Bayreuth: Volle, Teige und Lyniv fegen den Holländer in neue Höhen

Richard Wagner, Der fliegende Holländer  Bayreuther Festspiele, 4. August 2023

Holländer 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Das Bayreuther Publikum kann sehr hart urteilen. Die Ring-Regie hat das in Form eines ballernden Buhgewitters zu spüren bekommen. Aber die Leute auf dem Grünen Hügel können auch feiern. Dieses Holländer-Traum-Trio um Volle, Teige und Zeppenfeld wird Standards setzen. Für Jahre. Und Jahrzehnte.

Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 4. August 2023

Der fliegende Holländer
Musik und Libretto von Richard Wagner

von Peter Walter

Wie bei der Götterdämmerung bebt der Boden unter den Füßen. Und diesmal voller grenzenloser Begeisterung für ein wahres Holländer-Traum-Trio auf der Bühne samt einer umjubelten Chefin am Steuer eines stürmischen Orchesters. Ich bin kein Holländer-Fan. Aber wenn der so gespielt wird, schmeiße ich für diese zweieinhalbstündige, pausenlose Opern überall und sofort alles hin.

Beginnen wir mit der Titelrolle des Abends. Michael Volles Holländer türmt mit makellosen Monologen und bärenstarker Dominanz haushoch über alle Konkurrenz hinweg. Der mysteriöse, dubiose Fremdling haut hier wortwörtlich auf den Tisch, doch kann man diese Aktion auch als Metapher für seinen Gesang verstehen. „Die Frist ist um“ und Volle räumt ab! Mit bösem Blick sitzt er am Tisch, die Matrosen können nur noch zuschauen. Ein wahres Wunder, dass es hier keinen Szenenapplaus gibt!

Der fliegende Holländer 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Ebenso bärenstark gerät dem Bayreuther Stammbass Georg Zeppenfeld sein Daland. Wie ein kommandierender Kapitän beherrscht der die Bühne, hebt Michael Volles Holländer zu neuen Höhen der Gesangskunst. Das Holländer-Daland-Duett war schon letztes Jahr eine Sternstunde der Opernwelt. Diesmal ist es eine reine Machtdemonstration der beiden Sänger in ihrer Szene. Platz da, das macht denen so schnell auch keiner nach! Zeppenfelds Textverständlichkeit ist seit langem unangefochten, nun beginnt in seiner Stimme auch noch die Macht eines heranwachsenden Göttervaters herbeizuröhren. Kommt da noch der Wotan?

Doch inmitten dieses gesanglichen Olympiafinales geht eine Sängerin klar als Siegerin vom Platz: Elisabeth Teiges beispiellos mitreißende Senta. Noch nie hat eine Sängerin in dieser Rolle dermaßen berührt und bewegt. Per se ist die Seemannstochter zwar eine hochdramatische Rolle, ihre Emotionen aber weit weniger erschütternd als jene einer Isolde oder Elisabeth. Doch nach dieser Wundersenta liegt das halbe Haus in Tränen. Fest wie das Tau hat sie die Ballade im Griff, haut das Publikum mit stürmischem Wind in ihrem Gesang völlig vom Hocker!

Der fliegende Holländer 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Zum absoluten Highlight wird der kurze Schlussdialog zwischen Volle und Teige. „Du ahnst nicht, wer ich bin“, schmettert der Holländer seiner Senta ins Gesicht. „Wohl kenn ich dein Geschick“ legt sie umso mächtiger nach. Die beiden spornen sich zu bislang schier unerreichten musikalischen wie schauspielerischen Höhen an, die volle verrückte Wucht der Liebe fegt durch den Saal. Beide fühlen sich betrogen, aber sind umso unsterblicher ineinander verliebt. Einzig Marys den Holländer tödlich treffenden Schuss kann diese Eskalationsspirale stoppen. Und dann ist auch schon Schluss.

Aus dem Graben wie aus dem Chor lässt Oksana Lyniv die Fluten des stürmischen Meers durch den Saal fegen. Hochdifferenziert ist ihr Dirigat, jubelnde Matrosenchöre zaubert sie ebenso herbei wie ein zerschmelzendes, hochergreifendes Liebesduett. Im Holländer zeigt sich eben nicht nur ein junger, wilder Wagner, der seine jugendlichen Musikphantasien in der Partitur austobt. Denn Lyniv kann mehr, holt auch aus diesem Bayreuther Frühwerk die reifen Seiten seiner Musik heraus. Was um alles in der Welt will denn Christian Thielemann da noch besser machen wollen – oder gar können?

Der fliegende Holländer 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Gleiches gilt für Dmitri Tcherniakovs packende Inszenierung. Schon zu Beginn sorgt er mit einer intelligent inszenierten Vorgeschichte für mächtig Stimmung. Die Mutter des jungen Holländers erhängt, der Holländer selbst traumatisiert… und Daland, was macht der eigentlich nach seiner Affäre?

Tcherniakov macht aus einer Themen exponierenden Ouvertüre ein packendes Vorspiel und wirft dieses Werk mindestens zwanzig Jahre in der Wagner’schen Kompositionsgeschichte nach vorne. Natürlich will man sich das bis zum Ende anschauen. Der Holländer wird im Laufe des Abends immer rachesüchtiger, es herrscht zweieinhalb Stunden höchste dramatische Spannung.

Zu guter Letzt sind auch die Nebenrollen bestens besetzt. Nadine Weissmann singt mit selbstsicherer und doch leicht böser Stimme die Mary, das muss eine stur konservative, autoritär erziehende Mutter Sentas sein – ja, die Regie wertet diese Rolle hier deutlich auf. Tomislav Mužeks Erik ist ein Jäger, wie er im Buch steht: Er liebt vor allem sein Wild und seine Ehre, für letztere braucht er eben auch eine Verlobte namens Senta. Ganz anders lebt da der Steuermann, so stürzt er sich mit etwas übertriebenem Vibrato in die Feierstimmung der Hafenkneipe.

Der Tristan gestern hätte besser sein können. Dieser Holländer nicht. Einzige Beschwerde: Anders als in fast allen anderen Häusern wollen die SängerInnen partout kein drittes und viertes Mal vor den Vorhang treten. Die Leute verlassen klatschend und jubelnd den Saal. Doch beim besten Willen sind die Sängerinnen und Sänger einfach nicht nochmal rauszuholen. Das hätte sich kein Stehplatzgänger in meiner heimatlichen Wiener Staatsoper gefallen lassen! Naja, dann muss die Stimmung eben im Foyer abgefeiert werden…

Peter Walter, 5. August 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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5 Gedanken zu „Richard Wagner, Der fliegende Holländer
Bayreuther Festspiele, 4. August 2023“

  1. Die Besetzung ist ein Traum, das Dirigat von Oksana Lyniv eine Offenbarung dieser doch oft nur laut und flott heruntergespielten Musik.
    Wenn es jetzt noch eine (wenigstens) gute Produktion (Regieidee) gäbe – welch Erlebnis könnte das sein. Harry Kupfer weiland brachte es wunderbar; Tcherniakov leider stört das Libretto und Wagners Vorlage bei seinem Machwerk.

    Claus Grünewald

  2. Warum werden die Stücke nicht wenigstens ansatzweise in historischen Kostümen und Kulissen aufgeführt?
    Die Tatsache, dass uns Vieles auch heute zu sagen hatte, würde nicht darunter leiden.

    Gerald Hamann

  3. Ich habe die Uraufführung 2021 gesehen, und habe mir schon beim Anfang gedacht: „So ein Dreck“ (die Inszenierung natürlich), und das hat sich bis zum Ende durchgezogen. Ich komme noch einmal darauf zurück. Leider ähneln heutzutage Kritiken eher Lobhudeleien, es gibt jede Menge freier Plätze und das weist ja auf ein Problem hin, welche das Regietheater mit seiner geschlossenen „Blase“ mit sich gebracht hat, nämlich dass das Publikum das nicht mehr sehen will (in Salzburg ist es das Gleiche, mit einem überpsychologisierenden Macbeth und einem primitiv-sexbetonten Figaro – der wurde ja auch ordentlich ausgebuht). Da muss halt die Kritik dann her, die das ausbügelt.
    Was die Inszenierung des Hr. Tscherniakov betrifft, ist sie ja entsetzlich, verfälscht Wagners Werk, raubt ihm die Spannung (ich habe in Wien Wieland Wagners Inszenierung gesehen, die war so etwas von hochdramatisch), und wenn der Holländer auf einmal in die trinkenden Matrosen schießt, ist das nur mehr lächerlich, ebenso der Schluss, der ja keine Erlösung zulässt, die ja der Kernpunkt bei Wagner ist. Die Sänger, ja (wobei Hr. Volle besser als Hr. Lundgren von damals ist, der noch extrem unsympatisch wirkt, bis er endlich die paar Matrosen umbringt; was Fr. Teige betrifft, so wäre eine Personenregie, die ihr ein anderes „Händespiel“ als das ununterbrochene Betonen des Gesungen suggeriert, nützlich gewesen). Haben Sie jeweils Astrid Varnay oder Leonie Rysanek gesehen? Keilberth oder Karl Böhm dirigieren gehört? Die waren halt doch ein anderes Kaliber.

    Franz Gillinger

    Meine Bilanz schaut halt leider nicht so gut aus. Was diesen Holländer betrifft, so sage ich nur: Nein danke, nie wieder! Nichts Prägendes, nichts Vernünftiges, nichts Schönes.

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