Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf
Ein musikalischer Höhenflug – in mächtigen Wogen steigt Wagners großartige Musik aus dem Orchestergraben, ertönt gewaltig aus Trompeten in der Proszeniumloge und dringt hinter dem Bühnenraum in einem überwältigenden Effekt akustischer Dreidimensionalität hervor.
Richard Wagner
Lohengrin
Romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner (1813-1883)
Libretto vom Komponisten
Musikalische Leitung: Axel Kober
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühne und Kostüme: Wolfgang Gussmann und Susana Mendoza
Philharmonia Zürich
Chor, Zusatzchor und SoprAlti der Oper Zürich
Opernhaus Zürich, 16. April 2025
von Dr. Charles E. Ritterband
Natürlich erinnern wir uns daran, dass das Zürcher Opernhaus im Jahr 1891 unter dem damaligen Namen „Stadttheater“ mit „Lohengrin“, Wagners letzter seiner großen romantischen Opern, eingeweiht wurde. Überragend in der aktuellen Inszenierung des Opernhauses Zürich der Weltklasse-Tenor Piotr Beczała in der Titelrolle, hervorragend Simone Schneider als Elsa, großartig der bergbäuerlich gewandete Chor der Oper Zürich.
Die ziemlich eigenwillige Inszenierung von Andreas Homoki wirft Fragen auf, die dieser dann allerdings überzeugend im Programmheft beantwortet.
Nicht der legendäre Schwan, der den rätselhaften romantischen Helden, der anonym bleiben will (und dies wegen der neugierigen Insistenz Elsas dann doch nicht schafft) über die Bühne zieht und der einst Walter Slezak in seiner Theateranekdoten-Sammlung zum großartigen Buchtitel „Wann geht der nächste Schwan?“ inspirierte, tritt in dieser Inszenierung des Opernhauses Zürich auf: Es ist vielmehr ein handliches Kunststoff-Schwänchen das Elsa von Brabant wie ein Schoßhündchen in den Armen umschlungen hält. Und auch keine Ritter in schimmernden Rüstungen sind hier zu erwarten: Bei Homoki sind das alles stämmige Bergbauern in Lederhosen, mit Bergschuhen und dicken Wollsocken und buschigen Gamsbärten auf den Tirolerhüten.
Homoki verlegt die Handlung aus dem mittelalterlichen Brabant in, wie er im Programmheft darlegt, die „kleine Welt eines Bergdorfs im 19. oder frühen 20. Jahrhundert“ – in einen Mikrokosmos, in dem „die großen politischen Fragestellungen“ in eine Dorfgemeinschaft verlegt werden. Ein theatralisches Verfremdungsverfahren, in dem „scheinbar bekannte Dinge in einen unerwarteten Kontext“ gesetzt werden, „so dass sie fremd wirken, dadurch neu erkannt und besser durchschaut werden können“. Das ist zweifellos alles höchst intellektuell und tönt unüberhörbar nach der alten Brecht’schen Theaterkonzeption.
Ob es vom Durchschnittspublikum, das sich vier Stunden lang Bier in sich hineinschüttende und rhythmisch Bierkrüge auf den Tisch hauende Bergbauern an langen Holztischen vor raumfüllenden Holzwänden (Bühne und Kostüme: Wolfgang Gussmann und Susana Mendoza) anzusehen hat, auch restlos kapiert wird, bleibt eine offene Frage.

Vielleicht schleichen sich beim einen oder anderen auch ziemlich naheliegende Assoziationen an: bäuerliche Nazis, die sich mitreißen lassen von der doch eindeutig nationalistischen, ja chauvinistischen und aggressiven Kriegsrhetorik dieser Oper, welche sich Hitler und seinen Spießgesellen bereitwillig als kulturelle Blaupause anbot.
Klar – es geht hier um Brabant und um Verteidigung gegen die Angreifer „im Osten“ (Ungarn). Jedenfalls kann man sich angesichts der Wollsocken und der Lederhosen, die hier wie eine bäuerliche Uniform daherkommen, und angesichts der Wankelmütigkeit dieser biertrinkenden Menge, die Elsa einmal als Mörderin ihres Bruders an den Pranger stellen und kurz darauf fast wie eine Heilige verehren, solcher Assoziationen mit dem Fußvolk des großdeutschen NS-Regimes nur schwer erwehren…

Wie auch immer. Musikalisch war jede Minute dieser Inszenierung hinreißend, geradezu überwältigend, vor allem im dritten Aufzug, und als der phänomenale Piotr Beczała – der heute weltweit zu den gefragtesten Tenören der Opernbühne zählt – mit seinem einzigartigen Timbre die berühmte Gralserzählung anstimmte, erstarrte das Publikum mucksmäuschenstill in andächtigem Schweigen.
Die Elsa der Simone Schneider war Beczała eine adäquate Partnerin, stimmlich äußerst harmonisch, perfekt koordiniert. Glaubhaft ihr innerer Konflikt, die unwiderstehliche Versuchung, das Tabu zu brechen, den geliebten Mann zu drängen, die verbotene Frage nach seinem Namen, seine Identität preiszugeben – aus Angst von ihm verlassen zu werden, was dann bekanntlich erst recht zu geschehen hatte: Wagner erweist sich hier einmal mehr als exzellenter Psychologe der Mann-Frau-Beziehung…

Wie eine Dämonin, überragend, ja geradezu überdimensioniert, als Personifizierung des Bösen, die dem alten Wotan-Kult anhängende Ortrud der Anna Smirnova – faszinierend nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch, mimisch.
In nichts stand ihr der von ihr zum Spießgesellen verführte Friedrich von Telramund nach: Martin Gantner verkörperte diese durch und durch zwiespältige Gestalt stimmlich und als Figur glaubhaft gewaltig und doch jämmerlich.
Dr. Charles E. Ritterband, 22. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Lohengrin: Piotr Beczała
Elsa von Brabant: Simone Schneider
Friedrich von Telramund: Martin Gantner
Ortrud: Anna Smirnova