Weltweltweltklasse war Olafur Sigurdarson als Nibelung Alberich. Was dieser kleine Mann an Energie, an Hingabe, an Vielfalt in der Klanggebung, an vollkommener Professionalität darbot, war von einem anderen Stern. Lieber Olafur, Sie sind DER BESTE Alberich der Welt! Sie sind Power pur und stemmen vom piano bis zum fortissimo alles in Perfektion. Sie kommen mitten aus dem Meer, aus Island. Dass Ihr für deutsche Verhältnisse kleines Volk (380.000 Einwohner) einen so herausragenden Bariton hervorbringt, ist beachtlich und beneidenswert. 2000 Menschen waren aus dem Häuschen im Festspielhaus.
Bayreuther Festspiele, 31. Juli 2022
Richard Wagner, Das Rheingold
von Andreas Schmidt
Mittelmaß in Bayreuth: Die Premiere des „Rings des Nibelungen“ gestaltete sich mit dem „Rheingold“ als müde Nummer mit überwiegend guten, aber nicht sehr guten, geschweige denn herausragenden Solisten und einer Inszenierung, die von größeren Teilen des Publikums gnadenlos ausgebuht wurde. Sie ist so schwach wie die Vorjahres-Tristesse mit dem „Fliegenden Holländer“ und seiner Castrop-Rauxel-Reihenhaus-Atmosphäre. Der eingesprungene Dirigent Cornelius Meister packte mit dem Festspielorchester eine ordentliche Leistung, allerdings agierte der Klangkörper in vielen wichtigen Passagen viel zu zaghaft und leise.
Wir vermelden gleich auch Gutes, aber vorab: Die Buh-Rufe nach dem Ende wollten nicht aufhören. Sie galten allein dem Regie-Team, das nicht auf die Bühne kam – erst nach der „Götterdämmerung“ an diesem Freitag. Der Reporter Maximilian Schäffer, 32, von der linken Berliner Tageszeitung „Junge Welt“ sagte: „Hej, so eine Inszenierung würdest Du ja sicher auch hinbekommen.“
Und wahrlich, es war „Bonjour Tristesse“ pur, was dem Zuschauer aus Schwimmbassin, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Garage geboten bekamen. Der für „Kostüme“ zuständige Andy Besuch dürfte Probleme mit Farben gehabt haben, als er die trostlosen Gewänder zusammenstellte. Zentral für die Konzeptionslosigkeit war ein graues Sofa – grau ist glücklicherweise eine aussterbende „Modefarbe“.
Das Peinlichste an diesem Sonntagabend auf dem Grünen Hügel war ein depressiv-schwarzer Hybrid-SUV mit reichlich PS, der für die Handlung vollkommen ! bedeutungslos war – die Riesen steigen mal ein –, nicht bewegt wurde und offensichtlich nur penetrante Schleichwerbung für einen baden-württembergischen Automobilhersteller war. Was soll so ein, pardon, Blödsinn, werter Herr „Regisseur“ Valentin Schwarz aus Oberösterreich?
Die Regie offenbarte unterm Strich ein depressives, negatives Bild. Dass der 33 Jahre alte Herr Schwarz für all diese Peinlichkeiten auch noch einen sechsstelligen Euro-Betrag bekommt, macht die ganze G’schicht um so trauriger.
Stellen Sie sich das vor, liebe Leser: Im ganzen RheinGOLD gibt es NIX Goldenes… Nichts blitzt, nichts glitzert. Sonst wäre es so: Das Gold des Rheines besticht, nimmt ein, verzaubert, erschüttert und lädt zum Träumen ein. In Bayreuth steht eine graue Couch, echt leiwand.
Ich nenne so eine Inszenierung „European trash“.
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„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.“ Mit diesen Worten beschrieb Thomas Mann, immer der von Wagner inspirierte Autor, das Uranfängliche. Ein waberndes Kontra-Es steigt aus dem Graben, der Vorabend zum Ring nimmt seinen Anfang.
In diese düster-ernstliche Stimmung mischt sich der Klang der Wellen, der Vorhang geht auf und die Rheintöchter verstecken sich unter der Bettdecke. Die Sopranistinnen Lea-ann Dunbar (Woglinde) und Stephanie Houtzeel (Wellgunde) und die Mezzosopranistin Katie Stevenson (Floßhilde) sind drei stimmlich blasse, schwache Schwestern. So schwach habe ich noch nie ein solches Trio gehört.
Aber die Musik!!!!! Was für eine hinreißende Musik. Schon der Beginn überwältigt mit dem tiefen Es der Kontrabässe – die Ursuppe, der Anfang allen Seins – erwidert vom Fagott, von den Hörnern mit einer aufsteigenden Melodie übernommen und schließlich in Woglindes vokalbetontem, aus dem Orchesterklang heraus entwickeltem Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege wagala weia! Walala, weiala mündend. Wellgunde und Floßhilde stimmen ein. Musikalisch nimmt der Rhein, Metapher des ewig dahin strömenden Lebens, Fahrt auf. Vom Grunde kommt ein Liebe suchender Alberich, missgestaltet, ein oben Ausgestoßener. Die Rheintöchter necken ihn, versprechen ihm Liebe, die sie ihm gleich wieder entziehen. Alberich schwört der Liebe ab, gewinnt dafür das im Rhein verborgene, Macht versprechende Gold. Wenn schon nicht Liebe, dann wenigstes Macht, mit der man sich Liebe erkaufen oder erzwingen kann.
Oben, auf Bergeshöhen, hadert Wotan mit seiner Gefolgschaft. Er hat sich von den Riesen eine Burg bauen lassen, ohne zu wissen, wie er diese bezahlen soll. Die Riesen, vor allem Fasolt, fordern Freia, die Göttin der Jugend. Wotan lässt Freia ziehen, sehr zum Verdruss der anderen Götter, die ohne Freia zum Altern verdammt sind. Loge weiß Rat, Wotan könne Alberich das Rheingold entwenden und damit die Riesen bezahlen.
Wotan zieht mit Loge in die Unterwelt nach Nibelheim. Im Besitze des aus dem Rheingold geschmiedeten Rings beherrscht Alberich die dort lebenden Nibelungen. Auch sein handwerklich begabter Bruder Mime muss ihm gehorchen, ihm ein Unsichtbarkeit verleihendes Gewirk herstellen. Loge und Wotan übertölpeln Alberich, der mit seinen neu gewonnenen Künsten angibt: Sie bestaunen Alberichs Verwandlung in einen Drachen; suggerieren Alberich aber, dass die Verwandlung in so etwas Kleines wie eine Kröte nicht möglich sei. Alberich fällt auf den Trick herein, Wotan und Loge packen die Kröte und verlangen das Gold, den Tarnhelm und den Ring als Lösung. Alberich kauft sich frei, verflucht aber den Ring.
Wieder oben auf Bergeshöhen wird der Schatz, widerwillig auch der Ring, den Riesen für Freia übergeben. Fafner beansprucht die größere Hälfte für sich, denn er hätte gegebenenfalls ja auf Freia verzichten müssen. Der liebeskranke Fasolt widerspricht, Alberichs Fluch beginnt zu wirken: Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt. Die erschütterten Götter besinnen sich auf ihre wiedergewonnene Jugend und ihr neues Heim auf Bergeshöhen, genannt Walhall. Wotan trauert dem Ring nach.
Richard Wagners geniale Kunst hinterlässt in Summe ein staunendes Publikum im schönen Oberfranken zurück. Das „Rheingold“, dessen Uraufführung zuwider Richard Wagner am 22. September 1869 von seinem Gönner Ludwig II. in die Bahnen geleitet wurde, annähernd in Worte zu fassen, wird immer ein hoffnungsloses Unterfangen bleiben – man muss dieses alle Sinne erfassende Kunstwerk einfach live erleben!
„Hand weg von meiner Partitur! Das rath’ ich Ihnen, Herr; sonst soll Sie der Teufel holen!“ Wagner wehrte sich energisch gegen die Uraufführung seines Rheingolds als einzelne Oper, losgelöst vom Gesamtzyklus. König Ludwig II. bestand jedoch auf der separaten Vorab-Premiere und so wurde „Das Rheingold“ allen Protesten und Drohungen des Komponisten zum Trotz erstmalig in München gespielt. Erst später im Jahr 1876 erklang der gesamte vierteilige Zyklus im Rahmen der ersten Bayreuther Festspiele.
Noch einmal: Schon das Vorspiel entfaltet eine ungeheure Kraft, eine Sogwirkung, derer man sich kaum entziehen kann!!! An diesem Abend war auch das Vorspiel viel zu leise, es mangelte an Energie. Die Kontrabässe beginnen im Unisono. Dazu gesellen sich Hörner, dann die Streicher. Es-Dur-Figurationen fließen ineinander, langsam aber stetig wächst das Klangbild an. Eine Welt entsteht, die atmet und pulsiert. Gehen Teile des Orchesters auch ab und zu unter – die Violinen wirbeln an der sprudelnden Oberfläche, scheinen jedoch nicht darüber hinauszukommen; das dynamisch wallende Anschwellen der Musik gelingt vorzüglich und setzt große Kraft frei.
Getragen vom friedlichen Wallen und Brausen, deutet sich aber auch schon im ersten Bild unbändige Dramatik an: Der süß verlockende Gesang der Rheintöchter, das neckische Spiel mit ihrer Anziehungskraft wird von dem lyrisch-melancholischen Entsagungsmotiv durchbrochen. Das musikalische Geschehen wird gebremst und dadurch Spannung aufgebaut. Die Szenerie gipfelt schließlich in Alberichs moralischer Gewalttat.
Die Rheintöchter sind Wagners persönliche Schöpfung, die übrigen Figuren, Göttergestalten, Riesen und Zwerge, entspringen der nordischen Mythologie. Wasser und Wellen befinden sich in Aufruhr, Wagner lässt es wogen und wallen. Gleich zu Beginn der Aufführung wird man nassgemacht – vom Plätschern und Sprudeln der Musik, von strudelnden Es-Dur-Figurationen. Man wird mitten hineingesogen.
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Wir schreiben hier bei klassik-begeistert viel über Stimmen. Das entfällt heute fast, da fast alle Stimmen leider „nur“ maximal gut waren, was ein Zuhörer in Bayreuth sicher auch mindestens erwarten darf.
Es gab nur drei Sänger, die herausstachen:
Weltweltweltklasse war Olafur Sigurdarson als Nibelung Alberich. Was dieser kleine Mann an Energie, an Hingabe, an Vielfalt in der Klanggebung, an vollkommener Professionalität darbot, war von einem anderen Stern. Lieber Olafur, Sie sind DER BESTE Alberich der Welt. Sie sind Power pur und stemmen vom piano bis zum fortissimo alles in Perfektion. Sie kommen mitten aus dem Meer, aus Island. Dass Ihr für deutsche Verhältnisse kleines Volk (380.000 Einwohner) einen so herausragenden Bariton hervorbringt, ist beachtlich und beneidenswert. 2000 Menschen waren aus dem Häuschen im Festspielhaus.
Okka von der Damerau als Erda, die Frau aus Hamburg ist die Inkarnation der Erda. Sie kommt aus der Tiefe, lässt die 2000 Menschen im Festspielhaus mit ihrem tiefen Register vor Glück erschauern und bleibt trotz ihres kurzen Auftritts im Herzen und in der Seele der Wagner-Liebhaber zurück.
Eine wunderschön gepflegte Bariton-Stimme präsentierte Raimund Nolte als Donner. Auch eine „kleine“ Partie, aber dieser Raimund Nolte hatte so viel mehr an Farben und Wortdeutlichkeit zu bieten, als etwa die Hauptrolle des Wotans in Person von Egils Silins, der nur – zu Recht – sehr verhaltenen Applaus bekam. Nolte empfahl sich für größere Aufgaben auf dem Grünen Hügel. Ein Kritiker schrieb: „Der Sänger verfügt über eine vorbildlich ausgeglichene, warm strömende und dramatisch differenzierte Stimme“.
Die Wortdeutlichkeit ALLER Sänger ließ sehr zu wünschen übrig.
Bislang hat nur Georg Zeppenfeld als König Marke in „Tristan und Isolde“ textstark überzeugt.
Möge es am Montag, 1. August 2022, besser werden in Bayreuth. „Die Walküre“ steht auf dem Programm. Hoffentlich wird dem „Regisseur“ und seinem Team etwas mehr eingefallen sein. Es werden singen Georg Zeppenfeld (Hunding), Klaus-Florian Vogt (Siegmund), Tomasz Konieczny (Wotan), Lise Davidsen (Sieglinde) und Iréne Theorin (Brünnhilde).
Andreas Schmidt, 31. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Mit großem Dank an Autorinnen und Autoren von klassik-begeistert.de.
Richard Wagner, Das Rheingold Wiener Staatsoper, 21. Mai 2022
Musikalische Leitung | |
Regie | |
Bühne | |
Kostüm | |
Dramaturgie | |
Licht | |
Video |
Wotan | |
Donner | |
Froh | |
Loge | |
Fricka | |
Freia | |
Erda | |
Alberich | |
Mime | |
Fasolt | |
Fafner | |
Woglinde | |
Wellgunde | |
Floßhilde |
Ich freue mich sehr!!!
Lieber Herr Schmidt!
Endlich ein Autor mit Sachverstand sowohl bezüglich der Musik als auch bezüglich der fürchterlichen Regie dieses völlig untalentierten Herrn Schwarz. Tatsächlich: Schwärzer, trostloser, seelenloser und emotionsloser war nur Schlingensief im Parsifal. Vor allem ohne jeglichen Bezug zu Richard Wagners Libretto. Er schadet mit dieser grottenschlechten unverständlichen Inszenierung leider nicht nur dem Wagner-begeistertem, fassungslosen Publikum, sondern vor allem auch dem GRÜNEN HÜGEL BAYREUTH! Wir haben gerade eine fulminante Holländer-Inszenierung in Leipzig gesehen und sind – ebenso wie unsere Freunde – sehr irritiert über das Handeln der Festspielleitung von Katharina Wagner. Sie ist auf dem besten Weg, die Bayreuther Festspiele zu zerstören und in den Abgrund zu ziehen. Sehr sehr deprimierend und traurig… Wir sind fassungslos und entsetzt!
Elke Buschmann
Schön, dass Herr Schwarz den Hagen zur Hauptfigur macht. Wenn R. Wagner das gewollt hätte, hätte er den Ring so geschrieben. Hat er aber nicht. Vielleicht sollte man wahrheitsgemäß diesen Ring mit: frei nach Richard Wagner, ein Versuch von Herrn Schwarz, ankündigen – dann ginge keiner hin!
Peter CZERNIN