Hamburg: Kent Nagano nimmt dem Wagner-Holländer den Wind aus den Segeln

Richard Wagner, Der fliegende Holländer  Staatsoper Hamburg, 12. Januar 2025

Foto: Archiv Der Fliegende Holländer/Peter Hoare, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Mitglieder des Herrenchores der Nationaloper Kyiv © Hans-Jörg Michel

Ein souveränes Gesangsensemble um Tomasz Koniecznys Paradeholländer führte auch diesen Wagner-Abend in der Dammtorstraße zum Erfolg. Leider nahm Kent Nagano mit einem eher leblosen Dirigat dem eigentlich stürmisch-furiosen Werk mindestens ein bisschen den Wind aus den Segeln.  

Der fliegende Holländer
Musik und Libretto von Richard Wagner

Inszenierung: Michael Thalheimer
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Michaela Barth
Licht: Stefan Bolliger
Dramaturgie: Ralf Waldschmidt
Chor: Eberhard Friedrich

Staatsoper Hamburg, 12. Januar 2025

von Johannes Karl Fischer

Eigentlich ist diese Oper getrieben von Wagners abenteuerlicher Flucht über die stürmische Nordsee  vor seinen Gläubigern – auch der junge Wagner hatte schon Geldärger – aus Riga. Nun ja, heute in Hamburg schien dieses Schiff nicht aus dem Hafen zu kommen, die Hafenpolizei leichtes Spiel zu haben. Verantwortlich dafür war vor allem eine eher leblose Orchesterleistung unter dem gemütlich dahinplätschernden Dirigat von Kent Nagano, der aus diesem energetischen Jugendwerk Wagners eher einen urlaublichen Meerblick holte.

Das wäre ja alles nicht so schlimm – in der Oper geht’s ja schließlich um Gesang und Regie. Leider ging Herrn Naganos Melodien schon in der Ouvertüre regelmäßig die Luft aus, viele der herausragenden Solisten und selbst einige Orchesterstimmen musizierten immer wieder knapp vor dem restlichen Ensemble. Sie wollten offenbar schneller. Sie wollten die stürmischen Weltmeere besegeln, anstatt mit Wagner von der Hafenpolizei Rigas drei Meter hinter Port wieder an Land geholt zu werden.

Leider traf dieses Dirigat vor allem Michael Thalheimers personenregielastige, in den vergangenen zwei Auflagen stürmisch packende Inszenierung. Das von Seilen geflutete Bühnenbild bewegte sich zweieinhalb Stunden lang nicht von der Stelle, die Regie schien über weite Strecken eher im Zeitlupentempo dahin zu schreiten. Nun ja, ein bisschen Amfortas-hängt-am-Kreuz-Stimmung im Holländer darf auch mal sein…

Gesanglich gab es dennoch viel positives zu berichten. Besonders Benjamin Bruns ließ sich von dieser Orchesterstimmung nicht beeindrucken, gesanglich und schauspielerisch unaufhaltbar stürzte er sich in seine Partie der hilflosen Eriks. Mit voller Inbrunst kämpfte dieser verliebte Jäger um seine Senta, sang sie in Grund und Boden und hatte das Orchester stets im musikalischen Drosselgriff. Herr Bruns wird im April an diesem Haus Parsifal singen… ist das ein Stolzing-in-the-Making?

Auch Tomasz Konieczny erledigte die Partie des auf ewig verdammten Titelhelden souverän und mit kräftiger, trotziger Stimme. „Ewige Vernichtung, nimm mich auf“ schallte in den Saal wie der donnernde Befehl eines allmächtigen Göttervaters, man spürte die mächtigen Emotionen seiner Liebe zu Senta kräftig im Saal resonieren. Seine ebenfalls eindrucksvolle schauspielerische Leistung glänzte nicht zuletzt im dritten Aufzug, als er wie aus einer unsichtbaren Ecke versteckt das Erik-Senta-Paar überraschte und  das ganze Haus in den Schock von Sentas Anblick über dieses handlungstechnische Missverständnis versetzte.

Liang Li sang einen ebenfalls sehr ausdrucksstarken, zutiefst klar verständlichen Daland. Der handelnde Seemannskapitän formte seine Melodien rund und stark durch alle Tiefen seiner Bass-Rolle, wusste die Musik ebenso zu verkaufen wie seine Tochter Senta… in der auch Wendy Bryn Harmer mit viel Leidenschaft und Emotion das Publikum berührte!

Trotz ihres sehr intensiven  Vibratos – was in dieser Partie ehrlich gesagt nicht unangebracht ist – resonierten ihre Melodien tief im Saal und im Herzen des Publikums. Man spürte die ganze Widerspenstigkeit gegenüber ihrem Vater aus ihrer Stimme dringen, auch Herrn Koniecznys Holländer konnte sie stimmlich die Stirn bieten. Das reicht.

Fast genauso stimmstark sang Daniel Kluge die eher klein gehaltene Nebenrolle des Steuermanns. Wie ein spiellustiger Matrose hopste er stimmungsvoll über die Bühne und schien in diese fast schon spiegelglatte Hochsee mehr denn ein bisschen Komödie hineinzubringen. Katja Pieweck war eine souverän routinierte Mary, die mit sanfter, ein wenig braver Stimme die Spinnerinnen bei der Arbeit in Stimmung hielt.

Am Ende war der Applaus im gut besuchten Haus erstaunlich gemäßigt, selbst für Herrn Koniecznys Holländer, der musikalisch seiner umjubelten Paradeleistung in Zürich um nichts nachstand.

Für das Staatsorchester gab es sogar vereinzelte Bravo-Rufe, waren die etwa ironisch gemeint? Oder sitzt da vielleicht ein anderes Publikum im Saal als bei der Premiere, wo die gleiche Konfiguration im Graben lautstark ausgebuht wurde?

Johannes Karl Fischer, 13. Januar 2025 für
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