Foto: © Matthias Creutziger
Christian Thielemanns letzter Lohengrin auf dem Grünen Hügel
Bayreuther Festspiele, Festspielhaus, 22. August 2022
Richard Wagner, Lohengrin
von Kirsten Liese
Der 22. August 2022 markiert ein besonderes Datum in der Geschichte der Richard Wagner Festspiele: An diesem Tag ging die letzte Aufführung des Lohengrin unter Christian Thielemanns Leitung über die Bühne, eine herausragende, nicht zu überbietende. Zudem war dies der vorerst letzte Auftritt des genialen Dirigenten an diesem Ort überhaupt. 2023 wird Christian Thielemann nicht in Bayreuth dirigieren, wie ich auf Nachfrage im Pressebüro erfuhr. Er feiert dann Jubiläum in Dresden.
Über die weitere Zukunft lässt sich schwer spekulieren. Jedenfalls ist der beste Wagnerdirigent jetzt erstmal weg. 22 Jahre (!) lang bescherte er ohne Unterbrechung Bayreuth die saisonalen Höhepunkte, angefangen von seinen so unvergesslich tollen Meistersingern in der Inszenierung von Wolfgang Wagner bis zu dem ganz in Blautönen gehaltenen Lohengrin, dem unwiderstehlich leisesten, den ich je gehört habe.
Ich frage mich, wie Thielemann das macht, dass man das Gefühl hat, er lege bei jeder weiteren Aufführung immer noch eine Schippe drauf. Sein letzter Lohengrin bei den Osterfestspielen in Salzburg, der dort ebenso eine Zäsur markierte, liegt kaum vier Monate zurück, und da verzauberte er sein Publikum ebenfalls mit silbrigen Valeurs in feinsten Pianissimo-Schattierungen.
Abgesehen von der Inszenierung, die mir in Bayreuth mit seiner Poesie in Blautönen besser gefällt als die grau-graue in Salzburg, kam es mir diesmal so vor, als begebe sich Thielemann in der Gralserzählung in noch intimere Gefilde. Jedenfalls tönten die Streicher diesmal an der Stelle so zart, dass man nicht umhin kam, gewaltig die Ohren zu spitzen. Man hätte meinen können, es spielten nur zwei Violinen. Was für ein Hörerleben!
Da kam mir wieder einmal Celibidache in den Kopf, wie er oft auf Proben – zum Beispiel zu Tondichtungen von Richard Strauss – den Musikern, die schon nur noch mit wenigen Bogenhaaren musizierten, zurief „nichts, gar nichts!“.
Das konnte in Bayreuth freilich nur so gelingen, weil Klaus Florian Vogt den Titelhelden gab, wohl der einzige Tenor weltweit, der mit derart ätherischen, luziden Tönen das „ferne Land“ mit seiner wundersamen Burg Montsalvat derart magisch zu beschwören versteht. Wenn er auf dem silbernen Streichergrund mit den denkbar schönsten, zärtlichsten Falsett-Tönen die „Taube“ vom Himmel nahen lässt, wagt kaum noch jemand im Saal auch nur zu atmen.
Zum Glück hatte ich im dritten Akt meinen Platz tauschen können, so dass ich diese Momente in ihrer ganzen Magie erfahren konnte. In den ersten beiden Akten hatte mich eine Sitznachbarin mit Knistergeräuschen in den leisesten Momenten, gegen die auch meine Ermahnungen wenig halfen, schier in den Wahnsinn getrieben. Objektiv gesehen waren das gewiss keine lauten Geräusche, die einem sonst kaum auffallen würden, aber wenn im Saal so knisternd leise musiziert wird, kommen Empfindlichkeiten auf.
Die Erinnerungen an diesen 22. August 2022 – gut zu merken mit der doppelten 22 – verbinden sich aber auch mit Flöten- und Oboensoli in zahlreichen lyrischen leisen Momenten, die man wohl an keinem anderen Ort so wunderbar hören kann wie in diesem Festspielhaus mit seiner einmaligen Akustik.
Und die nutzt Thielemann ebenso vorzüglich für den großen Rausch in der märchenhaft versponnenen Oper, beim schwungvollen Vorspiel zum dritten Akt, den majestätischen Chor-Aufzügen, Fanfaren und Bühnenmusiken. Momente, an denen man sich schier überwältigt fühlt von Glückshormonen, die diese Musik im Zuge eines solch grandiosen Vortrags auszuschütten vermag.
Auf der Bühne versammeln sich die einem solch filigranen Musizieren angemessenen Mitstreiterinnen und Mitstreiter: Für Petra Lang mit ihrem gewaltigen, kultiviert bis in höchste Regionen geführten Mezzo ist die Ortrud zu einer Paraderolle geworden. Wie sie in den dramatischen lauten Momenten triumphal ihre mächtigen Spitzentöne abfeuert – eine Sensation. Und so gefällt sie mir doch um Längen besser als die immer etwas matronenhaft tönende Elena Pankratova mit ihrem schaukelnden Vibrato.
Georg Zeppenfeld macht einmal mehr aus der kleineren Rolle des König Heinrich eine ganz große mit seinem ebenfalls sehr kraftvollen, profunden Bass und seiner exquisiten Textverständlichkeit.
Camilla Nylund erscheint unter den heutigen Elsas diejenige, die das für die Rolle nötige Volumen besitzt und eine zarte lyrische Schönheit. Martin Gantner gab einen profunden, in allen Lagen agilen Telramund.
Dass dieser Abend mit Bravostürmen ausklang, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Spätestens als Thielemann das erste Mal alleine vor den Vorhang trat, stand das Parkett wie ein Mann. Aber viele Einzelvorhänge wie man sie vielleicht erwartet hätte, gab es dann doch nicht. Sängerinnen, Sänger, Dirigent und Regieteam präsentierten sich vielmehr immer wieder gemeinsam als Ensemble und wurden als solches frenetisch gefeiert.
War dies nun das Ende einer Ära oder wird Christian Thielemann irgendwann noch einmal auf den Hügel wiederkehren? Das wird gewiss erheblich davon abhängen, wie es in Bayreuth weitergeht, künstlerisch und auch konzeptionell. Von anderen Komponisten ist immer wieder die Rede, die hier außer Wagner gespielt werden sollen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, verlöre Bayreuth auf fatale Weise seine Exklusivität. Ob das Festspielhaus für ein Drama von zum Beispiel Meyerbeer (der immer wieder ins Spiel gebracht wird) vollbesetzt sein würde, wage ich zu bezweifeln.
Ich will nicht zu pessimistisch enden, es sind ausreichend Künstler vorhanden, die es braucht, um Bayreuth wieder groß zu machen. Nur fehlt bislang der Wille, die Weichen entsprechend zu stellen.
Kirsten Liese, 23. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Berliner Staatskapelle Christian Thielemann, Dirigent Staatsoper Unter den Linden, 28. Juni 2022
Lang bescherte Christian Thielemann ohne Unterbrechung Bayreuth die saisonalen Höhepunkte, angefangen von seinen so unvergesslich tollen Meistersingern in der Inszenierung von Wolfgang Wagner…
Ich war damals in der Generalprobe!
Fred Keller