Küchl-Quartett im Musikverein: Dohnanyí stellt Haydn und Beethoven in den Schatten

Foto: © Winnie Küchl
Musikverein Wien, 24. September 2018, Brahms-Saal
Küchl-Quartett

Rainer Küchl, Violine
Daniel Froschauer, Violine
Heinrich Koll, Viola
Robert Nagy, Violoncello
Joseph Haydn: Streichquartett D-Dur, Hob. III:34
Ernst von Dohnányi: Streichquartett a-Moll, op. 33
Ludwig van Beethoven: Streichquartett Es-Dur, op. 127

von Thomas Genser

Das Wiener Küchl-Quartett begrüßt im Musikverein den Herbst und eröffnet mit dem Konzert seinen Quartett-Zyklus. Ebenso glänzend wie routiniert bringen Rainer Küchl und seine Mitmusiker ein Programm, dem aber Ecken und Kanten fehlen. Werke von Haydn und Beethoven bleiben klar im Schatten von Dohnányis a-Moll-Streichquartett stehen. Es macht sich die Erkenntnis breit, dass die viel gespielten Komponisten manchmal vielleicht zu viel gespielt werden.
Mit Haydn startet das 1973 gegründete Ensemble im Brahms-Saal des Musikvereins in die neue Konzertsaison. Haydn funktioniert immer: Da gibt es transparente, kantable Melodien und feine Dynamik. Ein Hauch Frühklassik gepaart mit Ideen des musikalischen Sturm und Drang. Emotionale Ausbrüche in der Exposition sind hierfür die Hauptverantwortlichen. Infantile Verspieltheit gibt es auch: Die triolischen Läufe Küchls sind wie umhertollende Kinder, die beiden Geigen danach ein Gesangsduett.

Heinrich Koll (Viola) und Robert Nagy (Cello) kommen jedoch nicht zu kurz: Während ersterer die graue Eminenz im Hintergrund ist – die nur selten und wenn, dann richtig loslegt – zeigt der Ungar im Bassbereich den ganzen Abend über sein Können. Insbesondere im zweiten Satz, einer mit Un poco Adagio e affettuoso betitelten Variationenfolge, liefert er eine Melodie von sattem Charakter, gegen die alle anderen Beteiligten verblassen. Im raschen Abtausch einzelner Noten erschaffen die vier Herren ein kunstvolles Geflecht, das gleichwohl filigran wie stabil klingt.

Im Menuett alla zingarese geht es sehr wild zu, beschwingt eilt Nagys Cello im Trio voraus. Für das Finale mobilisiert Rainer Küchl seinen inneren Teufelsgeiger und stürzt sich in ein wildes Gemenge, das trotz hohem Tempo kein Quäntchen Präzision vermissen lässt. Der unerwartete Schluss im piano ist wenig publikumswirksam, aber auf seine eigene Art effektvoll.

Gänzlich andere Musik bieten die Streicher im Anschluss mit Dohnányis Quartett a-Moll op. 33 (1926). Die Klangsprache des Ungarn pendelt zwischen Posttonalität und klassisch Brahms’schem Formmodell. Dem Vorwurf, ein billiger Brahms-Abklatsch zu sein, musste sich Dohnányi zeitlebens ausgesetzt sehen. Wellenartige Einsätze von imitatorischem Charakter durchziehen den ersten Satz, Dissonanzen trampeln ein schlichtes Quintmotiv nieder. Im Seitenthema wird es konventioneller: Über pizzicato-Bässe und Triolen-Begleitung erhebt sich ein lieblicher Gesang, dem jedoch ein bitterer Beigeschmack zueigen ist.

Auch hier steht an zweiter Stelle ein Variationensatz, als Kontrast geht es regelrecht andächtig zu: Das Thema des Andante religioso erinnert an eine Choralmelodie, die die vier Musiker voll Ehrfurcht und wie mit Samthandschuhen emporheben. Die drei folgenden Variationen könnten unterschiedlicher nicht sein –zunächst geht es meditativ zu (wenn auch ein wenig schief intoniert), dann wild und treibend, mit lautenhaften Akkorden vom Cello und uhrwerksartigen Violinen. Zuletzt folgen hymnischer Gesang und einige höchst bemerkenswerte Passagen des Cellisten Nagy!

Der finale Satz, ein Vivace giocoso, wirkt gehässig-diabolisch und kann mit moderner Tonsprache punkten: Von Chromatik auf höchster Stufe bis zu Abschnitten, die Assoziationen an Tango und den frühen Jazz wachwerden lassen, sind sämtliche Temperamente vertreten. Dohnányi sprengt das Korsett der Tonalität und liefert rhythmisch komplexe Verschiebungen. Alles dröhnt und quietscht, singt und springt – bis ein Stehenbleiben auf der Dominante die unabwendbare Schlusskadenz erhoffen lässt. Der Komponist schiebt aber noch ein paar dissonante Ganztonleiter-Läufe ein und lässt erst dann sein Meisterwerk zu Ende kommen.

Wie kann man das noch toppen? Ziemlich schwer. Man versucht es mit Beethovens spätem Quartett Es-Dur. Im Gegensatz zur missglückten Uraufführung 1825 durch das Schuppanzigh-Quartett (zu wenige Proben, gerissene Saite, ungeduldiges Publikum) sind Küchl & Co bestens vorbereitet, nicht zuletzt durch ihre Gesamteinspielung aller Beethoven’schen Streichquartette. Dem ersten Satz geht eine langsame Einleitung (maestoso) voran, erst danach nimmt die Musik Fahrt auf. Rabiate Vorgangsweise steht im Wechselspiel mit lyrischen Passagen. Bisweilen sind auch ein paar schiefe Töne mit von der Partie.

Im zweiten, pathetischen Satz dann viel Vibrato, der leidende, taube Beethoven taucht vor dem inneren Auge auf. Wieder mal ein Variationensatz, hochkomplex und leider unnatürlich in die Länge gezogen. Mehr Energie kommt im Scherzo auf: Die Musiker sorgen hier wieder für Unterhaltung, das Ganze droht aber in die Banalität abzurutschen. Heinrich Koll an der Viola stört das sichtlich wenig. Obwohl der Schlusssatz hoch virtuos und mit maschineller Präzision dargeboten wird, fehlt am Ende die Substanz. Eine Prise mehr Dohnanyí hätte dem Programm sicherlich gut getan.

Thomas Genser, 24. September 2018, für
klassik-begeistert.de

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