Der Berliner „Ring“ vollendet – eine Bilanz

Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen in Berlin – eine Bilanz  11. Oktober 2022

Foto: Andreas Schager (Siegfried) © Monika Rittershaus

Christian Thielemann triumphiert, Buhorkan für Tcherniakov

von Kirsten Liese

Soviel vornweg: Siegfried und Götterdämmerung konnte ich entspannter als die ersten beiden Teile des Zyklus erleben, da keine Tiere in Käfigen leiden mussten. Überzeugender wirkten die Inszenierungen dieser Teile gleichwohl nicht, die gesamte Produktion kam vielmehr einer Bankrotterklärung an die zeitgenössische Opernregie gleich, der bereits dritten in der jüngeren Rezeptionsgeschichte von Wagners „Ring“ nach den Desastern an der Deutschen Oper Berlin (Stefan Herheim) und bei den Bayreuther Festspielen (Valentin Schwarz).

Tcherniakov verweigert sich dem Libretto, seine „Übersetzung“ der Geschichte steht zum Text in keinem Bezug, das Geschehen wirkt daher – und dies vor allem in seinen entscheidenden Wendepunkten – unglaubwürdig.

Das fängt damit an, dass Siegfried Nothung, „das neidliche Schwert“, das Wotan seinem Vater in Stücke schlug, gar nicht neu schmiedet, sondern Mimes Apartment im Forschungszentrums E.S.C.H.E, zur entsprechenden Musik übermütig kurz und kleinschlägt.

Besetzt ist die Partie immerhin optimal: Andreas Schager singt den Kraftprotz fulminant mit großem Strahl in allen Registern, gesegnet mit schier endlosen Reserven und guter Textverständlichkeit. Auch darstellerisch gelingt ihm – sofern die Regie ihm die Chance dazu gibt – das  Rollenporträt eines selbstbewussten, unerschrockenen Helden.

Seine undankbarsten Szenen hat er, wenn er ohne Vergessenstrunk, von dem nur im Gesang die Rede ist,  darin einwilligt, Brünnhilde für Gunther zu freien, quasi einfach mal so, und Brünnhilde dann ohne Tarnhelm und Gunthers Gestalt aufsucht. Dass sie den zum schnöseligen Pascha gewordenen Siegfried dann nicht erkennt, wiewohl er in realer Gestalt vor ihr steht, wirkt freilich um noch ein Vielfaches befremdlicher.

Darüber zeigt Tcherniakov keine Scheu, sich mittels allerhand Banalisierungen über das Drama um Gier und Macht, denen die Liebe zum Opfer fällt, lustig zu machen. Grane, das Ross, in der Inszenierung von Valentin Schwarz absurderweise ein Mann, der zu Tode gequält wurde, ist hier – nicht weniger abwegig- ein ridiküles Spielzeugpferdchen, das Siegfried bei seinem Aufbruch in eine Reisetasche einpackt.

Das Schlaflabor, in das Brünnhilde vom Wanderer geführt wird,  kurz bevor Siegfried in der Tür erscheint (einen Felsen gibt es in dieser Produktion freilich nicht), wirkt nicht minder profan, aber am abwegigsten wirkt wohl die Szene in einer Sporthalle, in der  Hagen beim Basketball Siegfried eine Fahnenstange in die Rippen rammt.

Anja Kampe (Brünnhilde), (c) Monika Rittershaus

Bestenfalls ist es also eine Art Assoziationstheater, was hier geboten wird mit ein paar Anspielungen auf eine verrückte Welt, in der die Menschen wie bei George Orwell permanenter Überwachung ausgesetzt sind. Und in dem so ziemlich alle Arten von Laboren vorkommen, ausgenommen ein Sprachlabor.

Bis zur letzten Minute fulminant blieb Christian Thielemanns  musikalische Einstudierung, unberührt von jedweden Trivialisierungen und Unsinnigkeiten. Bis in Übergänge vor starken Verlangsamungen oder beginnenden Crescendi hinein bringt er die Partitur klangprächtig und farbenreich zum Funkeln, dass man meinen könnte, Orchester und Dirigent seien schon seit Jahren zu einer Einheit zusammengewachsen, dabei reduzierte sich die Probenarbeit mehr oder weniger auf zweieinhalb Wochen, in denen Thielemann teilweise noch zwischen Berlin und europäischen Metropolen, in denen er mit seiner Sächsischen Staatskapelle parallel auf Tournee war, hin- und herjettete.

Seine langsamen Tempi kommen der Musik sehr zugute, insbesondere dann, wenn das tiefe Blech exponiert in aller Breite zum Einsatz  kommt,  sei es im ersten Akt des „Siegfried“, wenn der Held zumindest davon singt, das Schwert neu zu schmieden, beim Auftritt des Riesen Fafner in der Neidhöhle, bei Siegfrieds Kampf mit ihm, beim Trauermarsch oder im Schlussgesang der Götterdämmerung.

Neben dem herausragenden Andreas Schager, der noch im reiferen Alter von 51 Jahren äußerst jugendlich im Jogginganzug wirkt, versammelte sich auf der Bühne vorzugsweise eine starke männliche Phalanx, zu der des weiteren Michael Volle als großartiger, klug phrasierender Wotan-Wanderer zählte wie auch der stimmgewaltige Finne Mika Kares (wenn auch seitens des Timbres von keiner vergleichbaren Schwärze wie einst ein Matti Salminen) und Johannes Martin Kränzle als Alberich.

Johannes Martin Kränzle (Alberich), Stephan Rügamer (Mime) (c) Monika Rittershaus

Warum Kränzle allerdings als nackter Greis in Unterhose seine letzten Auftritte absolvieren muss und neben ihm auch zahlreichen anderen Figuren wie Mime und den drei Nornen zugemutet wird, als hochbetagte, runzlige Funzeln an Stöcken und Rollatoren durch das Versuchslabor zu geistern, bleibt ein weiteres Geheimnis des Regisseurs, der sich für das Ende der Oper auch noch einen eigenen Schluss ersonnen hat: Zu den gewaltigen breiten Schlussklängen verlässt Brünnhilde  das Forschungszentrum E.S.C.H.E, das sich utopisch in Luft auflöst.

Johannes Martin Kränzle (Alberich), Mika Kares (Hagen) (c) Monika Rittershaus

Leider geriet Anja Kampe in dieser Rolle im Fortlauf des Premierenzyklus mehr und mehr an ihre hochdramatischen Grenzen. Schon im dritten Siegfried-Akt und vor allem im Schlussgesang bewältigte sie ihre Spitzentöne nur noch schreiend. Einige vereinzelte Buhrufe musste sie dafür einstecken, nicht vergleichbar allerdings mit dem Buhorkan, der auf den Regisseur niederging und in dieser Vehemenz schon lange nicht mehr an einem Berliner Opernhaus zu erleben war. Hoffentlich schont sich die Sängerin nach den kraftzehrenden nächsten Durchgängen. Ihre Brünnhilde in der Walküre war höchst achtbar, dabei sollte sie vorerst besser bleiben.

Ich stelle mir vor, wie ungleich toller dieser Ring insgesamt hätte ausfallen können, wenn statt Tcherniakovs Kokolores die Bühnenbilder von Günther Schneider Siemssen wiederbelebt worden wären, die Thielemann schon einmal für seine rekreierte Jubiläums-Walküre in Salzburg nachbauen ließ. Die sind zwar über 50 Jahre alt, wirkten aber vor wenigen Jahren noch wunderbar zeitlos.

Der neurologisch schwer erkrankte Daniel Barenboim, der noch im Juni bei beiden Konzerten im Publikum saß, als Thielemann erstmals als Ersatz für Herbert Blomstedt die Berliner Staatskapelle leitete, schaffte es diesmal nicht ins Publikum. Sein gesundheitlicher Zustand, so lässt sich vernehmen, hat sich wohl noch einmal verschlechtert. Ich wünsche ihm aus vollen Herzen eine schnelle Besserung!! Dafür saß  seine Frau Elena Bashkirova eine Reihe vor mir im ersten Rang. Was sie wohl ihrem Mann über Thielemann und die dürftige Inszenierung berichtet haben wird?

Jedenfalls wird es wohl der in wenigen Tagen beginnende zweite Ring-Durchlauf unter der Leitung des noch weniger prominenten Barenboim-Assistenten Thomas Guggeis schwerer haben. Erst zum dritten Zyklus wird das Glanzlicht Thielemann, der nun erst einmal in den USA sein Debüt beim Chicago Symphony Orchestra geben wird, zurückkehren.

Aber zumindest eine Verbesserung erwartet das Publikum der kommenden Runde: Es werden keine Meerschweinchen in den Käfigen mehr ausgestellt und damit Tierleid verringert, zumindest diesen Teilerfolg vermeldete mittlerweile die Tierrechtsorganisation PETA. Zufrieden gebe ich mich freilich erst, wenn auch kein einziges Kaninchen mehr „mitspielen“ muss und dafür kämpfe ich weiter.

Kirsten Liese, 11. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Götterdämmerung Staatsoper Unter den Linden, 9. Oktober 2022 PREMIERE

Richard Wagner, Siegfried Staatsoper Unter den Linden, 6. Oktober 2022 Premiere

Halbzeit: Rheingold und Walküre unter Christian Thielemann an der Berliner Staatsoper Staatsoper Unter den Linden, Premieren 2. und 3. Oktober 2022

10 Gedanken zu „Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen in Berlin – eine Bilanz
11. Oktober 2022“

  1. Woran krankt das moderne Regietheater, besonders bei Wagner, schon seit rund 40 Jahren? Wohl besonders daran, dass es Regie und Inszenierung nicht mehr in erster Linie von der Musik heraus versteht und gestaltet, wie es Wagner selbst oder auch Mahler taten. Heutige Regisseure studieren nur noch selten die Partituren am Klavier, lesen sie intensiv und lernen sie auswendig. Sie machen sich keine Gedanken mehr zu den periodischen Verläufen und Spannungsbögen in der Musik, der Logik der Harmonik, der Dynamik, der Tempi, zu den rhythmisch-pulsierenden Nebenfiguren und Kontrapunkte im Orchester, den Dissonanzen als dramatischem Mittel. Sie studieren nicht mehr die Orchestrierung, die verbindenden Leitmotive und Themen in den Partituren Wagners. Eine überzeugende Regie kann bei Wagner aber nur aus dem Geiste der Musik heraus gelingen – so wie es der Komponist selbst durch seine zahlreichen Regieanweisungen in seinen Partituren zeigt. Und natürlich werden auch diese Regieanweisungen der Autoren/Komponisten von heutigen Regisseuren bestenfalls noch als Gegenstand der Belustigung betrachtet. Das Resultat ist – gerade bei Wagner – ein vollkommenes Nebeneinander zwischen der Musik und der Handlung einerseits und der Regie auf der Bühne andererseits. Zwischen diesen Parametern gibt es dann im „Gesamtkunstwerk“ keine Kommunikation mehr. Der Zuhörer ermüdet, da er es irgendwann aufgibt, logische Verknüpfungen zwischen dem rein musikalischen Eindruck durch das Ohr und dem szenischen Geschehen auf der Bühne zu suchen, da es diese Verbindung zwischen Musik und Dramaturgie hier einfach nicht mehr gibt. Meiner Ansicht nach kann zu der im tiefsten noch aus der Romantik heraus empfundenen Musik Wagners nur ein Regietheater für den Zuhörer verständlich werden, das zumindest noch im Ansatz die Ästhetik der Romantik aufgreift und versucht, dadurch auf der Bühne mit der Musik zu kommunizieren. Alles andere führt zu diesem traurigen, unsäglich langweiligen Nebeneinander zwischen Musik und Szene, wie wir es bei Wagner leider heute so oft erleben müssen. Ein Nebeneinander, das nicht selten wie rücksichtsloser, rechthaberischer Kampf wirkt, bei dem die Musik etwas sagt und der Regisseur überhaupt nicht darauf eingeht und nur seine eigenen Ideen gegen die Musik auf der Bühne durchdrücken möchte. Doch was ist ein Regisseur eigentlich? Ist er der Autor oder sollte er nicht vielmehr ein Interpret des Werkes sein, so wie es der Dirigent oder etwa ein Hornist im Orchester ist? Sollte sein Können uns seine Phantasie nicht vielmehr dienend im Dienste des jeweiligen Werkes stehen, ohne sich immer in den Vordergrund zu drängen, sich vor die Handlung, vor die Musik, vor den Autor selbst als eine Art von besserwissendem „Übersetzer“ zu stellen? Und das Werk dabei vielleicht nur benutzt (oder auch missbraucht), um sich selbst zu profilieren? Etwas anderes wäre es, wenn er selbst Opern komponieren würde, wo dann all diese „Verrücktheiten“ beliebig und frei ausgelebt werden könnten. Es wäre dann aber ein eigenes Werk – so wie der Ring nun einmal das Werk Wagners ist. Ich fürchte, dass man bald bei Wagner auch versuchen wird, die Musik, die Partituren selbst, also das bislang als Einziges noch nicht Angetastete, zu verändern, zu modernisieren. Also versuchen wird, etwa die Orchestrierung und die Harmonik etc. dem modernen Bühnenbild der Regisseure anzupassen. Dann würde aber nur noch außen auf der Packung „Richard Wagner“ stehen: Alles andere wären nur noch Erfindungen von Leuten, die selbst zwar keine solche Werke schreiben können, sich aber einfach in geniale Werke anderer Autoren setzen.

    Jörg Klotz, Organist

  2. Dank für diese Besprechung, die der Realität entspricht, entgegen dem, was ich zu dieser Produktion las von den sich selber als „Kenner Richards Wagners und seinen Werken“ erklärten Schreiberlingen.
    Der Bayreuther Regie wurde hier noch eine „Krone der/an Absurdität“ aufgesetzt.
    Die streßgeplagten/-gequälten Tiere scheinen vor allem diejenigen, die sich gern mit ihren eigenen Tieren und ihrer sog. Tierliebe präsentieren, nicht gestört zu haben, die ausgesprochene Tierliebe des Meisters Richard Wagners wurde hier für mein Verständnis ebenfalls verhöhnt…
    Insgesamt sind wir sehr froh, daß wir uns mit der 1. Pause Walküre von dieser Live-Bühne verabschiedet haben!!!! So konnten wir die musikalisch funkelnden Sterne dieses Werkes per Radio genießen!!!
    Ja, die Bühnen eines Günther Schneider-Siemssen sollten diese Regisseure sich mal ansehen, hier gab es eine Einheit von Musik und Werk…

    Margot Krajewski

  3. Ich habe den neuen Ring der Staatsoper Berlin nicht gesehen, auch nicht den in der Deutschen Oper, jedoch das Gemurkse aus Bayreuth auf 3 Sat verfolgen können. Ich frage mich zunehmend, was in den Köpfen der Damen und Herren Intendanten vor sich geht, wenn sie sich die Konzepte ihrer Regisseure unterbreiten lassen? Oder sich zumindest ein paar Proben anschauen? Es wird nicht nur am Text und der Musik vorbei inszeniert, sondern eine neue Handlung erfunden, die mit dem genialen Werk Richard Wagners nicht das Geringste zu tun hat. Und warum lassen die Dirigenten diesen Schwachsinn zu? Von einem Wagnerschen Gesamtkunstwerk kann doch nicht die Rede sein!
    So treibt man das Publikum aus den Opernhäusern. Eine Schande.

    Peter Essler-Petrusch

  4. Liebe Frau Liese,

    Sie behaupten, dass die gesamte Produktion vielmehr einer Bankrotterklärung an die zeitgenössische Opernregie gleich kommt, der bereits dritten in der jüngeren Rezeptionsgeschichte von Wagners „Ring“ nach den Desastern an der Deutschen Oper Berlin (Stefan Herheim) und bei den Bayreuther Festspielen (Valentin Schwarz).

    Haben Sie den Ring von Valentin Schwarz live im Festspielhaus erlebt?

    Herzlichst

    Gustavo Torlone

    1. Ein Ausschnitt aus der Götterdämmerung in 3sat – länger als einen Akt konnte ich die Schwachsinnsregie nicht ertragen!- und die Beschreibungen von Bühne und Geschehen in Rezensionen reichen schon aus, um zu dieser Bilanz zu kommen. Es wurde ja alles en detail beschrieben.

      Kirsten Liese

  5. Verstehe ehrlich gesagt auch die Dirigenten, die Sängerinnen und Sänger oder die Musiker und Musikerinnen im Orchester nicht, die selbst gegen die abstruseste Opernregie nicht aufbegehren und nicht den Mut (oder Stolz) aufbringen auch einmal zu sagen: „Tut mir leid, aber dafür gebe ich mich mit meinem Können einfach nicht her; im Zweifel verzichte ich lieber auf die Gage oder mein Gehalt.“ Eine Oper – und besonders bei Wagner – ist immer auch ein Gesamtkunstwerk, eine Einheit, ein organisch – künstlerischer Körper, wenn man so will. Zerstört man ein Glied oder kommuniziert ein Teil nicht mehr mit den anderen Teilen, so leidet auch die Verständlichkeit, die Sinngebung und künstlerische Einheit der anderen Bereiche, da sie sich nicht vom Ganzen trennen laßen. Es ist eben nicht so einfach, wenn ein Dirigent, eine Sängerin oder ein Orchestermusiker sagt: „Meine Aufgabe ist es hier, die Musik, die Partitur so gut und so professionell wie nur irgend möglich zum Klingen, zum Funkeln zu bringen. Die Regie und alles was auf der Bühne geschieht liegt dagegen einzig und allein in der Verantwortung der Regisseure – dafür wurde ich nicht engagiert und bin daher auch nicht zuständig.“ Denn jeder Mitwirkende ist hier Teil eines Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile.

    Von den originalen Inszenierungen Wagners in Bayreuth gibt es nur Berichte, Zeichnungen und seine überaus zahlreichen, detaillierten Regieanweisungen in den Autographen seiner Partituren. Doch aus der Zeit zwischen 1900 und 1920, die mit Sicherheit noch in der Tradition Wagners bezüglich Interpretation und Inszenierung steht, sind immerhin Fotos und Tonaufnahmen von Aufführungen des Rings überliefert. Und aus diesen Informationen können wir heute lernen, wie Wagner seine Werke wohl inszeniert haben wollte. Hier eine Aufnahme von 1917: Lotte Lehmann „Du bist der Lenz“ aus der Walküre bei YouTube:
    https://www.youtube.com/watch?v=Yv87Edkt2QQ

    Jörg Klotz

    1. „Zerstört man ein Glied oder kommuniziert ein Teil nicht mehr mit den anderen Teilen, so leidet auch die Verständlichkeit, die Sinngebung und künstlerische Einheit der anderen Bereiche, da sie sich nicht vom Ganzen trennen laßen. (…) Denn jeder Mitwirkende ist hier Teil eines Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile.“

      Perfekt auf den Punkt gebracht. Und genau deswegen kann ich mich nicht für die Oper erwärmen und habe es dementsprechend auch nicht über mich bringen können, mal eine Aufführung zu besuchen.
      Das „Gesamtkunstwerk“ wird heutzutage doch nur noch als Nebeneinanderbestehen verschiedener Kunstbereiche gelebt und dabei bestenfalls noch als ein beabsichtigtes Konzept verkauft, ganz gleich, wie weit es hergeholt ist. Um eine ursprünglich mal vorhandene künstlerische Vision geht es dabei schon lange nicht mehr, sondern nur noch um Neuinterpretation zur persönlichen Belustigung der Person eines Regisseurs, ein Verkleiden aktueller politischer Debatten im Deckmantel von Jahrhunderte alten (und bewährten) Kunstformen oder persönlicher Geschmacksvorstellung von Gesellschaftskritik.
      Das aber ist keine Kunst, das ist Selbstbefriedigung. Und wie wir am Beispiel der Staatsoper unter den Linden sehen, geht diese Selbstbefriedigung sogar über Geschmacksverirrungen hinaus bis hin zu regelrecht verwerflichen Praktiken (hier in diesem Fall Tierquälerei).

      Daniel Janz

    2. The problem is not with directors, but with the requirements that theater directors place on them. I have a friend who is a talented director. He was very fond of opera and music and wanted to put on beautiful performances. But he did not find a single opera house where he could get a job. Everywhere you need trash, „horror“ and stupid postmodern irony. Only those directors who work this way are in demand. As a result, my friend organized his own small theater in Lyon, but a drama one.
      But this situation with the opera is understandable. There are too many theaters, they all put on more or less the same thing. There is little new, there are almost no adequate new operas, and no one is looking for such composers. Well, where do you get so many spectators to fill all the halls of theaters where they stage the same thing? No one will keep the theater for the sake of two dozen high-browed intellectuals who sometimes go there. Therefore, they rely on visual effects and scandals.

      Andrey Tikhomirov

  6. Liebe Regisseurinnen und Regisseure, wann begreift ihr endlich, dass wir als Publikum erwachsene, mündige Menschen sind? Menschen, die zumeist selbst Schule oder Studium etc. hinter sich haben und selbst abwägen können. Wir brauchen eure Bevormundungen über ein bestimmtes Werk nicht mehr. Wir wollen nicht ständig von euch von oben herab und besserwisserisch belehrt werden, wie wir (als Kindergartenkinder) ein Werk richtig zu verstehen oder zu deuten haben. Wir wollen nicht mehr, etwa bei einem Schauspiel von Schiller oder Lessing, die Textstellen, die euch aus irgendeinem Grund nicht passen, herausgestrichen oder in eurem Sinn verändert sehen. Wir wollen nicht mehr Teile der Handlung bei Wagner, die euch nicht gefallen, euch nicht mehr zeitgemäß oder zu wenig politisch erscheinen, verfremdet und umgedichtet haben. Vielleicht wären es gerade die Stellen gewesen, die uns im Original am meisten berührt hätten? Wir wollen als frei denkende Menschen selbst entscheiden dürfen, was uns bei einem Werk aus der Vergangenheit gefällt oder was wir darin vielleicht abstossend finden. Wir wollen nicht immer eine Anstandsdame neben uns haben, die uns zeigt, wie wir in einem Werk etwas zu sehen, zu fühlen haben, die uns sagt, was uns wie zu gefallen hat und was nicht. Zeigt und inszeniert uns die Werke einfach entspannt, lebendig und phantasievoll auf dem Theater, so wie sie nun einmal sind und von ihren Autoren oder Komponisten erdacht und geschrieben wurden. Zeigt sie uns im Original mit all ihren Stärken und Schwächen, mit all ihrem Großen und Schönen – aber auch ungeschminkt mit allen Kanten, allen fraglichen, bedenklichen Stellen. Aber lasst uns bitte unser eigens Bild dazu machen! Diese Werke sind zeitlos, indem sie schon über Jahrhunderte hindurch tradiert wurden. Sie sprechen – wenn sie die Regie nur sprechen ließe – daher „schlicht und ergreifend“ für sich selbst. Wir brauchen daher eure oft unverständlichen, ermüdenden Ausdeutungen und fraglichen Übersetzungen nicht mehr, bei denen man nicht selten nur die staubige Langeweile eurer 18 Semester Theaterwissenschaft oder eures Regiestudiums durchschimmern spürt. Wie wollen wieder lebendige Kunst auf der Bühne, die uns berührt, beseelt und uns frei zum eigenen Nachdenken anspornt!

    Jörg Klotz, Organist

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