Deutsche Oper Berlin, 4. und 5. Januar 2022
Richard Wagner, Das Rheingold
Richard Wagner, Die Walküre
Foto: Deutsche Oper Berlin (c)
von Sandra Grohmann
Der „Ring“ im Januar! Endlich die Ohrwürmer, die man seit Weihnachten von „Hänsel und Gretel“ mit sich schleppt, durch andere ersetzen! Und gleich die grauste Zeit des Jahres musikalisch kräftig färben! Das konstant wunderbare Orchester der Deutschen Oper Berlin reißt uns unter seinem Chef, dem kampferprobten Wagnerkenner Donald Runnicles, zum letzten Mal in dieser Spielzeit in die Story hinein und lässt die Musik glitzern, jazzen, morden und immer wieder innehalten: So widersprüchliche Gefühle sind da, das Zarte und Gebrochene so nah nebeneinander. Und zwischendurch immer wieder Ruhe. Spannung. Atemlosigkeit. Und dann – erfrischt zurück in die klangliche und emotionale Vielschichtigkeit.
Eine ähnlich kontrollierte und doch leidenschaftliche Stimmführung ist in „Rheingold“ und „Walküre“ den Sängern leider nicht durchgehend vergönnt. Zwei Baritone und ein Tenor ersterben unerwartet (wenn auch nicht ganz plötzlich) während der Aufführung, nachdem ein Tenor, ein Mezzo und ein Alt bereits von Anfang an vertreten werden müssen: als Wellgunde springt Irene Roberts ein, die die Inszenierung kennt und mit ihrer warmen Stimme betört (ach, was war sie kürzlich erst für ein entzückender Hänsel). Beth Taylor darf ihr Rollendebüt als Erda geben und findet sich angesichts ihrer Probenteilnahme mühelos mit tiefstem Alt ein. Matthias Klink schließlich, gerade rechtzeitig eingeflogen, singt Loge von der Seite, während Spielleiterin Constanze Weidknecht ihn auf der Bühne vertritt. Ganz erstaunlich, wie sich die Stimme trotzdem ins Geschehen und vor allem in den Orchsterklang mischt, als hätte es gemeinsame Proben gegeben.
Immerhin sein Bestes gegeben hat am Vorabend Markus Brück als Alberich. Dass ihm gleich zu Beginn ein wenig die Stimme brach, durfte anfangs als Stilmittel durchgehen, erschien mit der Zeit jedoch als manifeste Indisposition: Das Ensemblemitglied der Deutschen Oper ist als zuverlässiger Bariton bekannt. Leider wurde Siegmund tags darauf vom selben Schicksal ereilt. Sehr schade, denn Brandon Jovanovich singt die Partie seit zehn Jahren erfolgreich, und wo sich seine tenorale Strahlkraft Bahn brechen konnte, ließ sich erahnen, wie schön es gewesen wäre, wenn… ja, wenn nicht auch noch der Wotan der „Walküre“, Iain Paterson, so zart gesungen hätte, wie es von einem lyrischen Liebhaber zu erwarten gewesen wäre. Den Heervater hörte man ihm selten an, aber auch er rang zuletzt so sehr mit seinem Organ, dass die Stoßgebete Stimmerhaltung erflehten. Derek Walton am Vorabend hatte uns zugegebenermaßen in derselben Rolle mit einem so ausdifferenzierten, kraftvollen und jugendlich-frischen Wotan verwöhnt, dass die Erwartungen hoch waren. Warten wir ab, was der Wanderer wagt, den abermals Paterson geben wird…
Durchgehend wahre Wonne waren die Göttinnen und Sieglinde. Mein absoluter Liebling ist DOB-Urgestein Annika Schlicht als Fricka. Mit loderndem, abgrundtiefem Alt (ja, ich weiß, sie ist Mezzosopran, aber das hier klingt höllisch tief) und mit voller, warmer Stimme klagt sie Wotan an, schießt die Worte pointiert auf ihn, singt stimmgewaltig und doch verloren, beherrscht die Bühne höchst aufrecht (was für eine Haltung!) und trägt übrigens die besten Kostüme der Inszenierung, ganz Grande Dame. Wie schön wäre es gewesen, Freia hätte keine goldenen Äpfel auf ihre Zitzen spießen müssen und auch Brünnhilde wäre der blöde Brustpanzer erspart geblieben.
Großartigerweise hat sich Nina Stemme als Walküre von dieser Kostümierung nicht beeinträchtigen lassen. Sie muss allerdings schon lange von Freias Äpfeln gegessen haben, so jugendlich wirkte die Endfünfzigerin mit einer Stimmleistung, die dreißig Jahre Jüngere nicht immer parat haben. Strahlend schritt sie durch alle Register hindurch, bruchlos, kämpferisch, selbstbewusst, bis in die Tiefe von Partie und Seele. Und mit Elisabeth Teige stand ihr dann doch eine (für einen dramatischen Sopran) blutjunge Sieglinde gegenüber, die ebenso den Raum wie die Rolle ausfüllte, ohne stimmlich oderss darstellerisch zu überziehen. Sie sorgte schließlich mit dafür, dass der Erste Tag des Festspiels – und das ist ja dann doch passend – stimmlich von den Frauen getragen wurde, während alle Sängerinnen und Sänger szenisch äußerst präsent waren und die beziehungs- und spannungsgeladene Personenregie jede Sekunde umsetzten.
Zu Regie und Bühnenbild im Übrigen ist schon Vieles geschrieben worden. Mir gefiel auch beim zweiten Sehen nicht, dass die hinzuerfundenen, ängstlich auf die Bühne kommenden Menschen, die nur noch ihre (später zu Bergen gestapelten) Koffer bei sich hatten, sich freiwillig bis auf die Unterwäsche entkleideten. Überhaupt und auch ohne die hier evozierten Assoziationen langweilt mich weißer Feinripp auf Opernbühnen schon lange, erst recht, wenn dann auch noch Erotik behauptet wird, wo das Auge bloß die Komparserie beim Gemeinschaftsturnen wahrnimmt. Aber ich möchte selbst nicht auch noch damit langweilen und lasse ich es bei dieser Bemerkung. Immerhin: Die Walle-Walle-Tücher sind an beiden Abenden sehr hübsch. Vor allem, solange sie nicht als Leinwand für kitschige Videoprojektionen dienen. Also, ich belasse es wirklich dabei! Es lebe die Musik! Es lebe der Gesang! Und es lebe das Orchester der Deutschen Oper Berlin!
Sandra Grohmann, 6. Januar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 29. Juli 2021
Die Walküre (1. Aufzug) von Richard Wagner Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream, 13. Mai 2021