Meine Lieblingsoper, Teil 9: "Die Meistersinger von Nürnberg" von Richard Wagner

Meine Lieblingsoper, Teil 9: „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner  klassik-begeistert.de

Meine ersten Meistersinger in Bayreuth erlebte ich 1999. Es war die letzte Inszenierung von Wolfgang Wagner, die im Premierenjahr noch Daniel Barenboim leitete, ein Jahr später dann Christian Thielemann, der damit sein fulminantes Debüt auf dem Grünen Hügel gab. Die Inszenierung setzte keine Maßstäbe, war aber handwerklich gut gemacht und diente der Erzählung der Geschichte mit allem was dazu gehört.

Foto: Wolfgang Wagner und Christian Thielemann. Foto: © Bayreuther Festspiele

von Kirsten Liese

Die meisten Männer in der Oper haben keine guten Wesenszüge. Sie erscheinen tumb, untreu, machtversessen, perfide und gemein.

Was für ein prächtiger Charakter ist dagegen der Hans Sachs in Wagners Meistersingern! Der Schuster ist erfahren, weise, selbstlos, souverän, jovial, väterlich, fair und bei alledem aber auch verletzbar. Junker Stolzing, seinen Schützling, lehrt er, den Traditionalisten nicht gleich zu radikal vor den Kopf zu stoßen („nur ist’s nicht leicht zu behalten, und das ärgert unsere Alten“). Als Liebender, der des großen Altersunterschieds wegen auf das Evchen verzichtet („Hans Sachs war klug und wollte nichts von Markes Glück“), ist er gewissermaßen das männliche Gegenstück zu der Marschallin im  Rosenkavalier.

Auch musikalisch sind ihm zwei der schönsten Szenen des Stückes vorbehalten: Der poetische Fliedermonolog im zweiten Akt und der Wahn-Monolog im dritten.

Die schönste Aufführung sah ich Mitte der 1970er Jahre in der Deutschen Oper Berlin.

Regie führte damals Peter Beauvais mit stimmungsvollen Ansichten vom mittelalterlichen Nürnberg mit den heute ach so verachteten Butzenscheiben und einer zauberhaften Festwiese mit einem lichten Horizont dahinter, die entfernt an Landschaftsbilder von Caspar David Friedrich erinnerte.

Dietrich Fischer-Dieskau (1970),
(c) wikipedia.de

Unvergessen ist mir vor allem Dietrich Fischer- Dieskau als ein bis heute unübertroffener Sachs. Ich war mir Jahre später mit dem Wagner-Connaisseur Peter Wapnewski einig, dass dies die absolute Glanzpartie von Dieskau war, dies vor allem auch als feinfühliger Liebender. Dazu fügte es sich gut, dass in einigen Vorstellungen Julia Varady das Evchen sang, die gerade mit Dieskau frisch verheiratet war –  die Konstellation brachte ein besonders spannungsvolles Knistern zwischen den beiden mit sich.

Jedenfalls waren das Sternstunden in der Aufführungsgeschichte dieses Werks, das drei Jahrzehnte später in dieser naturalistischen Ästhetik kaum noch denkbar erschien.

Zum Glück war dies nicht die einzige gute Produktion dieses Musikdramas, die mir in jungen Jahren vergönnt war. Theo Adam in dieser Rolle, der ebenfalls ein fantastischer Sachs gewesen sein muss, hörte ich zwar leider nur auf der Platte unter Herbert von Karajan. Aber noch die Nachfolge-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin von Götz Friedrich, in der Bernd Weikl einen weiteren hervorragenden Sachs gab, für den diese Partie ebenso zu einer Paraderolle wurde, wirkte sehr berührend ebenso wie die von August Everding inszenierte Produktion an der Bayerischen Staatsoper, die ich dort in den 1990er Jahren unter Wolfgang Sawallisch mehrfach erleben durfte, und nicht zu vergessen die ebenfalls noch ganz dem Stück verpflichteten  Meistersinger  von Daniel Barenboim und Harry Kupfer an der Berliner Staatsoper.

Bayreuther Festpielhaus, Andreas Schmidt (c)
Foto: (c) Andreas Schmidt

Meine ersten Meistersinger in Bayreuth erlebte ich 1999. Es war die letzte Inszenierung von Wolfgang Wagner, die im Premierenjahr noch Daniel Barenboim leitete, ein Jahr später dann Christian Thielemann, der damit sein fulminantes Debüt auf dem Grünen Hügel gab. Die Inszenierung setzte keine Maßstäbe, war aber handwerklich gut gemacht und diente der Erzählung der Geschichte mit allem was dazu gehört. Allerdings war es die letzte Produktion einer solchen szenischen Ausrichtung vor dem entscheidenden Einschnitt. Das hatte nicht unerheblich mit dem negativen Presse-Echo zu tun. Die überregionale Opernkritik störte sich daran, dass Wolfgangs Inszenierung zu wenig politisch gewesen sei. Schließlich handelte es sich doch um das „Kainsmal deutscher Geschichte“, wie einmal ein Journalist das Musikdrama bezeichnete.

Im Zuge dessen müssen sich Regisseure regelrecht aufgefordert gefühlt haben, die unrühmliche Rezeption dieses Werkes, dem die Nationalsozialisten ihre nationalistische Ideologie aufzwangen, zum Ausgangspunkt ihrer Inszenierungen zu machen.

Man könne das Werk nicht mehr unbelastet aufführen, meinte beispielsweise Peter Konwitschny, der an der Hamburgischen Staatsoper 2002 mit seinen Meistersingern  für einen Skandal sorgte: Nach den Worten „Was deutsch und echt“ brach die Musik brüsk ab, dann sagte einer der Meister mit Sprechstimme „das kannst du doch nicht ernsthaft jetzt so bringen“, Hans Sachs verstummte, und es wurde lauthals mit einem frei erfundenen Text darüber disputiert. – Zum Missfallen eines durchaus streitlustigen Publikums, das sich das keineswegs gefallen ließ. Zumindest gab es allerhand verärgerte Zwischenrufe aus dem Parkett, und nachdem aus dem Rang jemand empört Konwitschny einen „Oberlehrer“ schimpfte, intervenierte der am Pult stehende Ingo Metzmacher mit dem Vorschlag, den Abend friedlich zu Ende zu bringen, nannte eine Taktzahl und gab den Einsatz.

Vielleicht hatte ein solches Experiment tatsächlich einmal seine Berechtigung, aber leider war das erst der Anfang einer sich ganz und gar auf die dunkle Rezeptionsgeschichte festlegenden Lesart. Christof Nel, dessen Inszenierung an der Oper Frankfurt für mich einen Tiefpunkt markierte, machte aus der Prügelfuge im zweiten Akt regelrecht einen Pogrom gegen den mit einem Davidstern auftretenden Beckmesser. Der Tanz auf der Festwiese wurde bei ihm zu einem Totentanz in völligem Schwarz. Und ganz unweigerlich wurden die Meister so allesamt zu bösen Nazis, dies allerdings mehr in der Fantasie des Regisseurs als seitens der Dichtung und ganz im Kontrast zu der in hellem C-Dur leuchtenden Musik.

Bei Thomas Langhoff in München kamen schließlich auch Hakenkreuze auf die Bühne und so ging es immer weiter. Mit einer Ausnahme: An der Wiener Staatsoper dirigierte Christian Thielemann nach seinem Bayreuth-Einstand noch einmal die Meistersinger  in einer ansprechenden Repertoire-Vorstellung, inszeniert von Otto Schenk. Auch diese Aufführung ist mir unvergessen, weil – inmitten all dieser politischen und zunehmend optisch auch hässlicher werdenden Produktionen – etwas geschah, was einer Art Demonstration gleichkam: Als hinter der Schusterstube die mit allerhand bunten Bändern geschmückte Festbühne zum Vorschein kam, regte sich spontan ein begeisterter, dankbarer lang anhaltender Szenenbeifall. Das Publikum stellte klar: Danke, so wollen wir die Meistersinger  wieder sehen!

Eine Neuproduktion dieser Art stellte freilich eine weitaus größere Herausforderung an den Dirigenten Thielemann, musste er doch erst einmal einen Regisseur finden, der so souverän sein würde, sich aus den politischen Denkrichtungen zu befreien. Noch dazu musste er noch geeignete Sänger finden, die den hoch anspruchsvollen Partien gewachsen sind. Am Ende fand er die idealen Mitstreiterinnen und Mistreiter, allen voran mit Georg Zeppenfeld einen grandiosen Sängerdarsteller, der aus dem schon abgeklärten weisen- überzeugend einen noch etwas jüngeren Schuster machte.

© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

So konnte, zuerst 2019 in Salzburg und zuletzt im Januar in der Dresdner Semperoper in der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog, endlich ein Reset stattfinden und somit das 1868 uraufgeführte Werk selbst mit seinen zeitlosen Konflikten wieder ins Zentrum rücken. Es war seit mehr als 30 Jahren wieder eine herrliche Aufführung, und wie es nun in Corona-Zeiten rückblickend erscheint, wohl das einzige große Opernhighlight des Jahres.

Kirsten Liese, 14. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

© Kirsten Liese

Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

Meine Lieblingsoper, Teil 5: „Don Carlos“ von Giuseppe Verdi, klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert