„Die Meistersinger von Nürnberg“? Nein, von Berlin. Gefeiert wird die Wiedereinigung – mit Nationalstolz. Das funktioniert ganz wunderbar unverkrampft wie überhaupt die Transformation des Stoffes in die Gegenwart. Zudem werden die alten Meister geehrt, nämlich große Sänger der Vergangenheit.
Richard Wagner (1813 – 1883)
„Die Meistersinger von Nürnberg“
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln.
Libretto vom Komponisten
Uraufführung 1868 am Hof- und Nationaltheater München
Staatsoper Unter den Linden, 8. Dezember 2024
von Bianca Gerlich
An allen vier Adventssonntagen steht Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf dem Programm der Staatsoper Unter den Linden, ein wahres Fest für die Sinne! Die Inszenierung von Andrea Moses stammt aus der Saison 2015/16, und ist so gut gelungen, dass sie hoffentlich noch ein paar Jahre erhalten bleibt.
Der Stoff, der im 16. Jahrhundert spielt, wurde in die Neuzeit verlegt, doch das funktioniert eindrucksvoll. Diese Meistersinger singen nicht in Nürnberg, sondern in Berlin, und der Anlass ist nicht wie bei Wagner das Fest des Heiligen Johannes am 24. Juni, sondern der 3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit. Da fügt sich selbst die oftmals als problematisch empfundene Schlussansprache von Hans Sachs plausibel in diese Regiearbeit.
Als Termin der Erstaufführung dieser Inszenierung war bewusst der 3. Oktober 2015 gewählt worden, also 25 Jahre Wiedervereinigung. Da wirkt es geradezu natürlich, wenn die Dekoration, übrigens auch Luftballons im Saal, üppig in schwarz-rot-gold vorhanden ist. Eine riesengroße deutsche Nationalfahne ist permanent auf der Bühne vorhanden, wird aber auch als Versteck von Stolzing und Eva benutzt. Man erstarrt also nicht in Ehrfurcht.
Aufzug I spielt zunächst traditionell in einer Kirche, dann aber in der Chefetage eines großen Wirtschaftsimperiums. Der II. Aufzug spielt über den Dächern von Berlin, also auf der Dachterrasse der beiden Firmensitze von Sachs und Pogner, durch riesengroße Namenszüge mit Neonröhren gekennzeichnet. Sie sind die Sponsoren im Kultur- und Sportbereich, das wird mit den Werbetafeln, wie man sie vom Fußball kennt, veranschaulicht. Zum Lachen, wenn im III. Aufzug zu den Worten „Keiner wie er so hold zu werben weiß“ die Reklametafeln mit den Namenszügen der Meister hinter Stolzing aufgestellt werden!
Die erste Hälfte von Aufzug III zeigt uns das Studierzimmer von Sachs, quasi sein Privatvergnügen neben seinem Job. Hier entstehen also seine berühmten Gedichte. Die zweite Hälfte spielt vor dem Berliner Stadtschloss, die Gäste kommen auf der Spree angefahren – der deutsche Feiertag umfasst Feierende aus dem gesamten In- und Ausland. Es geht ausgelassen zu. Erst ganz am Ende hebt Sachs energisch die Arme und das Bild des Schlosses verschwindet nach oben, nur noch Wiese und Himmel sind im Hintergrund zu sehen, Natur pur also, die alle Menschen dieser Welt eins sein lässt.
Ein ganz besonderer Einfall war 2015, die Meister mit großen Sängern der 60er bis 90er Jahre zu besetzen, bei der Wiederaufnahme 2019 waren noch viele dabei. Immerhin waren jetzt von der damaligen Premierenbesetzung noch Siegfried Jerusalem als Balthasar Zorn und Olaf Bär als Hans Foltz zu erleben. Ansonsten hat sich Jan Martiník vom Nachtwächter (2015, 2019) zum Fritz Kothner gesteigert, und Klaus Florian Vogt ist als Stolzing zurückgekehrt. Seine Stimme ist durch neuen Rollen, nämlich Siegfried, Tannhäuser und Tristan, mächtiger und farbenreicher geworden, er singt souverän, aber sehr nuanciert. Seine diversen Preislieder sind superb, man hat das Gefühl, er ist auf der Höhe seiner Karriere. Es ist schön, dass er den Stolzing in seinem Repertoire gelassen hat. Der junge Heißsporn liegt ihm richtig gut. Da wird beherzt gegen die verhasste Schultafel getreten oder die Flagge auf den Boden geknallt.
Sängerisch erleben wir sowieso eine Sternstunde. Für Christopher Maltman ist diese Meistersinger-Serie das Rollendebüt in der Rolle des Hans Sachs. Er gestaltet die Rolle überwiegend lyrisch, im III. Aufzug überzeugt er mit Intensität und Vehemenz, gerade in der langen Schlussansprache, sodass er zu recht jubelnden Applaus bekam. Bewundernswert ist auch seine Sprachverständlichkeit.
Christof Fischesser ist als Veit Pogner fast schon unterfordert, ein wahre Luxusbesetzung. Hanna-Elisabeth Müller gibt mit sehr schöner Stimme eine jugendfrische Eva, auch sie souverän und mit Leichtigkeit bis zum Schluss. Eine ausgesprochen schöne Tenorstimme besitzt Siyabonga Maqungo. Er gab einen hinreißenden David. Was für ein Glück für die Staatsoper, dass der Südafrikaner hier Ensemblemitglied ist. Martin Gantner überzeugte stimmlich und spielerisch als Beckmesser, vor allem als viel zu alter und sonderbarer Verehrer eines jungen Mädchens.
Es war insgesamt ein Abend auf höchstem musikalischen Niveau, die Inszenierung schien Spielfreude bei allen Darstellern zu generieren. Hinzu kam das exzellente Dirigat von Alexander Soddy, der oftmals einen schönen transparenten Klang, geradezu detailverliebt, zauberte, aber an den entsprechenden Stellen das Orchester zu festlichen Hochgenüssen auflaufen ließ, wobei die Sänger und Sängerinnen niemals überdeckt wurden. Auf gleichem Niveau der Spitzenklasse sang der Chor, kurzum, ein wahrer Ohren- und Augenschmaus zum Advent!
Dr. Bianca M. Gerlich, 9. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tristan und Walküre Staatsoper Unter den Linden, 25. November 2024
Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Staatsoper Unter den Linden, 9. November 2024