Foto: Kampe, Volle (c) Monika Rittershaus
Die Walküre an der Staatsoper Unter den Linden setzt den starken Rheingold-Auftakt sensationell fort. Michael Volle als Wotan und Anja Kampe glänzen als Vater-Tochter Duo. Thielemann und seine Staatskapelle heben ab.
Die Walküre
Erster Tag des Bühnenfestspiels
Der Ring des Nibelungen (1870)
Text und Musik von Richard Wagner
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin
Inszenierung, Bühne: Dmitri Tcherniakov
Siegmund: Eric Cutler
Sieglinde: Vida Miknevičiūtė
Hunding: Mika Kares
Wotan: Michael Volle
Brünnhilde: Anja Kampe
Staatsoper Unter den Linden, 7. Oktober 2025
von Arthur Bertelsmann
Einen Ruhetag gönnt man der Gemeinschaft des 2. Ringzyklus an der Staatsoper – organisatorisch verständlich, doch für den Wagnerianer unnötig lange. Nach diesem furiosen Rheingold soll, ja, muss es doch direkt weitergehen!
Das scheint auch Christian Thielemann am zweiten Abend zu denken: Beschwingt stapft der Berliner durch den Graben, hebt den Taktstock – und ballert drauflos.
Gewöhnung an das gut dreieinhalbstündige Stück braucht man bei Thielemanns Vorspiel nicht – er und seine Staatskapelle rasen nur so durch das Vorspiel, lassen es bei den Bläsern apokalyptisch krachen und bei den Streichern verstörend rauschen, um dann, kurz vor Siegmunds Ankunft vor Hundings Heim, urplötzlich abzubremsen.
Die Aufmerksamkeit ist vollkommen auf der Musik, und von da an geht es im fünften Gang direkt weiter. Der Dirigent stürmt nur so drauflos, da donnert es bei Hundings Ankunft und glitzern die Sterne im Inzest-Finale. In unter einer Stunde bürsten die Musiker durch den fulminanten ersten Akt.
Ab dort wird es ein kleines Stück langsamer und vor allem erheblich ruhiger – zurecht. Denn von nun an geht es in der Walküre schließlich mehr um das gesprochene Wort als um den stattfindenden Ort.
Thielemann und das Orchester untermalen in den kommenden zweieinhalb Stunden in erster Linie die Stimmungen der Figuren, geraten dabei jedoch nie in Vergessenheit, sondern veredeln die nie enden wollenden Dialoge und lassen es in Vor- und Zwischenspielen auch weiterhin ordentlich krachen.
Den Sängern vollen Entfaltungsspielraum zu geben, ist nobel, aber nicht ganz unriskant: Machen die Sänger in diesen – bombenschweren – Partien Fehler, fällt das sofort auf, und die Aufführung droht zu kippen.
Thielemann scheint den Sängern mit dieser Entscheidung blind zu vertrauen – und das aus gutem Grund:
Das fängt bei Vida Miknevičiūtė an: Die Litauerin ist in eigentlich jeder Rolle eine Reise wert, doch ihre Sieglinde toppt alles. Mit unermüdlich leuchtender Energie wird sie zur leidenschaftlichen Hauptfigur des ersten Aktes, die die beiden brutalen Männer mit ihrer Kraft fast zu überwältigen scheint.
Ein Wunder bei ihrem Ehemann Mika Kares, der in Dmitri Tcherniakovs Inszenierung als Polizei-Hunding (inklusive SS-Scheitel) auftritt und ein Paradeexemplar der Finsternis abgibt. Kares spielt in beeindruckender Psychothriller-Manier einen grausam präzisen und dauerbrodelnden Tyrannen, der seine Frau durch die Wohnung schubst und den Gegenspieler beinahe vor Übereifer mit der Dienstwaffe den Schädel wegpustet.

Dagegen sieht Eric Cutler als Held leider doch ein wenig blass aus. Der Brite hat zweifelsohne die dem tragischen Helden innewohnende, berührende Verletzlichkeit, doch das Kämpferische, Mutlose geht dem Sänger leider ab. Das wird vor allem auffällig, da Cutler in den Höhen immer wieder die Puste ausgeht und der Satz nicht mit begonnener Stärke beendet werden kann.
Dieser marginale Makel wird durch die Sensationen des Abends locker weggewischt, deren Krönung natürlich die Titelfigur (Anja Kampe) und Vater Wotan (Michael Volle) sind. Was die beiden gesanglich leisten, kann sich mit den Allergrößten der Wagner-Geschichte messen. Wie mitreißend ist Volles Monster-Monolog im zweiten Akt, in dem er vor Verzweiflung und Selbsthass fast zu weinen beginnt!
Wie beeindruckend dann die Verwandlung zur donnergrollenden, allmächtigen Gottheit! Alleine gegen diese Wucht nicht unterzugehen, wäre schon verdienstvoll, doch Kampes Brünnhilde ergänzt ihren so zerrissenen Vater aufs Beste und entwickelt sich in den ewigen, wechselseitigen Monologen beeindruckend von der naiven Haudrauf-Tochter zur fast schon mütterlich-beratenden Figur, die – wie unbeteiligt, geschickt und zugleich taktvoll – mit dem Vater um den Fortgang der eigenen Existenz ringt.
Leider bleibt es für die Augen auch weiterhin ärgerlich: Tcherniakovs Regie hinterlässt noch mehr Fragezeichen als das Rheingold. Die Handlungsstränge aus der Vor-Oper werden komplett ignoriert, stattdessen wird die Siegmund-Sieglinde-Symbiose als Langzeitstudie dargestellt. Warum ein Polizist Teil dieser Studie ist, Fricka dazwischenpfuscht und das Geschwisterpaar im zweiten Akt durch Hasenställe huscht, bleibt das Geheimnis des Regisseurs.

Doch einen Coup kann Tcherniakov tatsächlich landen: Ausgerechnet am Schluss, in dem Kampe und Volle sichtlich gerädert in einem Hörsaal stehen, lässt Tcherniakov Wotan mit der Kulisse in den hinteren Teil der Bühne fahren. Brünnhilde steht nun alleine auf der endlos erscheinenden Bühne und blickt in den Zuschauerraum. In diesem Ende erfahren wir das ganze Leid, die ganze Ungewissheit dieser Figur.
Überwältigt macht sich nach dem Schlussakkord betretene Stille breit – um nach wenigen Sekunden in rasenden Jubel umzuschlagen.
Arthur Bertelsmann, 8. Oktober 2025
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Analyse: Wagners „Ritt der Walküren“ klassik-begeistert.de, 15. Juli 2025
Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2025
Richard Wagner, Die Walküre Wiener Staatsoper, 22. Juni 2025