Durchsagen gehört werden, wenn man als Tourist nur mal „drin“ gewesen sein will.
Vielleicht sollte man getrennte Konzerte für „Kenner“ und „Laien“ einrichten (Achtung Ironie!) und übrigens, es gibt auch so manches Konzert, in dem alles still bleibt bis zum Ende. Woran das wohl liegt?
Angelika Evers