„Salome“ aus der Scala di Milano: Mehr Kunsthandwerk als Kunst – musikalisch sehr erfreulich

Richard Strauss,  Salome  Teatro alla Scala, Milano, Live-Stream vom 20. Februar 2021

Teatro alla Scala, Milano, Live-Stream vom 20. Februar 2021

Foto: © Teatro alla Scala / Paola Primavera

von Peter Sommeregger

Diese bereits für das Jahr 2020 vorgesehene Premiere musste bedingt durch Covid 19 verschoben werden, was zu einer kompletten Neubesetzung praktisch aller Rollen führte. Bei den Endproben erlitt auch noch der Dirigent Zubin Mehta einen Schwächeanfall, weshalb der Hausherr Riccardo Chailly das Dirigat übernahm.

Das Bühnenbild besteht nur aus einer weißen Wand im Hintergrund, die sich zeitweise teilt, und den Blick in den ebenfalls weißen Bühnenhintergrund freigibt. Im Vordergrund sieht man einen runden Einschnitt in den Boden, darunter liegt die Zisterne. In den ersten Szenen lassen sich durchaus interessante Interaktionen unter den handelnden Figuren beobachten, aber allzu schnell greift der Regisseur Damiano Michieletto zu reichlich abgeschmackten Stilmitteln. Die aktuelle Theaterästhetik hat sich erstaunlich schnell ihre eigenen Klischees geschaffen. Man begegnet ihnen in dieser Inszenierung im Minutentakt. Statisterie simuliert Party-Atmosphäre mit Sektgläsern, der Loser, in diesem Fall Narraboth, trägt einen hässlichen Pullunder, Krawatte und Brille, was Attilio Glaser gottlob nicht daran hindert, diese Rolle mit seinem schönen Tenor perfekt auszufüllen. Frühzeitig taucht auch ein stummes Kind Salome auf, das immer wieder Andeutungen von Kindsmissbrauch ins Spiel bringt, was man inzwischen auch in jeder zweiten Inszenierung erleben kann.

Als der Prophet Jochanaan aus der Zisterne auftaucht, erschrickt man über die geballte Hässlichkeit  seiner Maske und Kostümierung. Das will sich mit der positiven Figur nicht so recht vertragen. Mehr und mehr kommen befremdliche Figuren ins Spiel, so etwa fünf Engel mit schwarzen Flügeln, die etwas undurchschaubare Rituale veranstalten. Sie bilden aber erst den Auftakt zu höchst absonderlichen Entwicklungen. Die fünf Juden beginnen sich während ihres Quintetts auszuziehen, auch das darf natürlich in aktuellen Inszenierungen nicht fehlen.

Gut gezeichnet ist das Tetrarchenpaar. Herodes als lüsternes, korpulentes Ekel, die Herodias als Albtraum einer schmuckbehängten bösartigen Gesellschaftslöwin.

Teatro alla Scala © Andreas Schmidt

Mit dem Fortschreiten der Handlung verfällt Michieletto leider in einen szenischen Overkill, Salomes Tanz findet nicht statt, zu dessen Musik muss sich Salome mehrerer Männer erwehren, die sie vergewaltigen wollen. Immer wieder tauchen auch die irritierenden Engel mit den schwarzen Flügeln auf, zweitweise regnet es schwarze Federn aus deren Flügeln auf die Bühne, es wird unübersichtlich.

Während Salomes Schlussgesang taucht das Haupt des Jochanaan in einem Strahlenkranz aus der Zisterne auf und steigt gegen den Himmel. Vor Salome steht nun ein Gefäß voller Blut, mit dem sie sich einreibt. Mehr und mehr rutscht der Stil der Inszenierung ins Kunsthandwerkliche ab, eine Linie ist nicht mehr erkennbar. Herodes Befehl, Salome zu töten, erklingt folgenlos. Der Vorhang fällt.

Ungleich befriedigender fällt der musikalische Teil des Abends aus. Die Russin Elena Stikhina stattet die Salome mit der geforderten Power, ebenso aber mit schönen lyrischen Passagen aus, einige Piani gelingen ihr besonders gut. Die deutsche Sprache bereitet ihr stellenweise doch Schwierigkeiten, aber das ist verzeihlich. Wolfgang Koch, der als Jochanaan gegen das Handicap einer schauerlichen Optik ansingen muss, lässt leider eine gewisse Neigung zum Tremolo erkennen. Messerscharf und exakt der Herodes von Gerhard Siegel, köstlich als Rollenporträt die langjährige Bayreuther Brünnhilde Linda Watson als Herodias. Auch die kleinen Rollen sind auffallend gut besetzt, so der Page von Lioba Braun, die Nazarener von Thomas Tatzl und Manuel Walser, als erstem Soldaten begegnet man erfreut dem ehemaligen Wiener Ensemblemitglied Sorin Coliban mit seinem kernigen Bass.

Ein kerniger Bass: Sorin Coliban                           © Alexander Zaforek

Das Orchester einzuschätzen ist im Livestream immer etwas schwierig, es fehlt zur Beurteilung der räumliche Klang. Riccardo Chailly jedenfalls leuchtete die geniale Strauss-Partitur mit ihrem schwülen Parfum gekonnt aus.

Peter Sommeregger, 21. Februar 2021, für
klassik—begeistert.de und klassik-begeistert.at

Regie  Damiano Michieletto

Dirigent  Riccardo Chailly

Herodes – Gerhard Siegel

Herodias – Linda Watson

Salome – Elena Stikhina

Jochanaan – Wolfgang Koch

Narraboth – Attilio Glaser

Ein Page der Herodias – Lioba Braun

Fünf Juden – Matthäus Schmidlechner, Matthias Stier, Patrick Vogel, Thomas Ebenstein, Andrew Harris

Zwei Nazarener  – Thomas Tatzl, Manuel Walser

Zwei Soldaten – Sorin Coliban, Sejong Chang

Ein Kappadozier – Paul Grant

Ein Sklave – Chuan Wang

 

 

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