„Die Walküre“ der English National Opera (ENO ) – musikalisch erstklassig, hervorragendes Orchester und exzellente Sänger, aber in einer nicht vollständig überzeugenden Inszenierung. Zu spät wurde erkannt, dass die Holzkonstruktion der historischen Bühne im London Coliseum durch Wagners Feuerzauber hochgradig gefährdet würde und dieser denn auch prompt durch die städtischen Behörden strikte untersagt wurde – statt einer technisch raffinierten Ersatzlösung griff man zu einer Verlegenheitslösung, die enttäuschend, ja peinlich wirkte. Der Feuerzauber selbst war nur als winzige Skizze im Programmheft zu bewundern – wirklich schade.
English National Opera im London Coliseum, 14. Dezember 2021
Richard Wagner, Die Walküre („The Valkyrie”)
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Foto)
Der Vorhang hob sich und auf der riesigen Bühne des London Coliseum – dem größten Theater der Metropole an der Themse – duckte sich unter der alles überwuchernden Esche eine Blockhütte, Haus und Herd des schrecklichen Hunding (Bühne: Stewart Laing). Der zweite Akt zeigte eine deutlich größere Blockhütte (zumal nicht in der menschlichen sondern der Göttersphäre angesiedelt) – mit dem stattlichen Wotan (Matthew Rose) im Outfit eines Holzfällers oder Trappers in leuchtend roter Windjacke. Auf ihm ritt – im Pyjama! – eine gebührend kindhaft wirkende Brünnhilde (Susan Bickley), später gesellte sich zum Holzfäller-Wotan dann auch die zänkische Gattin Fricka im ganz und gar nicht Blockhütten-konformen, schlichtweiß-eleganten Outfit einer Society Lady. Kurz: Inkohärent, wenig inspirierend und kaum sehr inspiriert, diese Inszenierung – sehr bemühend und offensichtlich bemüht, eine Antithese zur traditionellen germanischen Götterwelt zu schaffen. Resultat: öde.
Die Walküren führten entzückend lustige, von unsichtbar bleibenden Statisten bemannte Pferde mit sich, und überhaupt war die Umgebung der Hunding’schen Blockhütte von allerlei undefinierbaren und eher unsinnigen Wesen bevölkert. Bis zum dritten Teil, nach der zweiten Pause, plätscherte diese szenisch wenig befriedigende, dafür musikalisch erstklassige Inszenierung ohne merkliche Höhepunkte dahin. Das änderte sich schlagartig mit dem fulminanten Auftritt der Walküren auf (beziehungsweise neben) ihren Pferden, als sie gruselige Leichen der heldischen Recken mittels Drahtseilen in den Schnürboden hochzogen.
Doch der große Absacker kam am Ende, als Papi Wotan nach Versöhnung mit der aufmüpfigen Brünnhilde seiner Lieblingstochter zum Abschied noch seine rote Windjacke schenkte und sie ihr fürsorglich überstreifte (es wird doch recht frisch auf dem Walkürenfels) – und mangels Feuerkranz befestigte Wotan am streitbaren Töchterlein sechs eiserne Karabinerhaken, an denen sie dann rund zwei Meter über den Bühnenboden hochgehievt wurde und dort bewegungslos das Ende des Stücks abwartete.
Man hätte sich allerlei High-Tech-Ersatzlösungen für das reale Feuer vorstellen können, etwa in Form einer ausgeklügelten Video-Projektion. Doch, nein, nichts dergleichen geschah, und dieser Verzicht auf technologisches Raffinement an Stelle des realen Feuerzaubers wirkte doch fast wie eine Trotzhandlung. Während des langen, sehr langen Dialogs zwischen Gottvater Wotan und Tochter Brünnhilde hatte deren berühmtes Pferd Grane in der Bühnenecke, rechts hinten auszuharren. Dabei trat es (bzw. die Person, die sich in dem Pferd verbargt) immer verzweifelter von einem Huf aufs andere – unverkennbar: das Pferd musste dringend, und immer dringender, Pipi, durfte aber nicht.
Die English National Opera (ENO) hat sich mit ihren stets großartigen, fantasievollen Inszenierungen der Popularisierung (aber niemals Banalisierung) von Opern verschrieben, indem sie prinzipiell sämtliche Libretti ins Englische übersetzen lässt und sie damit dem üblicherweise wenig fremdsprachenkundigen englischen Publikum zugänglich macht.
Die Übersetzung von Wagners Text ins Englische, eine aufwendige Leistung des Wagner-Spezialisten John Deathridge gab die Handlung klar und logisch wieder. Sie funktionierte, wie eben Übersetzungen vom Deutschen ins Englische funktionieren (im Gegensatz zu den italienisch- und französischsprachigen Opern, welche die English National Opera gelegentlich auf die Bühne bringt). Die englische Übersetzung des „Ring“ funktioniert – und funktioniert doch nicht. Denn auf der Strecke bleibt notgedrungen die Wagner’sche Kunstsprache mit ihren abstrusen Alliterationen und originellen Wortschöpfungen – ist diese eigenwillige Sprache doch ein ganz zentraler Bestandteil von Wagners Werk und eigentlich unverzichtbar.
Egal – die musikalischen Leistungen dieses mit Spannung und Ungeduld erwarteten (und dann mit einigen Enttäuschungen erfolgten) ersten Teils des „Ring“ waren beachtlich. Das auf Wagner’sche Dimensionen erweiterte und die Parterrelogen des „Coliseum“ in Beschlag nehmende Orchester der ENO unter der Stabführung von Martyn Brabbins, dem musikalischen Leiter der ENO, intonierte dieses Werk ebenso gewaltig wie feinfühlig und präzise.
Begeisternd der sonore , warme Bass des Brindley Sherratt als Hunding, beglückend die Sieglinde der Emma Bell mit glattem stimmlichen Wohlklang – als kongenialer Partner der Siegmund von Nicky Spence mit subtil-sparsam zum Einsatz gebrachtem tenoralem Schmelz. Der Holzfäller-Wotan des Matthew Rose brachte eine dominante, seine kämpferischen Töchter physisch wie stimmlich überragenden Vatergott auf die Bühne – neben ihm fielen sowohl die moralisierende Gattin Fricka (Susan Bickley) als auch die leider gelegentlich zu schrillen Tönen und stimmlichen Unzulänglichkeiten tendierende Tochter Brünnhilde (Rachel Nicholls) ziemlich deutlich ab.
Die English National Opera, die ja sonst eher mit den sprühenden und durch und durch englischen Operetten von Gilbert and Sullivan brilliert, hat das ambitiöse Wagnis auf sich genommen, nach und nach den ganzen Ring-Zyklus – diesen „Mount Everest des Opernrepertoires“ (Martyn Brabbins) in Inszenierungen von Richard Jones auf die Bühne des „Coliseum“ zu bringen. Dass nicht mit dem „Rheingold“, dem ersten Teil, sondern dem offenbar populärsten, eben der „Walküre“, der Anfang gemacht wurde, war wohl als Entgegenkommen gegenüber dem englischen Publikum gedacht.
Der umtriebige, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete und an vielen großen Bühnen innerhalb und außerhalb des Königreichs tätige Richard Jones darf – eine seltene Ehre für einen Opernregisseur – hiermit schon zum zweiten Mal in London den „Ring“ auf die Bühne bringen. Eine Glanzleistung allerdings ist dieser „Ring“ wohl kaum. Die Erwartungen für die nächsten drei Teile sind entsprechend gedämpft.
Dr. Charles E. Ritterband, 14. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Orchester der English National Opera
Dirigent: Martyn Brabbins
Inszenierung: Richard Jones
Bühne: Stewart Laing
Wotan: Matthew Rose
Fricka: Susan Bickley
Brünnhilde: Rachel Nicholls
Sieglinde: Emma Bell
Siegmund: Nicky Spence
Hunding: Brindley Sherratt
Koproduktion mit der Metropolitan Opera, New York
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Giacomo Puccini, Tosca, The Royal Opera House, London, 15. Dezember 2021