Zwei Meistersinger bringen die Bayreuther Festspiele in die Exzellenzspur

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg  Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2021

Klaus Florian Vogt und Michael Volle sind die Meistersinger von Bayreuth!

klassik-begeistert.de berichtet als erster Blog über die ersten vier Premieren der Bayreuther Festspiele.

Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2021
Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg

Foto: 26.07.2021 – von Enrico Nawrath / Festspiele Bayreuth.
Chor und Statisten sowie Johannes Martin Kränzle als Sixtus Beckmesser in „Die Meistersinger von Nürnberg“.

von Andreas Schmidt

Nach einer starken Eröffnung („Der fliegende Holländer“), die nur durch eine kalt-tote und ideenlose Inszenierung und einen schwachen Holländer (John Lundgren) etwas beeinträchtigt wurde, sind die Bayreuther Festspiele seit der zweiten Aufführung wieder voll in der Exzellenzspur: Mit den „Meistersingern von Nürnberg“ haben alle Darsteller wieder einmal gezeigt, dass die Musik des Jahrtausendgenies Richard Wagner am besten in Oberfranken erklingt.

Live ist Wagner am besten. Es geht nichts über die superbe Akustik im Großen Festspielhaus in Bayreuth. Wer am Montag dabei war bei der ersten Aufführung der „Meistersinger von Nürnberg“, durfte sich glücklich schätzen. Es war ein phantastischer, sinnlicher und stimmungsvoller Abend auf dem Grünen Hügel – diesen Sound und dieses Bühnenspiel können kein Kino und kein Livestream  bieten.

klassik-begeistert.de verfolgte die 4,5 Stunden dauernde Oper (Nettospielzeit) in Reihe 26 im Parkett. Und wahr war wieder: Die Solisten und der Chor waren die Stars des Abends. Der Chor war von Eberhard Friedrich, dem Chordirektor der Staatsoper Hamburg, ganz hervorragend vorbereitet worden. Stimmlich und schauspielerisch war das eine Weltklasse-Leistung!

Das Festspielorchester musizierte unter Philippe Jordan auf Höchstniveau-Niveau in flüssigen, zügigen Tempi mit sehr viel Spielfreude. Es war eine große Freude, allen Orchesterteilen zuzuhören – genau so geht Wagner! Das herausragende, hochromantische Vorspiel zum dritten Aufzug geriet zu einer genialen Ode an den lyrischen Richard Wagner – Gänsehautfeeling. Der Schweizer Jordan war Chefdirigent der Wiener Symphoniker und Musikdirektor der Pariser Oper. Seit September 2020 ist er Musikdirektor der Wiener Staatsoper.

Sogar noch eine Klasse besser als in den Vorjahren war der Tenor Klaus Florian Vogt als Ritter Walther von Stolzing. Vogt sang makellos. Rein. Frisch. Herausragend. Unüberbietbar. Weltklasse! Besser kann man den Stolzing nicht singen. Klar, fein, in den Höhen atemberaubend sauber und sehr kraftvoll. Bis zum Ende überzeugte der 51-Jährige mit bombastischer Kondition, mit Klangschönheit und –fülle.

Ja, dies war der Abend des Norddeutschen, der mit seiner Familie in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) an der Elbe lebt: Er gab den Stolzing mit seiner ihm eigenen, fast unwirklichen „Knabenstimme“ mit herrlicher Höhe und gefiel besonders mit der „Selige Morgentraum-Deutweise“. So herausragend rein, strahlend und kraftvoll habe ich Klaus Florian Vogt noch nicht gehört.

Lieber Herr Vogt, auch wenn Sie nur den zweitgrößten Applaus nach Michael Volle bekamen: Das waren Sternstunden auf dem Grünen Hügel.  Möge Ihre gesegnete Stimme die Menschen noch viele Jahre verzaubern.

Die Meistersinger von Nürnberg © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Herausragend war auch die Leistung des Baritons Michael Volle als Schustermeister Hans Sachs. Der Facettenreichtum seiner Stimme war zutiefst beeindruckend. Macht- und kraftvoll, souverän und mit phantastischen Zwischentönen. Unübertrefflich! Besser kann man den Schuster Hans Sachs nicht singen: Weltklasse! Mailand, London, New York, Berlin, München und Bayreuth: Michael Volle ist nur an den besten Opernhäusern der Welt zu hören. Der unglaubliche Applaus war hochverdient für diesen noblen Sänger.

Klaus Florian Vogt und Michael Volle sind die Meistersinger von Bayreuth!

Wunderbar der Bass Georg Zeppenfeld als Veit Pogner. Der Megabass steigerte sich noch mal zum Vortag, als er bei der Eröffnung den Daland gegeben und teilweise mit etwas angezogener Handbremse gesungen hatte. Zeppenfeld war, was die Genauigkeit anbelangt, wieder einmal der herausragende Sänger und bot eine makellose Aufführung. 15 Punkte oder 1 mit Stern würde man in der Schule sagen. Sehr mächtig, wenn es sein musste, sehr dunkel, angenehm sanft an vielen Stellen und mit einer klaren deutschen Aussprache gesegnet. Kaum jemand im Extraformat hat eine so klare Artikulation wie Zeppenfeld.

Auch der Bass Günther Groissböck lieferte eine exzellente Mini-Leistung ab. Er zog die Zuhörer und Zuschauer mit seiner väterlichen Stimme in den Bann und sang – hinter der Bühne – die sehr, sehr kleine Rolle des Nachtwächters. Kurz und klasse! Groissböcks Kernkompetenz ist der mittlere und tiefere Bereich – kernig und volltönend! Sehr entspannend. Er hat ein wunderbares, dunkles Timbre, eine absolute Wohlfühlstimme. Schade, dass die Partie sooooo kurz ist. Und schade, dass Groissböck nicht ausreichend für den Wotan in der „Walküre“ geprobt hatte und diese nicht aufführen wird. Viel Glück wünscht klassik-begeistert.de dem Österreicher für seine sechs Partien des Landgrafs Hermann im „Tannhäuser“.

Einen sehr guten David gab der Tenor Daniel Behle. Sehr präsent und sehr präzise sang der gebürtige Hamburger (Jahrgang 1974) als Lehrbube von Hans Sachs – immer wieder berührte er mit sehr schönen Passagen und wunderbarer Strahlkraft. Viel Beifall.

Sehr gut, nuancenreich, mit viel Spielwitz und Stimmenreichtum agierte in den Vorjahren der Bariton Johannes Martin Kränzle als Stadtschreiber Sixtus Beckmesser. Er war am Montagabend stimmlich indisponiert, spielte seine Rolle grandios mit Mundmimik und ließ sich durch den Dänen Bo (Boje) Skovhus vertreten, der im schwarzen, kurzärmeligen Hemd an den Bühnenrändern stand. Skovhus war erst unmittelbar vor seinem Auftritt angekommen, die Festspiele hatten gebangt, ob er es rechtzeitig schaffen würde. Der Däne sang viel zu zurückhaltend während der ersten beiden Aufzüge und war teilweise kaum zu hören im Parkett, Reihe 26. Nachteilig wirkte sich aus, dass der Bassbariton mit gesenktem Kopf permanent in die Noten schaute. Er ist zweifelsohne ein Weltklassemann, dennoch blieb fraglich, ob die Verantwortlichen nicht besser den zweiten Cover-Mann, der vor Ort war, eingesetzt hätten. Skovhus sollte die Partie zudem noch „beckmesserischer“, noch kratzbürstiger und „verrückter“ singen. Sie klang in weiten Teilen noch viel zu „schön“.

Die finnische Opernsängerin Camilla Nylund (* 11. Juni 1968 in Vaasa) gab eine gute bis sehr gute Eva und ließ immer wieder mit wunderbaren Zwischentönen, Farben und Phrasierungen aufhorchen. Manche Passagen gerieten aber auch nur unspektakulär auf normalem Niveau. Fraglich bleibt, warum die Verantwortlichen für die Kosky-Meistersinger-Produktionen mit Evas gearbeitet haben, die die 50 schon hinter sich gelassen haben. Wagner wird sich die Eva sicherlich nicht als 53-Jährige vorgestellt haben.

© Enrico Nawrath

Gewaltig aufhorchen ließ vom ersten Ton an die Mezzosopranistin Christa Mayer, Evas Amme: in der Höhe brillant und mit sehr angenehmem Timbre auch in der Tiefe. Sie ist auch bestens geeignet für größere Aufgaben.

Die Inszenierung des Australiers Barrie Kosky, Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, ist die beste, agilste, vitalste und packendste der letzten Jahre auf dem Grünen Hügel. Ein Meisterwurf. Unverständlicherweise begeht sie ihr letztes Jahr. Barrie Kosky kam am Montagabend persönlich auf die Bühne und bekam starken Beifall – aber leider auch zahlreiche Buhs von „Wagnerianern“, die seine Gesinnung nicht zu teilen scheinen.

Im Vergleich zur trostlosen „Holländer“-Inszenierung des Vortages (Dmitri Tcherniakov) protzte der Kosky-Wurf nur so von Agilität, Farbenreichtum, Witz und Tiefsinn – klassik-begeistert.de empfiehlt Herrn Tcherniakov, sich die letzten „Meistersinger“-Vorführungen als Weiterbildungsmaßnahme anzuschauen.

BR-Klassik schrieb trefflich: „Barrie Kosky inszeniert eine Reise durch den Wahn. Der Wahn wohnt in einem Charakterkopf, auf dem ein schwarzes Samtbarett sitzt. Wagner liebte solche Kappen. Damit sah er fast wie Rembrandt aus. Nicht weit vom Festspielhaus, in der Villa Wahnfried, kann man heute in den rekonstruierten Räumen die originalen Mützen des Meisters bewundern. Dort, bei Wagners Zuhause, beginnt auch Koskys Meistersingerinszenierung. Schon während der Ouvertüre bevölkert sich der Raum. Schwiegervater Franz Liszt greift in die Tasten. Gattin Cosima hat Migräne. Und dann kommt auch noch Dirigent Hermann Levi zu Besuch, den Wagner als Künstler achtet und als Menschen quält, weil er Jude ist. Man spricht ein neues Werk durch, singt und spielt: die Meistersinger.

Wagner, der solche Privataufführungen liebte, verteilt die Rollen. Liszt verwandelt sich in Pogner, Cosima in Eva. Wagner selbst steht mehrfach auf der Bühne. Als junger Mann ist er Stolzing, als alter Sachs. Diese ersten Minuten sind grandios. Temporeich, treffsicher und bitterböse – etwa, wenn alle niederknien, um die deutsche Kunst anzubeten. Nur der Jude Levi wird ausgeschlossen, fremd gemacht, ins Abseits gestellt. Klar, dass ihm die Buhmann-Rolle des Beckmesser zufällt.“

Zum Inhalt: Regeln sind den Nürnberger Meistern heilig, mindestens so heilig, wie Veit Pogner die Tochter Eva. Diese hat der Goldschmiedemeister als Preis eines Wettbewerbs ausgelobt, bei dem Nürnbergs Handwerksmeister singend um das Mädchen ringen sollen. Doch gilt es in diesem Kampf die guten alten Regeln ihrer Kunst zu wahren, denn Verse und Lieder gelten nur, wenn sie dem klassischen Reglement entsprechen. Pech für den verarmten Ritter Walther von Stolzing: auch er hat sich in Eva verliebt und sie hat ihm – zum Glück – sein Herz geschenkt. Lenken lässt sich Liebe nicht: Nun will auch Stolzing sich dem Wettstreit stellen. Ums Ganze – Liebe, Ehre, Regeln, Kunst – singt er in diesem Wettbewerb. Sehr schlecht sind seine Karten, doch am Ende siegt er auf der Festwiese und mit ihm die Überraschung, die Zauberkraft der Liebe und die lebensbejahende Selbsterkenntnis der Handwerksmeister: Erneuerung ist ihre Tradition.

Andreas Schmidt, 26. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg, Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann, CD-Besprechung

Meine Lieblingsoper, Teil 9: „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner klassik-begeistert.de

Schweitzers Klassikwelt 1: „DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG“ klassik-begeistert.de

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg, Semperoper Dresden, 2. Februar 2020

Richard Wagner, Der fliegende Holländer Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2021

 

Musikalische Leitung Philippe Jordan
Regie Barrie Kosky
Bühne Rebecca Ringst
Kostüm Klaus Bruns
Dramaturgie Ulrich Lenz
Licht Franck Evin
Hans Sachs, Schuster Michael Volle
Veit Pogner, Goldschmied Georg Zeppenfeld
Kunz Vogelgesang, Kürschner Tansel Akzeybek
Konrad Nachtigall, Spengler Armin Kolarczyk
Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber Johannes Martin Kränzle (spielte)

Bo Skovhus (Gesang)

Fritz Kothner, Bäcker Werner Van Mechelen
Balthasar Zorn, Zinngießer Martin Homrich
Ulrich Eisslinger, Würzkrämer Christopher Kaplan
Augustin Moser, Schneider Ric Furman
Hermann Ortel, Seifensieder Raimund Nolte
Hans Schwarz, Strumpfwirker Andreas Hörl
Hans Foltz, Kupferschmied Timo Riihonen
Walther von Stolzing Klaus Florian Vogt
David, Sachsens Lehrbube Daniel Behle
Eva, Pogners Tochter Camilla Nylund
Magdalene, Evas Amme Christa Mayer
Ein Nachtwächter Günther Groissböck

 

 

 

 

4 Gedanken zu „Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg
Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2021“

  1. Meines Wissens hat man für diese Produktion ganz bewusst ältere Darstellerinnen für die Eva gewählt, sollen sie doch Cosima Wagner darstellen, die trotz ihrer Migräne in der Rahmenhandlung des Hauskonzerts die Eva übernehmen muss.

    Lorenz Kerscher

      1. Lieber Andreas,

        ich habe gelesen, dass Anne Schwanewilms die Rolle der Eva für die Premierenbesetzung nicht annehmen wollte, weil sie meinte, aus dem Alter für die Rolle heraußen zu sein. Kosky habe sie aber überredet mit dem Argument, dass sie ja Cosima Wagner darstellen solle. Also hatte Kosky den Altersunterschied wohl nicht recherchiert und auch das übrige Bayreuth wusste nicht Bescheid …
        Abgesehen davon fand ich auf der DVD der genialen Produktion Anne Schwanewilms wirklich gut. Wer auf seine Stimme aufpasst, kann auch mit 50 noch schön singen.

        Liebe Grüße und genieße Bayreuth!

  2. Lieber Andreas,

    ein fulminater Meistersinger-Abend, der mich erneut in meiner Begeisterung für Bayreuth bestätigt hat. Ich kann Deinen Beiträgen zum Holländer und den Meistersingern nur beipflichten.

    Es war herrlich sich in den Pausen auszutauschen.

    Liebe Grüße aus München
    Nicole Huffer

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert