Tomasz Konieczny gab einen großen bewegenden Abend – und bekam gleich nach seiner ersten Arie „Die Frist ist um“ großen Applaus mit Bravos. Dies ist bei Wagner-Opern extrem unüblich und unter eingefleischten „Wagnerianern“ absolut verpönt! Es bleibt spannend und abzuwarten, ob der schwedische Bariton John Lundgren ab dem 25. Juli 2021 bei den Bayreuther Festspielen die gleiche Leistung abzurufen vermag wie Konieczny an diesem Abend der Münchner Opernfestspiele.
Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 7. Juli 2021
Richard Wagner, Der fliegende Holländer
Fotos: W. Hösl © – Ain Anger und Tomasz Konieczny
Musikalische Leitung: Simone Young
Inszenierung: Peter Konwitschny
Daland: Ain Anger
Senta: Anja Kampe
Mary: Tanja Ariane Baumgartner
Erik: Tomislav Mužek
Der Steuermann: Manuel Günther
Der Holländer: Tomasz Konieczny
Bayerisches Staatsorchester
Chor, Extrachor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper
von Andreas Schmidt
Den meisten Beifall an diesem großen Abend in der Bayerischen Staatsoper bekommt die Sopranistin Anja Kampe als Senta in Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“. Kein Wunder, sie singt diese Partie im Nationaltheater zu München regelmäßig seit der Premiere am 26. Februar 2006. Vergangenes Jahr debütierte Sie mit dieser Rolle an der Metropolitan Opera in New York City.
Keine Frage, die Bayerische Kammersängerin Anja Kampe singt viele Passagen auf höchstem Niveau, vor allem im mittleren und tieferen Register. Ihr höheres Register überzeugt an diesem Abend nicht. Vor allem bei den höchsten Tönen singt sie viel zu gepresst, eng, mit zu wenig Bruststimme und mit zu viel Druck. Das hört sich bisweilen dann wie Schreien an und überzeugt klassik-begeistert.de nicht. Allein: Die Zuschauer waren überwiegend begeistert, es gab zahlreiche Brava…
Wir haben Anja Kampe natürlich auch schon viel besser gehört, so Autor Peter Sommeregger am 20. Juni 2019 in der Staatsoper Unter den Linden als Isolde: „Anja Kampes Isolde ergänzt, bzw. konterkariert Andreas Schagers Tristan in idealer Weise. Sie ist keine Hochdramatische im eigentlichen Sinn, ihre große, warm timbrierte Stimme verfügt aber über alle Qualitäten, die für diese wohl anspruchsvollste Sopranpartie benötigt werden, wie Schönheit des Timbres, Durchschlagskraft und Geschmeidigkeit der Höhe, zusätzlich noch gut gebildete tiefere Register. Mit diesen Dingen reich gesegnet, kann sich Kampe voll auf den gestaltenden Teil ihrer Rolle konzentrieren. Da ihre Stimme auch noch optimal mit jener Schagers harmoniert, erlebt man speziell im Liebesduett Augenblicke, die das unerreichbar scheinende Ideal einer perfekten Aufführung tatsächlich erreichen.“
Keine Frage: Anja Kampe blickt auf eine tolle Karriere zurück. Wikipedia schreibt: „Zahlreiche Engagements führten die Sopranistin an die großen Musikbühnen von Italien, Frankreich, Israel, Spanien, Deutschland, Österreich, Belgien, USA, England, Japan und den Niederlanden. Im Sommer 2002 debütierte sie bei den Bayreuther Festspielen als Freia im Rheingold und als Gerhilde in der Walküre. 2013 bis 2015 sang sie in Bayreuth die Sieglinde[4] unter der musikalischen Leitung von Kirill Petrenko. Mit ihm sang sie zuvor schon die Isolde bei der Ruhrtriennale 2011, eine Rolle, in der die sie zuvor bei den Festspielen in Glyndebourne debütiert hatte. Erfolge feierte sie an der Bayerischen Staatsoper, wo sie 2006 als Senta im Fliegenden Holländer debütierte und in der Folge als Ariadne in Ariadne auf Naxos und Leonore in Fidelio[5], Sieglinde in Wagners Walküre oder Katharina in Lady Macbeth von Mzensk zu hören war. Als Leonore debütierte sie am 7. Dezember 2014 zur Eröffnung der Saison an der Scala unter der Leitung von Daniel Barenboim, mit dem sie auch an der Staatsoper Berlin in den Neuproduktionen Tosca und Parsifal zu erleben war. Bei den Salzburger Osterfestspielen 2016 debütierte sie unter der Leitung von Christian Thielemann als Brünnhilde in Wagners Walküre. 2020 debütierte sie an der Metropolitan Opera in New York City als Senta im Fliegenden Holländer. Weitere Erfolge hatte sie auch an den Opernhäusern Covent Garden in London und an der Wiener Staatsoper.“
Nur ein klitzekleines Stückchen weniger Applaus als Frau Kampe erntete der in Ratingen, NRW, lebende Pole Tomasz Konieczny, Österreichischer Kammersänger. Der Bass/Bassbariton wurde am 10. Januar 1972 in Łódź (Lodsch) geboren. Er gab einen großen bewegenden Abend – und bekam gleich nach seiner ersten Arie „Die Frist ist um“ großen Applaus mit Bravos. Dies ist bei Wagner-Opern extrem unüblich und unter eingefleischten „Wagnerianern“ absolut verpönt! Es bleibt spannend und abzuwarten, ob der schwedische Bariton John Lundgren ab dem 25. Juli 2021 bei den Bayreuther Festspielen die gleiche Leistung abzurufen vermag wie Konieczny an diesem Abend.
Konieczny sang mit einer Kraft, einer Power, einer Hingabe, die kaum zu überbieten sind. Seine virile Stimme unterstrich das Dämonische des Holländers. Der Publikumsliebling an der Wiener Staatsoper konnte wirklich in allen Lagen vollends überzeugen, auch in leiseren, zarteren Passagen.
Der Holländer zeigt, wo der Hammer hängt.
Anzumerken gilt, dass es auch an diesem Abend ZuschauerInnen gab, die diese äußerst kraftvolle Ausgestaltung des Holländers als etwas „zu laut“ empfanden. Und es gibt immer wieder einige im Publikum, die sich an einigen slawischen Prononcierungen des Polen stören. Sie machen indes seine Einzigartigkeit aus – niemand störte sich weiland an der Klangfarbe Plácido Domingos als Parsifal oder Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen –; auch seine Diktion macht Tomasz Konieczny neben Bryn Terfel (der die ursprüngliche Besetzung war) und John Lundgren zum besten Holländer dieser Tage.
Ain Anger als Daland überzeugte mit einem profunden, väterlichen Bass; Tomislav Mužek gab mit schönstem freien Tenor einen tollen Erik; Manuel Günther als Steuermann war Garant für Wohlklang und Feinsinn bei besonders schönen Wagner-Passagen; Tanja Ariane Baumgartner hat einen bezaubernd-warmen Mezzo und sang leider wegen ihrer Rolle viel zu wenig – diese Sängerin sollten wir uns merken.
Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper überzeugten auf ganzer Linie – hier sollten Chorleiter anderer europäischer Opernhäuser gerne mal eine Woche hospitieren. An diesem Abend waren die Männer en gros einen Tick präsenter und mit mehr Inbrunst dabei als einige Frauen.
Simone Young konnte bei Volumenwundern wie Anja Kampe und Tomasz Konieszny dem Bayerischen Staatsorchester alles abverlangen und tat dies mit Präzision und Hingabe. Leider waren einige Bläser, vor allem Hornisten, an diesem Abend nicht ganz auf dem Weltniveau ihres Klangkörpers und fielen durch Individualfehler auf.
Die 15 Jahre alte Inszenierung von Peter Konwitschny ist ansehnlich, sie verschlägt einem aber nicht die Sprache und vor allem die Effekte mit dem Himmel und den Wellen des Meeres könnte man im Jahr 2021 viel besser gestalten.
Andreas Schmidt, 8. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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