Foto © Enrico Nawrath
Richard Wagner, Götterdämmerung
Bayreuther Festspiele, 13. August 2017
Musikalische Leitung: Marek Janowski
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüm: Adriana Braga Peretzki
Licht: Rainer Casper
Video: Andreas Deinert, Jens Crull
Chorleitung: Eberhard Friedrich
Technische Einrichtung 2013-2014: Karl-Heinz Matitschka
Siegfried: Stefan Vinke
Gunther: Markus Eiche
Alberich: Albert Dohmen
Hagen: Stephen Milling
Brünnhilde: Catherine Foster
Gutrune: Allison Oakes
Waltraute: Marina Prudenskaya
1. Norn: Wiebke Lehmkuhl
2. Norn: Stephanie Houtzeel
3. Norn: Christiane Kohl
Woglinde: Alexandra Steiner
Wellgunde: Stephanie Houtzeel
Floßhilde: Wiebke Lehmkuhl
von Sebastian Koik
Eine gute Oper ist ein Ort der großen Gefühle. Wer einmal eine Oper der Spitzenklasse erlebt hat, möchte so etwas wieder erleben. Die Götterdämmerung an diesem Abend ist eines dieser ganz großen Opernerlebnisse, das für Gänsehaut, Rührung, Ergriffenheit und höchste innere Freude sorgt. Die Zuschauer baden an diesem Abend stundenlang in herrlichstem Klang und man mag fast weinen vor so viel musikalischer Schönheit.
Jeder einzelne der Sängerinnen und Sänger, Orchestermusikerinnen und -musiker bietet unter dem Dirigenten Marek Janowski an diesem Abend eine Weltklasseleistung und wenn solche begnadeten Künstler vollendete Höchstleistung bringen, werden auch das größte Bühnenbild und der beste Regisseur zu kleineren Nebendarstellern.
Beginnen wir mit Stefan Vinke als Siegfried: Zwei Tage vorher, in der Oper Siegfried, zeigte er sich noch stark wechselhaft und auch heute ist er der unbeständigste unter den Sängern. Wenn das Tempo stärker zunimmt, wird seine Stimme immer mal wieder dünner und verliert an Dichte und Schönheit. Auch heute klingt sein Gesang hin und wieder ein klein wenig nach Brüllen und man vermisst manchmal ein wenig an Nuancierung und Ausdruck. Doch diese etwas schwächeren kleinen Phasen sind verschmerzbar, weil er sie in seinen vielen guten Phasen mehr als wettmacht.
Vor allem, wenn es drauf ankommt, ist Vinke voll da und liefert mehr ab, als man bei höchsten Ansprüchen fordern mag. Bei den langen Tönen brilliert der Tenor. Seine Stimme ist insgesamt viel dichter und auch noch einmal kräftiger als bei Siegfried. Es liegt deutlich mehr Gefühl, Ausdruck und Leidenschaft darin.
Vinkes Stimme ist kraftvoll und intensiv, herrlich cremig und weich. Sein Gesang erfüllt den Raum und es macht großen Spaß, ihm zuzuhören. Trotz der kleineren schwächeren Momente ist das insgesamt Weltklasse. Fast ein Drittel der schönsten und begeisterndsten Momente des Abends gehen auf Vinkes Konto. Der Siegfried der Götterdämmerung scheint eine Rolle zu sein, die er liebt und wunderbar beherrscht.
Dieser Siegfried ist vom Anfang bis zum Ende bärenstark! Gleichzeitig hat er auch diese herrlich unschuldig-naive Ausstrahlung, die ihm so wunderbar steht. Stefan Vinke ist an diesem Abend Siegfried. Daran gibt es keinen Moment einen Zweifel. Das hätte man ihm nach seiner Titelpartie zwei Tage vorher nicht zugetraut und das zeigt wieder einmal, welch ein enorm heikles Instrument die menschliche Stimme ist. Doch wenn die Tagesform stimmt, gibt es kein schöneres und ergreifenderes Instrument als sie.
Stephan Milling schenkt dem Publikum einen sensationellen Hagen. Was für ein wunderbarer und einzigartiger Bass er ist! Seine Stimme ist durchaus tief, klingt aber insgesamt ungewohnt hell. Darin liegt eine Wärme, die weniger nach dem Holz eines Kontrabasses als etwas golden klingt. Sein Bass mutet sehr elegant und wandlungsfähig an und behält bei aller Tiefe und Größe auf einzigartige Weise eine gewisse Leichtigkeit. Sein Klang ist sehr facettenreich. Er brilliert auch in den wenigen höheren Stellen und ist in den leiseren Passagen herrlich fein und sensibel.
Seine Textverständlichkeit und sein Sinn für Dramatik sind erstaunlich. Wenn dann noch hinzukommt, dass er von Statur, Bewegung, Ausstrahlung und Mimik den Hagen vollendet verkörpert, so bleibt nichts anderes zu sagen als: Besser geht es nicht!
Seinen Bühnen-Halbbruder Gunther gibt Markus Eiche. Sein Bariton ist sehr tief und sehr dunkel. Das ergibt eine ungewöhnliche, jedoch wunderbare Kombination mit dem hellen Bass Hagens. Auch Markus Eiche singt und spielt den Gunther vom Anfang bis zum Ende makellos und genügt auch den höchsten Ansprüchen.
Albert Dohmen gibt einen in Stimme und Darstellung starken Alberich. Hier gibt es nichts zu mäkeln.
Auch jede einzelne der Sängerinnen ist großartig. Wiebke Lehmkuhl und Stephanie Houtzeel verkörpern die ersten beiden Nornen. Ihre Stimmen sind klar und hell. Sie überzeugen im gemeinsamen Gesang und sind auch einzeln solide. Christiane Kohl ragt als dritte Norn heraus. Sie besitzt eine große, kraftvolle und sehr dichte Stimme, die in allen Lagen und in jedem Moment begeistert.
Allison Oakes gibt eine starke Gutrune. Im zweiten Akt geraten ihr die Höhen ab und zu leicht schrill. Doch im dritten Akt singt und spielt sie makellos.
Marina Prudenskaya ist in Stimme und Auftreten eine starke und leidenschaftliche Waltraute. Sie verkörpert sie ganz wunderbar, aber auf spezielle Art. Ihre Stimme ist eher kompakt als voluminös, aber ihre Technik ist großartig! In jedem Moment holt sie das Maximum aus ihrer Stimme heraus und gestaltet jeden Ton perfekt. Sie füllt den Raum ihrer Stimme mit Dichte und kunstvoll-individuellem Charakter aus.
Alexandra Steiner, Stephanie Houtzeel und in zweiter Rolle erneut Wiebke Lehmkuhl sehen als Rheintöchter hinreißend aus, wenn auch auf laszive Art. Den Herren auf der Bühne macht das nichts aus. Hagen, Gunther und ganz besonders Siegfried können nicht von den scharfen Frauen lassen. Ihr Gesang ist schön und überzeugt genauso wie ihre Attraktivität.
Catherine Foster beweist sich erneut als Traumbesetzung für die Brünnhilde! Da ihre musikalischen Partner heute so stark sind, könnte man meinen, dass sie weniger im Fokus steht als im Siegfried. Doch auch bei den Weltklasseleistungen der Kollegen sorgt Foster wieder für den Großteil der Gänsehautmomente, entzückt über den ganzen Abend das Publikum und strahlt als hellster Stern.
Der Klang ihrer Stimme ist glockenklar, dicht und berührend. Im Vergleich zu ihrem letzten Auftritt hat sie sich auf höchstem Niveau noch ein wenig gesteigert, singt mit noch mehr Leidenschaft und Facetten und erzeugt noch mehr Gänsehautmomente. Sie lässt kein bisschen nach, obwohl ihre Partie ihr ständig gesangliche Höchstleistungen abverlangt. Mit größter Ausdauer verrichtet sie ihre Kunst über den ganzen Abend mit scheinbarer Leichtigkeit.
Genauso hell wie ihr Gesang funkelt das gold-glitzernde Paillettenkleid, das sie trägt. Goldener und funkelnder kann ein Kleid nicht sein und bestimmt nicht jede Frau kann so etwas tragen. Ein solches Kostüm muss man auch ausfüllen, um nicht in dem strahlenden Gewand zu verschwinden. Und das macht Catherine Foster mit vollendeter Grazie und Eleganz. Sie strahlt in Gesang und Präsenz mit ihrem Lichtkleid um die Wette. Ihre Performance ist vollkommen.
Ein Grund, dass die Solisten in dieser Aufführung allesamt so umwerfend und noch einmal besser agieren als zuvor, ist – neben der kollektiven Top-Tagesform – das Orchester unter der Leitung von Marek Janowski. Dieses hat sich von Aufführung zu Aufführung gesteigert, doch nun in der Götterdämmerung ist es wie verwandelt.
Im ersten Aufzug hören sehr strenge Ohren noch ein paar nicht runde Stellen, insgesamt aber präsentiert sich das Orchester schon großartig. Im zweiten und dritten Akt gelingt ihm fast Vollkommenheit. Marek Janowski findet das richtige Tempo. Sein Timing ist sehr musikalisch. Das Orchester spielt präzise und mitreißend. Janowski und seine Musiker zeigen große dramatische Fähigkeiten und bauen ganz vortrefflich Spannung auf. Die Dynamik ist wunderbar.
Das Orchester klingt enorm präsent und wach und zeigt begeisternde Spielfreude. Es klingt außerdem farbenreicher als bei den drei Auftritten zuvor und berührt gefühlvoll in den zärtlichen Momenten. Janowski und seine Musiker sorgen für ein Drittel der vielen Gänsehautmomente des Abends.
Es ist dieser ganz besondere Zauber, wenn alle im Fluss sind. Diese Magie des vollkommenen Zusammenspiels im Kollektiv kann man nicht auf Abruf herstellen. Das ist ein Geschenk, wenn dies hin und wieder passiert. An diesem Abend wurde das Publikum sehr reich beschenkt. Es ist einer dieser ganz großen Opernabende, der in Erinnerung bleibt, weil ein solches Erlebnis von Musik zu dem Schönsten gehört, was man als Mensch erfahren kann.
Über die Inszenierung von Frank Castorf will man da gar nicht viele Worte verlieren. Sie fühlt sich gut und rund an. Alles verstehen muss man nicht. In Gesprächen nach der Oper hört man von fast jedem eine andere Interpretation zu diesem oder jenem Punkt und man diskutiert über die Bedeutung. Auch nicht schlecht. Erst recht für einen politischen Regisseur.
Die Bühnenbilder von Aleksandar Denić sehen wieder toll aus und erstaunen durch Aufwand und Liebe in der Ausführung. Nur bei einer winzigen Kleinigkeit im gesamten Ring-Zyklus kann man sich über Denić wundern:
Der Dönerspieß dreht sich nicht.
Ein bewusster Bruch? Oder ist da eins von tausenden Details tatsächlich nicht bis zur äußersten Perfektion umgesetzt?
Der Applaus am Ende ist gewaltig: Massive Bravo-Rufe, Jubel und donnerndes Fußtrommeln auf dem Holzboden des Saals. Man hofft, dass das alte Gebälk keinen Schaden nimmt. Das begeisterte Publikum will gar nicht aufhören, die große Vorstellung aller Künstler zu feiern und spendet am Ende kollektiv Standing Ovations.
Viele Zuschauer sind nach der Aufführung elektrisiert und erfüllt von Glück. Der Kommentar des großen Wagner-Freunds Marc Herold aus Hamburg zur beeindruckenden Leistungssteigerung am letzten Abend des Rings: „Während im Siegfried eigentlich nur der letzte Akt, sowohl bei Betrachtung der Leistung des Orchesters als auch der Qualität der Sänger vollkommen überzeugte, schaffte es das gesamte Ensemble in der Götterdämmerung vom Start weg intensiv, dynamisch und intelligent zu agieren. Vinke pulverisierte alle Zweifel, die ich an ihm hatte und Catherine Foster sang nicht Brünnhilde – sie war an dem Abend das kühne, herrliche Kind.“
Was bleibt nach diesem Ring? Die Bühnenbilder waren beeindruckend und faszinierten durch große Liebe zum Detail. Frank Castorf beweist sich als ein Mann, der viele Ideen hat, der gerne auch mal aneckt und es gern politisch hat. Es gab unvergessliche Szenen wie den Tanz Siegfrieds mit dem schönsten aller Waldvögel auf einem tristen Alexanderplatz. Es gab viele offene Fragen und ein paar provozierende Szenen. Es gab viel Schönes, Groteskes und auch Überflüssiges zu sehen. Man durfte viele Einzelleistungen erleben, die nicht mehr zu steigern waren. Und dann zum Abschluss dieser große Abend der Götterdämmerung, an dem alles passte, alle im Fluss waren und in kollektiver Top-Leistung einen großen Opernabend hervorzauberten. Der zauberhafte Abend dauerte viele Stunden, ohne dass auch nur eine Sekunde Langeweile aufkam. Was für eine Leistung!
Sebastian Koik, 14. August 2017, für klassik-begeistert.de