Wagners Ring & Wrestling: Tiefstes Reeperbahn-Feeling in der Oper

Foto: Jörn Kipping (c)
opera stabile
, 22. September 2018
Ring & Wrestling, Operanovela in fünf Teilen, Teil 3
Musik nach Richard Wagner (Ring des Nibelungen)

von Teresa Grodzinska

Was bis jetzt geschah, erzählt am Anfang der Vorstellung in Telenovela-Manier Don Pedro, der Ring-Ansager der St. Pauli-Fraktion. Ich muss ihn mal beschreiben: klein, mit Bäuchlein, weißes Adidas-Dress bis zum Bauchnabel geöffnet, Goldkettchen, gold umrandete Sonnenbrille, schwarze Haare (Perücke?) und loses Mundwerk. Wir fühlen uns sofort wie in der Boxerkneipe “Ritze”. Tiefstes Reeperbahn-Feeling. Aus seinem Munde erfuhr ich, was ich beim zweiten Teil der Operanovela nicht verstanden hatte: der Gewinner des Wrestling-Kampfes zum Wohle der Götter war Käpt’n Kernschmelze. Ein grünschleimiges Transformer-Monster (Eltern wissen, was ich meine), obszön mit einer grünen Keule winkend und die selbige leckend. Hüftschwung, grüne Blinker auf den Schulterblättern, viel Schaum um Nichts.

Noch eine Berichtigung: ich erwischte Sandra Fox, die Kostümbildnerin der Show im Zuschauerraum. Gratulierte ihr zu den grandiosen Kostümen, erfuhr aber, dass die Wrestler ihre Figuren selbst aufbauen und die Kostüme selber basteln. Wow. Der Käse alias Mr. Cheese und Pinkzilla bleiben für immer in meiner Erinnerung.

Das Orchester blieb in der gleichen Besetzung, nur der Flügel rutschte ein bisschen nach links zum Schlund der Wrestler-Unterwelt. Dafür saß der Fagottspieler bequem mit dem Gesicht zu uns. Zwei Violinen und ein Kontrabass zu unserer rechten. Links die Perkussion, hinter ihr der Dirigent, Leo Schmidhals, der mit Herzblut dabei ist. Auch so einer mit Schalk im Nacken.

Diesmal erschienen die Walhalla-Flüchtlinge todesmutig in hellgrünen Overalls gegen atomare Strahlung. Bei den Temperaturen, die im Ring und im Saal herrschten, nenne ich dieses Outfit eine Leistung. Es sei denn, sie wollen alle abnehmen. Auch Brünnhilde? Bitte nicht! Geschwitzt haben sie allesamt und das nicht zu knapp.

Die Handlung beschränkte sich diesmal auf Tabubrüche. Käpt’n Kernschmelze prügelte auf eine hochschwangere Frau ein. Nach der Sturzgeburt im Ring verdroschen frisch geborene Zwillinge (ein Junge und ein Mädchen) Käpt’n Kernschmelze mit fatalen Folgen. Der Junge wurde verstrahlt und schlug auf seine frischgebackene Mama ein, trotz Windeln.

Die Mutter, erstaunlich schnell wieder auf den Beinen, gab Käpt’n Kernschmelze eine Kopfnuss und wurde zur Mutter aller Mütter gekürt. Die Götter waren völlig verunsichert, ja, fast vergessen. In alle Ecken des Rings verstreut, spielten sie kaum eine Rolle, bis Haidi Hitler sie wieder zusammenstauchte. Sie meinte, dass man Helden brauche, wenn der Energiepegel im Volke sinke. Wie wahr. Wie gefährlich wahr.

Jeder der vier Opernsänger, die aus vier Nationen stammen, rief seine Regierung an und bat um Helden. Brünnhilde rief Horst Seehofer an. Fricka plauderte auf Russisch mit Wladimir Putin, Wotan bekam Donald Trump an die Strippe und Donner (gefährlicher Asiate) sprach… was? Im Damenklo nach der Vorstellung erfuhr ich, dass es sich um Japanisch handelte.

Kurz und bündig: der Japaner legte auf, auch der Seehofer wollte wohl nicht kommen, obwohl St. Pauli schon katholisch klingt, finde ich. Wer kam, haben Sie schon längst erraten: Putin (weisses Adidas-Dress) und Trump, nicht verkleidet, aber irgendwie doch. Beide setzten sich sofort auf die Ringtreppe und fingen an Dosenbier zu trinken. Putin gewann das Wetttrinken und stupste den völlig betrunkenen Trump liebevoll an, obwohl er ihm – wie alle Politiker dieser Welt – nur bis zur Taille reichte. Napoleon war auch klein, oder? Obacht.

Oben wurden weiterhin Prügelknaben und Mädels gesucht und gefunden. Hymne.

Musikalisch wieder Topqualität. Wie das kleine Ensemble der Staatsoper so präzise spielen kann bei der Gaudi im Ring, ist mir ein Rätsel. Oder iegt es daran, dass die Musiker endlich etwas zu sehen bekommen, statt im Graben nur zuzuhören?

Nächsten Samstag, same place, same time. Eine Frage bleibt: Wo ist Freya abgeblieben?

Teresa Grodzinska, 24. September 2018 für
klassik-begeistert.de

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