Ein wogender und wallender Beigeisterungsstrom für DAS RHEINGOLD

Richard Wagner, Das Rheingold,  Deutsche Oper Berlin

Foto © Bettina Stöß
Richard Wagner, Das Rheingold
Deutsche Oper Berlin, 1. April 2017

von Leon Battran

„Der Ring“ an der Deutschen Oper Berlin hat sich zu einem einmaligen Dauerbrenner entwickelt. Die Inszenierung von Götz Friedrich fasziniert seit über 30 Jahren und hat den langjährigen Generalintendanten und Chefregisseur bereits überlebt. Seit der Premiere am 16. September 1984 im Beisein von Richard von Weizsäcker läuft der Opernzyklus derzeit zum 53. Mal – eine Bilanz von mehr als 200 Opernabenden voll existenzieller Dramatik, Liebe, Macht und Verrat: „Ein Thriller, dessen starke moralische Botschaft auch heute noch jeden von uns berührt“, sagt der Generalmusikdirektor Donald Runnicles. Nur noch ein weiteres Mal wird Götz Friedrichs Inszenierung in Berlin zu sehen sein.

„Weia! Waga! | Woge, du Welle, | walle zur Wiege! | Wagala weia! | Wallala, weiala weia!“ Man mag und soll womöglich auch ein wenig darüber schmunzeln, wie Wagner seine Rheintöchter sprechen lässt. Wer Wagner liebt, wird aber auch seine Vorliebe für Alliterationen zu schätzen wissen, die sich durch das Libretto hindurchzieht.

Die Rheintöchter sind Wagners persönliche Schöpfung, die übrigen Figuren, Göttergestalten, Riesen und Zwerge, entspringen der nordischen Mythologie. Wasser und Wellen befinden sich in Aufruhr, Wagner lässt es wogen und wallen. Gleich zu Beginn der Aufführung wird man nassgemacht – vom Plätschern und Sprudeln der Musik, von strudelnden Es-Dur-Figurationen. Man wird mitten hinein gesogen.

Der Schotte Donald Runnicles ist an diesem Abend Kapitän des Orchesters der Deutschen Oper Berlin. Und das Orchester zaubert und erschafft unter seiner Leitung, es malt. In Wagners Welt prallen verschiedene Reiche aufeinander. Erbaut werden sie durch Musik. Die Inszenierung, das Bühnenbild und die Kostüme tun das Ihrige hinzu. Von einem anfangs etwas wackligen Horn einmal abgesehen ist die Darstellung des magisch-reinen Naturreichs hautnah, ausdrucksstark und eindrücklich – ein großer Hörgenuss. Die Streicher spielen mal herrlich spritzig, dann wieder traumhaft weich und zart. Wunderbar!

Die Rheintöchter sind nicht einfach zum blubberigen Dreiergespann vereinheitlicht. Sie tragen zwar dieselben Kostüme, als Sängerinnen unterscheiden sie sich aber vernehmlich voneinander und verkörpern verschiedene Charaktere: Woglinde (Meechot Marrero) mit dem reinsten und klarsten Timbre der drei, sie klingt unschuldig verspielt; Wellgunde (Christina Sidak) formt ein verführerisches Vibrato und Floßhilde (Annika Schlicht) als älteste und besonnenste „Fisch-Ische“ zieht die Zuhörer mit ihrer hypnotisch-sonoren Altstimme in ihren Bann.

Und die Götter? Tragen schmucke goldene Gewandung, wirken aber ansonsten wie eine fast gewöhnliche Familie mit fast gewöhnlichen Problemen: Die Handwerker wollen bezahlt werden, das sind in diesem Fall die Riesen, die für Wotan die Burg Walhall errichtet haben. Im Gegenzug hat er ihnen mehr spaßeshalber seine Tochter Freia, die Quell ewiger Jugend ist, versprochen. Auf die Idee wäre nicht einmal Robert Geiss („Die Geissens – Eine schrecklich glamouröse Familie“) gekommen. Aber gesagt ist gesagt und die Riesen beharren auf der Abmachung. Dass es da zu Zwist mit der Familie kommt, ist nicht verwunderlich.

Die Partie des Wotan, eine der umfangreichsten im Rheingold, gibt der Australier Derek Welton ausdauernd voluminös und ohne Zweifel mehr als nur abgespult. Manchmal lässt er jedoch Präzision und Zwischentöne vermissen. Die Fricka singt Daniela Sindram mehr als solide mit viel Feingefühl.

Martina Welschenbach ist als Freia eine große Freude. Leider gesteht ihr das Libretto häufig nicht viel mehr Text zu als „Hilfe!“, „Hach!“ und „Oh weh!“ Doch die Stuttgarterin macht eine Spitzenpartie daraus. Freias Bruder Donner (Noel Bouley) vollführt immerhin ein paar witzige Einlagen, gesanglich macht er an diesem Abend aber leider nicht viel her, das Finale ist einfach zu lasch.

Elektrisieren konnte hingegen ein behäbiger Riese. Albert Pesendorfer sang den Fasolt mit großem Gefühl und Leidenschaft. Der Riese ist verliebt. Dieses Gefühl bricht sich Bahn und holt alle Sanftmut und Süße aus dem klobigen Kerl heraus. Um ein Haar verführt sein sahniger Gesang die Götterstochter Freia dazu, ihm aus freien Stücken zu folgen.

Der Mann des Abends war aber der Berliner Ensemble-Sänger Thomas Blondelle. Er war spontan am selben Tag für Burkhard Ulrich in der Partie des Loge eingesprungen. Ulrich spielte zwar seine Rolle pantomimisch, war aber nicht imstande zu singen. Das erledigte Blondelle von der Bühnenseite aus – mit feurigem Herzen und höchster Bravour! Manche Stellen sind fast geflüstert, die Textverständlichkeit trotzdem beeindruckend klar. Man kann sich jedoch an den sehr spitz artikulierten Plosiven stören. Spätestens aber, wenn er seine atemberaubend filigrane Kopfstimme auspackt, wird man zum Fan des Tenors.

Die Bühne öffnet sich wie ein Schleusentor und gibt den Blick frei auf das dunkle, unterirdische Reich der Nibelungen. Allein für dieses Setting lohnt sich die Eintrittskarte. Alberich hockt in seinem Häuschen, das er sich wie eine Kommandozentrale eingerichtet hat. Er hat Knöpfe und Schalter vor sich, hinter ihm flackern Schwarz-Weiß-Bildschirme. Um sich hat er das Nibelungenvolk geschart, schwarze Schattengestalten, von denen man nicht viel mehr erkennt als die Lampe, die sie am Kopf befestigt tragen. Kreischend flüchten die Nibelungen aus der Szene. Man fühlt sich in einen alten Horrorklassiker versetzt.

Paul Kaufmann ist nicht nur auf wonnige Klangschönheit aus. Er verkörpert den Alberich mit viel Charakter, hätte aber durchaus noch mehr Mut zur Hässlichkeit zeigen können; etwas weniger Tenor, etwas mehr Bariton. Sehr gut Werner Van Mechelen als Mime. Er ist zu 100 Prozent in der Rolle und singt seine Partie lebhaft und ansprechend.

Am Schluss respektvolle Bravorufe für Alberich und Mime. Besonders viel Applaus auch für Wotan und Fricka. Den größten Jubel erntet aber Thomas Blondelle dafür, dass er die Vorstellung gerettet und spontan eine der umfangreichsten Partien des Abends astrein abgeliefert hat. Auch das Opernorchester mit Donald Runnicles hat weitestgehend Großartiges geschaffen und das Wagnis Wagner rühmlich gemeistert – dieser Vorabend klang genauso wie er klingen sollte. Die Publikumsreaktion spricht für sich: Kaum jemand, der hier vorzeitig den Saal verlässt, sondern stramme zehn Minuten wogender und wallender Begeisterungsstrom.

Leon Battran, 2. April 2017
für klassik-begeistert.de

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