Der Holländer, Bayreuth 2024 © Enrico Nawrath
Ach, wenn ich doch nur auch so viel Freude gehabt hätte an der Aufführung des Fliegenden Holländer. Das Publikum tobt, trampelt und brüllt vor Begeisterung am Ende der über zweistündigen Aufführung.
Richard Wagner
Der fliegende Holländer
Musikalische Leitung – Oksana Lyniv
Daland – Georg Zeppenfeld
Senta – Elisabeth Teige
Erik – Eric Cutler
Mary – Nadine Weissmann
Der Steuermann – Matthew Newlin
Der Holländer – Michael Volle
Bayreuther Festspielorchester
Chorleiter Eberhard Friedrich
Bayreuther Festspiele, 1. August 2024
von Iris Röckrath
Ach, wenn ich doch nur auch so viel Freude gehabt hätte an der Aufführung des Fliegenden Holländer. Das Publikum tobt, trampelt und brüllt vor Begeisterung am Ende der über zweistündigen Aufführung.
Der Zauber hat mich nicht erfasst. Dabei habe ich mich so gefreut auf die Traumbesetzung des heutigen Abends und dennoch haben sich meine Wünsche und Vorstellungen nicht erfüllt.
Wolfgang Wagner soll gesagt haben: „An anderen Häusern müssens immer brüllen, hier in Bayreuth könnens singen.“ Die wunderbare einzigartige Akustik würde selbst die kleinen Stimmen in den Zuschauerraum tragen.
Ich sitze (und schwitze) in der 27. Reihe, Mitte und freue mich mit jeder Person, die einen phantastischen Abend hatte. Schließlich hatten die Leute auch viel Geld für Ticket und Abendrobe bezahlt. Da hat man sich auch einen tollen Abend verdient.
Die Ouvertüre beginnt zupackend und spannend. Die ersten Auftritte des Steuermannes, Dalands und des Herrenchores machen neugierig auf die musikalische Auslegung des Abends.
Aber schon der Auftrittsmonolog „Die Frist ist um“ von Michael Volle vermag nicht mehr zu fesseln. Die von Wagner gewünschte komplexe Gefühlswelt zwischen Frustration, Einsamkeit, Heimatlosigkeit und Sehnsucht konnte ich nicht nachempfinden – (an dieser Stelle vielen Dank für den wunderbaren Aufsatz von Sven Friedrich im Programmheft). Michael Volles Gesang hat mich trotz wohltönender voller Bassstimme nicht überzeugen können. „Dich frage ich gepries’ner Engel Gottes“, eine der schönsten Stellen, wurde von ihm ohne Spannung dahingewispert. Die Differenzierung und Nuancierung der verschiedenen Gefühlsregungen blieben blass und vor allem: meistens LAUT.
Aber Herr Volle befand sich in guter Gesellschaft. Auch der mit Spannung erwartete Auftritt der Senta alias Elisabeth Teige entwickelte sich zur (lauten) Angstpartie. Sie sang die berühmte Ballade mit Kraft und schob die Töne in die Höhen, wo sie nicht immer rein und sauber landeten. Außerdem muss sie sich dem Vergleich mit Asmik Gregorian aus der Premierenserie stellen. Stimmlich und darstellerisch kommt sie nicht an A.G. heran. Für eine von Tcherniakov herausgearbeitete Rotzgöre mit unflätigem pubertären Gehabe braucht es nicht nur eine pinke Haarsträhne.
Ist Dramatik denn nur durch Lautstärke zu erzeugen? Zumal an diesem besonderen Ort?
Setzt vielleicht die Dirigentin, die hochgelobte Oksana Lyniv aus dem gedeckelten Orchestergraben auf zu viel Volumen, so dass die Solistenriege auf der Bühne glaubt, mithalten zu müssen?
Richtig schön klang der Damen Spinnstubenchor der in eine Chorprobenszene umgewandelt wurde. Ein musikalischer Lichtblick und Genuss, der durch die harte Stimme von Nadine Weissmann als Mary wieder getrübt wurde.
Dass sich immer wieder so viele Chorsänger und -Sängerinnen finden, die einen Teil ihrer Ferien in Bayreuth verbringen möchten, ist phantastisch und natürlich haben die Dirigentinnen und Dirigenten die Crème de la Crème der Chor- und Orchesterlandschaft im Graben sitzen- das ist deutlich zu vernehmen.
Auch Eric Cutler kämpft inzwischen und stemmt sich durch seine undankbare Partie. Ich wünsche mir lyrische Phrasen, ja Gesang. Auch hier: weniger Ton.
Ganz anders der Steuermann, gesungen von Matthew Newlin. Lieber Steuermann, bewahren Sie sich ihre wunderschöne reine helle Stimme. Lassen Sie sich nicht verleiten zum forcieren. Ich habe Ihren tenoralen Schmelz von meinem Platz sehr gut hören können.
Genau das gleiche gilt für Georg Zeppenfeld. Er singt mit warmer eleganter Stimme und gestaltet den Daland zum wiederholten Mal und ist dabei immer textverständlich – wunderbar.
Die Kaffeetafel im Erker bei der Familie von Senta ist ein toller Einfall des Regisseurs. Tatsächlich konzentriert sich hier alles auf den zu schliessenden Pakt. Das Gespräch zwischen Senta, ihrem Vater und dem Holländer scheint einen guten Abschluss zu finden.
Dritter Aufzug: Die Mannschaft des Holländers und die Norweger treffen aufeinander und ab dem Moment gibt es kein Halten mehr – alle singen und schmettern um die Wette. Bei der grossen Anzahl an ChorsängerInnen müsste doch ein forte reichen, das man zum Ende der Aufführung noch eine Steigerung erfahren kann. natürlich müssen da auch die Solisten wieder mithalten. Und so rutsche ich unruhig auf meinem Platz hin und her und warte, dass es endlich ein Ende hat und Senta in den Tod springt, aber das tut sie ja gar nicht.
Für Wagner besteht Beethovens „unnachahmliche“ Kunst in der Fähigkeit, „aus dem Ozean unendlichen Sehnens nach dem Hafen der Erfüllung hinzuleiten“. Zum Hafen der Erfüllung ist es noch ein weiter Weg.
Iris Röckrath, 2. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayreuther Festspiele, 14. August 2023
Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2021
Ich verstehe Sie nur zu gut. Kurz in die Radioübertragung reingehört, Holländer-Auftritt bis Aktfinale. Reichte.
Gruß von einem Bayreuth Pilger der sehr frühen 1960ger Jahre.
Fred Keller
Verehrte Frau Röckrath, ich empfehle Ihnen, Bayreuth zu meiden, damit Sie nicht so furchtbar unter der Sommerhitze und schlechten Sängern und Sängerinnen leiden müssen. Ich empfinde Ihre subjektive Kritik als arrogant und rechthaberisch. Natürlich kann man es nie allen recht machen. Der Beifall eines Großteils des Publikums lehrt jedoch, dass viele Besucher begeistert waren. Und das ist schlussendlich der Maßstab der Dinge.
Dr. Walter Pretsch
Lieber Herr Dr. Pretsch,
ich nehme Ihre subjektive MEINUNG zur Kenntnis.
Sie haben kein einziges Argument, das den schlüssigen Text von Iris Röckrath entkräftet.
Der „Großteil des Publikums“ ist sicher kein Argument, da viele Zuhörer das Geschehen nicht
fundiert beurteilen können – mangels ausreichender Musikerziehung, mangels ausreichender Bildung oder mangels ausreichender Erfahrung.
Ein Großteil des Publikums beklatscht auch sich selber: Hej, super, alle klatschen, dann klatsche ich
auch und habe sicherlich in die richtige Karte investiert. Zu einer fundierten Stimmenanalyse braucht
es indes Schulung, Musikalität, Herz und Verstand und ein sehr gutes Ohr. Das meine ich nicht überheblich, sondern ganz sachlich:
Fragen Sie mal jemandem im Publikum: Kannst Du mir die Stimme von X oder Y beschreiben? Sie werden nicht so viele Antworten bekommen außer
„gut“, „schön“ oder „schlecht“.
Herzlich
Andreas Schmidt
Guten Abend, Herr Dr. Walter Pretsch,
ich habe Frau Röckraths Rezension aufmerksam gelesen.
Anders als Sie, empfand ich die Grundstimmung kein bisschen arrogant. Eher erstaunt, ernüchtert und ein bisschen enttäuscht, dass sie es nicht genießen konnte. Man könnte es auch ehrlich nennen oder authentisch.
Ich sehe es nicht so, dass der abschließende Beifall das Maß ALLER Dinge ist. Das Maß meiner Dinge lege ich gern selbst fest und dazu gehört mit Sicherheit nicht, Erfolge an Einspielergebnissen oder Applaus zu bemessen. Das wäre töricht und mir wäre einiges Sehens,- oder auch Hörenswerte entgangen, wenn ich mich ausschließlich an der allgemein vorherrschenden Meinung orientiert hätte. Und ja, Kritik ist subjektiv, immer. Das macht es spannend, finden Sie nicht auch? So kommt man ins Gespräch.
Freundliche Grüße,
Kathrin Beyer
Ich habe diese seltsam umgedichtete Version vor 2 Jahren gesehen, und war damals schon entsetzt über die seltsamen und langweiligen Regieeinfälle, aber auch über die mangelnde musikalische Qualität. Seitdem höre ich nur mehr noch die CD – es gibt genug wunderbare Aufführungen – und erlebe rückwirkend, wie armselig das Regietheater wirklich ist.
Asinus
Lieber Andreas Schmidt, vielen Dank für Ihren Text, der genau ins Schwarze trifft!
G. Helbig
Es geht mir in meinem Artikel um die einst von Richard Wagner gewünschte besondere Akustik des Hauses, die eben Bayreuth von allen anderen Opernhäusern unterscheidet. Im Museum Wahnfried können Sie noch einen Originalsitzplatz ansehen. Kein Stoff, nur Holz und Geflecht. Nichts sollte den Klang dämpfen. Ich durfte vor über 40 Jahren meine ersten Vorstellungen im Festspielhaus genießen und war vom ersten Moment an verzaubert. Die Musik strömte intensiv im Forte und schmeichelnd in den Pianissimostellen aus dem Graben und die Solisten und Solistinnen brauchten keine Kraftakte zu vollführen, sondern konnten sich auf das Führen ihrer Stimmen konzentrieren. Meine Enttäuschung rührte tatsächlich daher, dass der Klang dieses besonderen Hauses in der von mir besuchten Vorstellung sich nicht mehr abhebt von dem der anderen Opernhäuser. Die Gründe habe ich dargestellt.
Iris Röckrath
Ich habe die Vorstellung nur teilweise so empfunden. Frau Teige finde ich absolut überschätzt und vielleicht macht sie zu viel (?!) – ihr Vibrato war unruhig und sie hatte Intonationstrübungen. Volle fand ich viel besser als Sie es beschreiben, ich habe nicht nur jedes Wort verstanden, sondern auch ihm zu jeder Sekunde alles geglaubt. Dass er physisch ein Problem und Schmerzen hatte, fiel mir auf, aber er sang wunderbar.
Aber ich muss sagen, dass mich einige Leserkommentare auf diesem Forum in letzter Zeit sehr verwundern, und ich frage mich, ob es wirklich Sinn und Zweck sein kann, dass man hier jede noch so unprofessionelle und unsachliche Meinung loswerden kann wie jetzt bei der Tristan und Isolde Kritik – die sehr seltsam ausgefallen ist…
Christian Jahnke
Ich freue mich, diese Diskussion angestoßen zu haben, und noch mehr darüber, dass sich hier anscheinend nur Fachleute äußern, welche die Wahrheit gepachtet haben. Dabei handelt es sich doch immer nur um subjektive Meinungen. Und meist auch nur von Laien.
Dr. Walter Pretsch
Lieber Herr Dr. Pretsch,
na, zu meinen, der Publikumsapplaus sei der Indikator für Qualität ist mit Verlaub schon sehr naiv.
Andreas Schmidt
Sehr geehrter Herr Dr. Pretsch,
was ist denn das für eine Vorstellung von „bloss Laien“, als könnten nur „Fachleute“ kompetent beurteilen. Was für Fachleute sollen das sein? Musikwissenschaftler, Gesangspädagogen, Theaterwissenschaftler? Wer gute Ohren und Sinn für Musik hat, kann sehr wohl beurteilen, ob sauber, klangschön, mit zu viel vibrato oder forciert gesungen wird. Wer das Stück kennt und vielleicht schon mehrere Aufführungen gesehen hat, kann durchaus beurteilen, ob eine Inszenierung kohärent und durchdacht ist oder nur sich mit sinnlosen Gags anbiedert, die keine Deutung des Stücks bringen. Wenn eine Aufführung nicht von selbst eine einleuchtende Deutung bringt, sondern sich erst nach intensivem Lesen des Programmheftes erschließt, verfehlt sie ihr Ziel. Stimmen können einem gefallen oder nicht (z.b. Mödl, Varnay, Nilsson!), aber das hat nichts mit dem Können und der Leistung zu tun!
Wolfgang Raiser, der noch Wieland Wagner erlebt hat