Wiener Staatsoper, 9. Januar 2020
Richard Wagner, Lohengrin
Foto: Klaus Florian Vogt in der Titelpartie und Cornelia Beskow als Elsa Wiener Staatsoper / Michael Pöhn ©
von Manfred A. Schmid (www.onlinemerker.com)
Der in ehrenrettender Mission nach Brabant entsandte Gralsritter war nicht per Schwan angereist. Klaus Florian Vogt, Einspringer für den kurzfristig erkrankten Piotr Beczala, kam per Auto von München nach Wien, weil das Flugzeug wegen Nebels nicht starten konnte. Offenbar traf er aber gerade noch rechtzeitig ein, denn als Staatsoperndirektor Meyer vor dem Vorhang tritt, um die Umbesetzung anzukünden, bittet er das Publikum um Geduld: Valery Gergiev, der Dirigent des Abends, habe mit dem Sänger der Titelpartie unbedingt noch „zwei Minuten lang sprechen“ wollen, bevor die Oper beginnen würde. Diese zwei Minuten genügen dann tatsächlich, um sich abzustimmen. Denn was folgt, ist eine weitgehend gelungene Vorstellung mit zwei bemerkenswerten Rollendebüts und einer neuen Stimme, die man sich wohl merken sollte.
Vogt, der mit den Gegebenheiten der ärgerlich krachledernen, irgendwo zwischen Musikantenstadl und Oktoberfest angesiedelten Inszenierung von Andreas Homoki als Titelheld der Premiere 2014 bestens vertraut ist, erweist sich gesanglich wie auch darstellerisch wiederum als hervorragende Besetzung. Kein Wunder, gilt er doch seit Jahren als Bayreuther „Lohengrin vom Dienst“ und verfügt über eine helle, nie zum Forcieren genötigten Stimme. Diese ist freilich mit einer Eigenart ausgestattet, die nicht jedem gefallen muss: Sein Tenor klingt geradezu entmaterialisiert, ätherisch, fast körperlos. Das mag in diesem Fall gut zum geheimnisvollen Charakter Lohengrins passen, der gewissermaßen ja auch nicht von dieser gewöhnlichen Welt ist, sondern aus der abgehobenen Sphäre der Gralsritter kommt (wunderbar eingefangen in den entrückten Geigenklängen des Vorspiels) , lässt aber auch den Wunsch nach einem etwas kernigeren Tenor aufkommen. Wenn Beczala zurückkehrt und sein Wiener Debüt als Lohengrin abliefern wird, könnte er das ideale missing link zwischen dem ungestümen, eher an die Jugendjahre seines Vaters Parsifal erinnernden Andreas Schager (im Herbst 2018) und dem an die zauberhafte Ausstrahlung von Sängerknabenstimmen erinnernden Klaus Florian Vogt sein.
Eine weitgehend noch unbekannte junge Sängerin, Cornelia Beskow, wird für die Partie der Elsa von Brabant aufgeboten. Die mutige Entscheidung des Besetzungsbüros lohnt sich. Die aus Schweden stammende, bisher vor allem an mittleren skandinavischen Häusern – u.a. als Senta und Weilgunde – auftretende Sopranistin erweist sich als vorzügliche Gestalterin. Ihre Elsa ist eine selbstbewusste junge Frau mit eigenem Willen, die aber gegenüber Ortruds gefährlicher Überredungskunst letztlich machtlos ist, nachgibt und Treuebruch begeht. Ihr etwas abgedunkelter Sopran ist fein geführt, das Timbre ansprechend. Zunächst etwas verhalten, wird ihre gesangliche Leistung zunehmend souveräner. Im letzten Akt, in exponierter Lage, zuweilen freilich auch etwas schrill. Jedenfalls ein eindrucksvolles Welt-Debüt. Und die Hoffnung, dass diese fordernde Rolle der Elsa für sie nicht zu früh gekommen ist und Beskow nicht zu den vielen Blütenträumen gehören wird, die nicht reiften.
Viel lernen in puncto Wagner kann Cornelia Beskow von der bewährten Linda Watson, die spätestens seit ihrem Bayreuther Kundry-Debüt 1998 zur ersten Garde der Wagner-Heroinen zählt und insbesondere als Brünhilde weltweit in Erscheinung getreten ist. Diesmal, bei ihrem Rollendebüt als Ortrud, bewegt sich die dramatische Sopranistin allerdings in stimmlich tieferen Regionen. Für diese Partie werden – nicht ohne Grund – oft auch Mezzo-Soprane eingesetzt. Watson singt intensiv, geht an ihre stimmlichen Grenzen und liefert das imponierende Porträt einer verletzten, nach Rache dürstenden Zauberin und Verführerin, die der alten heidnischen Weltordnung und ihren Göttern nachtrauert und diese wieder errichten will. Ihre Beziehung zu ihrem Mann Telramund ähnelt anfangs der zwischen Macbeth und Lady Macbeth, doch anders als bei Shakespeare gelingt es Telramund nicht, sich von seiner bestimmenden Frau zu emanzipieren. Egils Silins ist bei seinem Wiener Rollendebüt ein ehrgeiziger Erfüllungsgehilfe in einem mit Leidenschaft und Perfidie ausgetragenen Machtkampf und überzeugt vor allem im 2. Aufzug, wo er sich nach der schmählichen Niederlage wieder sammelt und ein Comeback anvisiert.
Ain Angers mächtiger Bass hat inzwischen einiges an Strahlkraft eingebüßt. Dass sein Heinrich der Vogler königliche Ausstrahlung ziemlich vermissen lässt, liegt aber in erster Linie an der unsäglich dümmlichen Inszenierung, die als Einheitsbühnenbild (Ausstattung Wolfgang Gussmann) eine meist unaufgeräumte alpenländische Gaststube vorsieht. Wer hier seines Amtes waltet, ist höchstens ein Oberförster – oder ein Aufsichtsjäger wie Boaz Daniel als verlässlicher Heerrufer.
Valery Gergiev kennt die Wiener Philharmoniker gut, und umgekehrt gilt das ebenfalls. Auch das Staatsopernorchester weiß daher die flirrende Bewegung der Finger seiner rechten Hand richtig umzusetzen. Eindrucksvoll fallen nicht nur die ausgefeilten Vorspiele vor jedem Aufzug aus, sondern auch das Zusammenwirken mit den Akteuren und dem blendend eingestellten Chor auf der Bühne. Dass Gergiev manche Passagen etwas langsamer angeht als gewohnt, was vor allem im Vorspiel zum 1. Aufzug auffällt, ist eine legitime Lesart und zwingt ebenso zu einem aufmerksamen Hinhören wie die stürmischen, vorwärtstreibenden, jubelnden Klangballungen, die den 3. Aufzug einbegleiten. Ein großer Hörgenuss schließlich die düster drohenden Celli und Fagotte in der Telramund-Ortrud-Szene am Beginn des 2. Aufzugs.
Viel Beifall und auch Jubel – insbesondere für den Einspringer Vogt, die junge Debütantin Beskow und den Dirigenten Gergiev: Das ist der Lohn für einen anregenden Opernabend.
Manfred A. Schmid, 10. Januar 2020