Schwarz-Weiß-Rot: Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" an der Oper Leipzig

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg, Oper Leipzig, 23. Oktober 2021

Das ist ganz große Oper mit Gänsehauteffekt!
Solche Momente hätte man sich häufiger gewünscht. Dem Publikum hat es gefallen.

Foto: Oper Leipzig, Die Meistersinger von Nürnberg © Kirsten Nijhof

Premiere an der Oper Leipzig, 23. Oktober 2021.

von Dr. Guido Müller

Wenn der Sänger der Hauptrolle des Sixtus Beckmesser in den „Meistersingern von Nürnberg“, des Stadtschreibers der Reichsstadt Nürnberg und sozusagen der „Intellektuelle“ unter lauter Handwerksmeistern und „Volk“, noch mehr der Gegenspieler des Schuhmachermeisters Hans Sachs (großartig warm singend, menschlich und vorzüglich artikulierend James Rutherford) als des Junkers Walther von Stolzing (sehr beachtenswertes strahlendes Debüt von Magnus Vigilius), sehr kurzfristig als Sänger ausfällt und von Mathias Hausmann (dessen geplantes Debüt in der schauspielerisch und gesanglich besonders fordernden, aber auch dankbaren Rolle) zwar wie immer großartig gespielt, aber notgedrungen und doch vorzüglich von Ralf Lukas von der Seite am Notenpult gesungen wird, fehlt jeder Inszenierung das komisch-tragische Zentrum dieser Oper.

Foto: Oper Leipzig, Die Meistersinger von Nürnberg © KirstenNijhof

Ganz besonders gilt dies aber in dieser Inszenierung von David Pountney, der Beckmesser im durchgängig schwarzen Anzug mit jüdisch inspirierter Kopfbedeckung mit dünnen Gebetszöpfchen (Kostüme prächtig und psychologisch auf den Leib geschneidert von Marie Jeanne Lecca) von Anbeginn als Außenseiter quasi in den Mittelpunkt seiner Regie rückt.

Ohne Beckmesser und seine sich unmittelbar im Gesang UND Spiel äußernde Persönlichkeit fehlen der Oper die meisten komischen Situationen – aber auch die tragische Fallhöhe und sogar Modernität dieser Gestalt, die am Ende in dieser Inszenierung im Triumph der Meistersinger und der „deutschen Kunst“ auch einfach im Dunkel der Hinterbühne verschwinden muss.

Foto: Oper Leipzig, Die Meistersinger von Nürnberg © Kirsten Nijhof

Dieses Schicksal teilt er am Ende mit der strahlend weiß gekleideten Eva, die alle ihre Hoffnungen auf eine Flucht mit dem Ritter Stolzing aus der alten Reichsstadt und ihren patriarchalischen Verhältnissen gerichtet hatte, aber daran zweimal durch Hans Sachs gehindert wird, der den bürgerlich gewordenen Junker in die Mitte der männlichen Stadtgesellschaft zwingt und damit auch Eva.

Eva umrundet am Ende der Oper als einsame tragische Gestalt oben das Rund einer Art Amphitheater mit Treppen (Bühne: Leslie Travers) die ständisch gegliederte und unter ihr sich laut feiernde und rein männlich beherrschte Stadtgesellschaft, ohne dass ihr Freiheitsdrang und ihr Geschlecht zu ihrem Recht kämen.

Eva trägt im dritten Aufzug ein sehr elegantes, reich geschmücktes weißes Hochzeitsgewand mit pompöser Kopfbedeckung. Schließlich ist ihr Vater Veit Pogner (seriös und sonor gesungen von Sebastian Pilgrim) auch die reichste Persönlichkeit der Reichsstadt. Sie ist eine „gute Partie“.

Ebensowenig, weiß gekleidet sind der sich im Preislied bewährende zukünftige adlige Gemahl Walther von Stolzing wie das zweite Paar David und Magdalene. Dieses Weiß bestimmt aber auch von Anbeginn an immer wieder die Arbeitskittel der Lehrbuben und weiter Kreise des Volks. Wofür steht es? Reinheit, Naivität, Arbeitsethos, Feierlichkeit?

Und dann gibt es noch die Farbe Rot: die Farbe der Sneakers des zu Beginn im Kontrast zu den spätmittelalterlichen Gewändern von David und Sachs und den altmodisch bürgerlichen Kleidern der Eva und Magdalene zeitgenössisch kostümierten Außenseiters Junker Walther von Stolzing. Am Anfang der Oper nähert er sich damit Eva in der Kirche, die sicherlich nicht nur daran großen Gefallen findet. Und Rot, (Achtung!) die Farbe der Liebe, ist auch Evas Halstuch in der Kirche, das sie liegen lässt um kurz mit dem Junker ins Gespräch zu kommen.

Foto: Oper Leipzig, Die Meistersinger von Nürnberg © Kirsten Nijhof

Somit haben wir den Dreiklang Schwarz (für Beckmesser und seine negativen dunklen Seiten – aber auch Teilen der Stadtgesellschaft), Rot (für die Liebe und das Außenseitertum von Stolzing) und Weiß (für die positiven, aber auch starren Seiten der städtischen Gemeinschaft und die Ehebünde). Darauf scheinen sich in den ersten zwei Aufzügen einschließlich der Prügelfuge am Ende des zweiten Aufzugs die Auffälligkeiten einer ansonsten ziemlich konventionell daher kommenden Inszenierung zu beschränken.

Erst im dritten Aufzug vermissen wir dann die Farbe Rot. Nun geht es aber auch weniger um die Liebe als um das Repräsentative und Ehebünde. Standen in den ersten beiden Aufzügen auch kleine Modellbauten aus Holz im Zentrum der Bühne für die Reichsstadt Nürnberg mit ihren Kirchen, Türmen und repräsentativen Bürgerhäusern, so wird nun im Mittelpunkt der Bühne ein kleines Holzmodell des Berliner Reichstagsgebäudes errichtet, das später dem Sängerstreit als Podest dient.

Nun tragen die Meister ganz besonders prächtige Gewänder und auch das Volk, vor allem die Weiblichkeit, hat sich zum Johannistag kräftig herausgeputzt. Die Meister ohne Ausfälle, aber auch durch die Regie nicht besonders charakterisiert Sven Hjörleifsson als Kunz Vogelgesang; Marek Reichert als Konrad Nachtigall; Tobias Schabel als Fritz Kothner; Paul Kaufmann als Balthasar Zorn; Andrew Dickinson als Ulrich Eisslinger; Ric Furman als Augustin Moser; Franz Xaver Schlecht als Hermann Ortel; Roman Astakhov als Hans Schwarz und Jean-Baptiste Mourot als Hans Foltz.

Eine Festoper par excellence (Choreographie der Prügelfuge am Ende des zweiten Aufzugs und der Tanzszenen im dritten Aufzug Dennis Sayers), die in der Inszenierung niemand weh tut und am Ende entsprechend vom Publikum bejubelt wird.

Was gibt es von der musikalischen Seite zu berichten? Am Pult des Gewandhausorchesters steht Ulf Schirmer – immer ein Garant für höchst sachkundiges Richard-Wagner-Dirigat bis in die letzten Details der Partitur. Kristalline Transparenz, höchste Eleganz, ein an den richtigen Stellen angemessener lyrisch-warmer Ton, den Atem raubende Tutti (und zusammen mit dem enorm verstärkten Chor und Extrachor im „Wach auf“-Chor wie ein Sturm, Einstudierung Thomas Eitler-de Lint ) und vor allem in den Holzbläsern betörende Schönheiten dieses großen Meisterwerks aus der Feder des Bayreuther Meisters.

Das Gewandhausorchester klingt selten so schön, so souverän und so sicher als Weltklasseorchester wie an diesem Abend mit Wagner unter Ulf Schirmer – auch nicht auf der anderen Seite des Augustusplatzes im Stammhaus des Gewandhauses. Das wird nie langweilig, weil auch sonst oft kaum gehörte Details erklingen.

Das verspricht viel für die Wagner-Festtage im Frühjahr 2022, an denen die Oper Leipzig nicht nur sämtliche Bühnenwerke Richard Wagners aufführt sondern in einem umfangreichen, auch wissenschaftlichen Begleitprogramm sein Werk und seine Rezeptionsgeschichte besonders in Leipzig beleuchtet.

Diese Festspielqualität des Orchesters gelten bei den Sängern auch für den David des Matthias Stier (exquisit!) und die Magdalene der Kathrin Göring. Beide singen vollkommen textverständlich, spannend und schön in allen Nuancen und charakteristisch an den komischen Stellen.

Elizabet Strid singt und gestaltet die Eva mit starker Hingabe. Es ist nicht die dankbarste Rolle von Wagner für einen Sopran und in dieser Oper. Ihre großen dramatischen Stärken kann Frau Strid dann in der Schusterstube im dritten Aufzug zeigen, wo sie uns an ihrer Zerrissenheit in den Gefühlen zwischen Sachs und Stolzing ganz direkt teilnehmen lässt und das Drama ihrer Gestalt unmittelbar mitfühlen lässt. Das ist ganz große Oper mit Gänsehauteffekt! Solche Momente hätte man sich häufiger gewünscht. Dem Publikum hat es gefallen.

Dr. Guido Müller, 23. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg Oper Leipzig, 23. Oktober 2021

KS Anke Berndt, Liederabend, Oper Halle, 17. Oktober 2021

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