Bayreuth: Michael Volle und Elisabeth Teige triumphieren mit Tcherniakovs Hafenkneipen-Holländer

Richard Wagner, Der fliegende Holländer  Bayreuther Festspiele, 14. August 2023

Holländer 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

So setzt man als Senta ein Zeichen! Elisabeth Teige lebt diese Rolle wie keine andere und triumphiert gemeinsam mit Michael Volles türmender Titelrollen-Stimme. Zusammen segeln sie über Oksana Lynivs stürmische Orchester-Weltmeere, die Musik fesselt ebenso wie Dmitri Tcherniakovs packende Inszenierung. Und ein brillanter Einspringer-Steuermann sorgt für spaßige Stimmung in der Hafenkneipe! 

Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 14. August 2023

Der fliegende Holländer
Musik und Libretto von Richard Wagner

von Peter Walter

Mit schauspielerischer und sängerischer Bravour lässt Elisabeth Teige ihren Verlobten auf der Nase herumtanzen, „Zweifelst du an meinem Herzen“ ist aufgeladen mit sarkastischer Ironie. Schon in der stürmischen Ballade führt sie die bürgerlich-konservative Mentalität ihres kleinen Fischerdorfs vor, die rot-blauen Strähnchen sind ein Ausdruck ihrer jugendlichen Rebellionsstimmung. Sie lebt diese Rolle, wenn sie aus Protest gegen die dumme dörfliche Singstunde über die Bühne tanzt und das Publikum in den Bann ihrer hochdramatischen Stimme fesselt! Da müssen sich Asmik Grigorian, Vida Miknevičiūtė, Ricarda Merbeth und Co. sehr warm anziehen!

Einzig in ihrem geliebten Holländer sieht sie einen Verbündeten. Denn auch er passt kaum in die Weltanschauung dieser Gesellschaft. Und einzig dieser ist ihr gesanglich ebenbürtig. Michael Volle  beherrscht die Bühne von Anfang bis Ende wie ein allmächtiger Göttervater, seine türmende Stimme greift stets nach Sentas bissigem Sopran. Die Gefahr eines – bislang undenkbaren – Szeneapplauses steigt mit jeder Vorstellung, wenn er wie ein furchtloser Seemannskapitän mühelos die stürmischen Wellen der Orchester-Weltmeere besegelt…

Denn wieder einmal sorgt Oksana Lyniv für Hochseestimmung im Festspielhaus. Mit Windstärke 12 – mindestens. Selbst im Liebesduett lässt die Spannung nicht nach, wenn die zwei Herzen auf der Bühne auf in den himmlischen Höhen der Flöten schlagen. Leider hat der feurig feiernde Matrosenchor an der einen oder anderen Stelle einige Koordinationsprobleme. Diese Party sollte eigentlich nicht aus dem Ruder laufen…

Da wäre Tansel Akzeybeks spaßiger Steuermann wohl anderer Meinung. Wie ein halb betrunkener zwanzigjähriger macht er in der Hafenkneipe Party, trifft dabei alle Töne blitzeblank sauber. Als sorglose Kapitänsvertretung versinkt er natürlich nach wenigen Momenten im schlummernden Schlaf. Aber der liebe Südwind – und mit ihm die Aussicht auf sein Mädel – reißt ihn wieder hellwach an Deck. Dieser Einspringer ist der Inbegriff eines seefahrenden Steuermanns!

Auch Tomislav Mužek glänzt in seiner undankbaren Rolle als Erik, der mit zwei wunderbar gesungenen Klageliedern verzweifelt versucht, seine Verlobung und – viel wichtiger – sein gesellschaftliches Ansehen zu retten. An Senta hat er kein wirkliches Interesse. Aber ein Jäger ohne Weib – das geht in diesem Dorf doch gar nicht! Dem würde wohl Nadine Weissmanns stimmlich sehr präsente Mary gänzlich zustimmen. Ihre aufgewertete Rolle einer strengen Mutter Sentas verkörpert sie bestens, die mütterliche Bestrafung steht wohl schon bereit, wenn sie mit böser Stimme ihr Kind zum Spinnen – oder halt zum Singen – ermahnt. Kein Wunder, dass sie am Ende den Holländer erschießt. Wahrscheinlich glaubt sie ernsthaft, Gottes gerechtes Urteil zu vollstrecken…

Einzig Georg Zeppenfeld (Daland) scheint etwas müde zu werden. Die Partie von Sentas Vater singt er ordentlich, trotz leicht brummigen Basses versteht man nach wie vor jede Silbe seines Textes. Aber: Im Vergleich zu anderen Abenden schaltet er mindestens zwei Gänge zurück, der Applaus fällt entsprechend gemäßigter als gewohnt aus. Für Michael Volle ist er eine solide Begleitung, nicht mehr und nicht weniger.

Morgen singt er nochmal Gurnemanz… wäre es nicht mal Zeit, ihm eine wohlverdiente Pause zu gönnen? Ein Wiedersehen mit einem der vielen exzellenten und auf dem Grünen Hügel schmerzlich vermissten Wagner-Bässe wäre wohl ein Win-Win für alle. Auch für König Zeppenfeld I.

Zu jedem guten Opernbesuch gehört natürlich der eine oder andere Buh-Ruf. Spaß beiseite, die Missfallensäußerungen sollten wohl dem – nicht anwesenden – Regie-Team gelten. Warum eigentlich? Dmitri Tcherniakovs packende Inszenierung versetzt die Handlung ins Matrosenleben des 21. Jahrhunderts. Auch in den zahlreichen von Wagner etwas zäh konzipierten Szenen wird einem nie langweilig, selbst die Ouvertüre erhebt er zu einem szenisch spannenden Vorspiel!  Anscheinend sitzen da immer noch Leute im Saal, die eine Holländer-Inszenierung ohne blutrote Segel nicht sehen wollen…

Peter Walter, 15. August 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayreuther Festspiele, 4. August 2023

Richard Wagner: Der fliegende Holländer Bayreuther Festspiele, 1. August 2023

Richard Wagner, Der fliegende Holländer Staatsoper Unter den Linden Berlin, 3. Juni 2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert