Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg
Semperoper Dresden, 2. Februar 2020
Foto: © Semperoper Dresden / Ludwig Olah
von Pauline Lehmann
Der Applaus für Christian Thielemann steigert sich von Aufzug zu Aufzug und mündet nach gut fünfeinhalb Stunden in ausgelassenen Beifall und stehende Ovationen. Das Solistenensemble, die Sächsische Staatskapelle und der Sächsische Staatsopernchor übertreffen sich selbst.
Ihren dritten »Meistersinger«-Abend widmet die Semperoper Dresden dem Kammersänger und Tenor Peter Schreier, der im Dezember letzten Jahres verstarb. Neben Theo Adam – mit dem er gemeinsam in der »Meistersinger«-Inszenierung von Wolfgang Wagner auf der Bühne der Semperoper stand – war Peter Schreier ein ganz großer Dresdner und ein Meister seines Faches.
Regisseur Jens-Daniel Herzog lenkt Richard Wagners Ideendrama par excellence mit all seinen komplexen Fragen nach dem Verhältnis von Reglement und Schöpfergeist, Tradition und Moderne, Alt und Jung, Integration und Teilhabe auf das Heute. Im Zentrum steht die Rolle der Kunst als Medium, das Wirksamwerden der Kunst als Diskurs- und Freiraum.
Dafür schafft Mathis Neidhardt eine Bühne auf der Bühne – quasi eine Semperoper in der Semperoper. Gerahmt von einem Proszenium, birgt die Drehbühne ein modernes Theater mit Intendanz, Maske und Requisitenboden. Hier finden sich die Dramatis Personae allesamt wieder. So ist Hans Sachs nicht nur Schuster und Poet, sondern auch Intendant. Die übrigen Meistersinger sind sangesfreudige und theaterbegeisterte Unternehmer in adretten dunklen Anzügen, Sachs‘ Lehrbube David sowie die anderen Lehrbuben und Mädchen werden kurzerhand zu Theatertechniker*innen.
Ein Moment, der alle Gegensätze versöhnt, bleibt schlussendlich aus, denn Kunst ist eben Utopie. Vielmehr entfliehen Eva und Walther der Schlussansprache des Hans Sachs in das Dunkel der Bühne. Trotz des vermeintlich unvereinbaren Aufeinandertreffens von Wagners Historismus und dem modernen Theatersetting ergibt sich eine Inszenierung, die dem Werk Richard Wagners gerecht wird.
Der Gottesdienst zu Beginn des ersten Aufzugs ist nur eine Probenszene, die Nürnberger Katharinenkirche – der einstige Wirkungsort der Meistersinger – gleichfalls eine Kulisse, die schnell wieder abgebaut wird. Die herrlichen Kostüme (Sibylle Gädeke) der Damen des Chores erinnern an »Das Schokoladenmädchen«. Auch die Schusterwerkstatt des Hans Sachs sowie die nächtlichen Eskapaden des zweiten Aufzugs – inklusive Stromausfall – finden im Theater ihren Platz. Der dritte Aufzug inszeniert ein Sängerfest auf dem Theater rund um den »Wunderbaum« aus der Morgentraumdeutweise. Shakespeares Elfen scheinen hier nicht weit weg zu sein.
Jens-Daniel Herzog befreit »Die Meistersinger von Nürnberg« von allem Schweren und aller Überlast. Seine Inszenierung kommt filigran und leichtfüßig daher und gibt dem Komischen Raum, ohne ins Karikierende und Lächerliche zu gehen.
Sängerfreundlich arrangiert, lassen die Dresdner bzw. Salzburger »Meistersinger« den Solisten Freiraum. Die Solisten dürfen spielen und das machen sie herzerfrischend. Die Szenen sind ausgekostet und mit einer Tiefe durchdrungen, so beeindruckt die nuancenreiche Szene mit Eva (Camilla Nylund) und Veit Pogner (Vitalij Kowaljow) zu Beginn des zweiten Aktes. Adrian Eröd schöpft mit einem humoristischen, possenhaften Sixtus Beckmesser aus dem Vollen.
Das Solistenensemble singt durchweg Weltklasse. Mit der Rolle des Hans Sachs, in welcher er bereits im vorigen Jahr bei den Salzburger Osterfestspielen debütierte, ist Georg Zeppenfeld nun vollends ganz oben angekommen. Vor allem in seiner Soloszene Was duftet doch der Flieder im zweiten Akt beweist er sein souveränes Können und das Vermögen, die Bühne auszufüllen. Sebastian Kohlhepp begeistert mit seinem klaren und nach oben Raum gebenden, elastischen Tenor und trägt Davids Extravaganzen mit einer ordentlichen Portion Humor. Mit Klaus Florian Vogt ist die Rolle des Walther von Stolzing spitzenmäßig besetzt. Mit seinem strahlend hellen Timbre und den weichen Stimmeinsätzen kann man die Morgentraumdeutweise immer und immer wieder hören.
Das anspruchsvolle Quintett Selig wie die Sonne kommt leichtfüßig, beinahe schwebend daher, Camilla Nylunds Töne sind weich getupft. Auch sonst ist die Finnin in ihrer Tongebung sehr nuancenreich. Die Textartikulation ist durchweg bestens, die Töne erreichen meinen Platz im Parkett mit Präzision und Schärfe. Christian Thielemann durchschifft die Fuge der Prügelszene seicht und Richard Wagners plastische Tonsprache bekommt Raum und Fülle, wirkt lebendig und spontan, jede Note ist genau gewichtet.
Pauline Lehmann, 4. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalische Leitung Christian Thielemann
Inszenierung Jens-Daniel Herzog
Bühnenbild Mathis Neidhardt
Kostüme Sibylle Gädeke
Licht Fabio Antoci
Chor Jan Hoffmann
Choreografie Ramses Sigl
Dramaturgie Johann Casimir Eule, Hans-Peter Frings
Hans Sachs, Schuster Georg Zeppenfeld
Veit Pogner, Goldschmied Vitalij Kowaljow
Kunz Vogelsang, Kürschner Iurie Ciobanu
Konrad Nachtigall, Spengler Günter Haumer
Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber Adrian Eröd
Fritz Kothner, Bäcker Oliver Zwarg
Balthasar Zorn, Zinngießer Markus Miesenberger
Ulrich Eißlinger, Würzkrämer Patrick Vogel
Augustin Moser, Schneider Beomjin Kim
Hermann Ortel, Seifensieder Rupert Grössinger
Hans Schwarz, Strumpfwirker Christian Hübner
Hans Foltz, Kupferschmied Roman Astakhov
Walther von Stolzing, ein junger Ritter aus Franken Klaus Florian Vogt
David, Sachs‘ Lehrbube Sebastian Kohlhepp
Eva, Pogners Tochter Camilla Nylund
Magdalene, ihre Amme Christa Mayer
Ein Nachtwächter Alexander Kiechle
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Damen und Herren der Komparserie