Dieser Bayreuther Parsifal gleicht einer Referenzaufnahme – auch ohne Computerbrille

Richard Wagner, Parsifal, Andreas Schager, Georg Zeppenfeld  Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2024

Richard Wagner, Parsifal
Bayreuther Festspiele,
27. Juli 2024

Fotos: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele ©
Ekaterina Gubanova als Kundry

von Andreas Schmidt

Fast nur Beifall, Riesenbeifall auch am Ende für diesen großartigen „Parsifal“ – nur das Regieteam bekam auch Buh-Rufe… für die Inszenierung und vielleicht auch für die AR-Brillen für 330 Menschen im 1.937-Zuschauer-Saal.

Mit diesen „Augmented-Reality-Brillen“ sieht man vor der Bühne Bienen, Totenköpfe, Gesteine, einen Fuchs… einen blutenden Schwan, Äste, Blumen… sie fliegen durch „den Raum“, ist schon toll gemacht, diese erweiterte Realität, allein, sie verdeckt immer wieder (mit dieser ungewöhnlichen Brille, die 1000 US-Dollar kostet) das Geschehen auf der Bühne.

Die Technik ist genial, die Inszenierung sehr hochwertig mit tollen Raumeffekten. Tolle Kostüme, perfekte Personenführung. Die AR-Effekte sind amazing. Bringt die Brille das Geschehen weiter?

Letztes Jahr schrieb ich:

„Für Brillenträger mit optischen Gläsern ist die Brille sehr schwer und rutscht um so mehr runter, je länger der Abend dauert. Sie verdunkelt leider. Nach knapp 4 Stunden waren meine Augen so gereizt, dass ich nicht mehr alles klar sehen konnte.“

In diesem Jahr brach schon der linke Bügel, als ich die – verkabelte – Brille aus dem Körbchen links vom harten Sitz ganz vorsichtig holen wollte. Nach Pause 1 hatte das Brillenpersonal die Brille immer noch nicht richtig korrigiert – ich sah in Aufzug 2 zwei Minuten – dann brach der Bügel wieder. Vor Aufzug 3 war der Bügel mit blauem Tape-Band fixiert – ja, Fixlattn, ich genoss den „Parisfall“ einfach ohne Brille.

Und das ist auch besser so… Die hinzugefügte „Computer-Realität“ ist simply too much… Sie überfordert und ist überflüssig.

Sie ist sinnlos und „reine Technik“.

Mein Lieblingssänger des Abends war der Megabass Georg Zeppenfeld als Gurnemanz. Noblesse pur. Oh, wie schön, man kann sogar sein Deutsch verstehen… Zeppenfeld berührt mit seiner männlich-warmen Stimme. Er ist ein nobler Ritter der Gesangskunst. Das geht nicht besser. Eigentlich müsste die Oper „Gurnemanz“ heißen, weil der am meisten zu singen hat.

Parsifal 2024 (c) Enrico Nawrath

Zeppenfeld bakam den heftigsten Applaus. Er war, was Stimmintensität und Genauigkeit anbelangt, der herausragende Sänger und bot eine makellose Aufführung. Note 1 plus, würde man in der Schule sagen. Sehr mächtig, wenn es sein musste, sehr dunkel, angenehm sanft an vielen Stellen und mit einer klaren, deutschen Aussprache gesegnet. Kaum jemand im Weltklasseformat hat eine so klare Artikulation wie Zeppenfeld.

Andreas Schager beweist als Parsifal mal wieder, welch’ große, mächtige Stimme er hat. Ohne jegliche Müdigkeitserscheinung singt und schmettert er scheinbar lässig mit natürlicher und geerdeter Stimme alles in den Saal, was in der anspruchsvollen Partie von ihm gefordert wird. Parsifals “Amfortas!”-Ruf im zweiten Aufzug geht durch Mark und Bein. Andreas Schager ist ein prächtiger Parsifal!

Parsifal 2024 (c) Enrico Nawrath

Als Kundry gab Ekaterina Gubanova ihren zweiten Auftritt… sie  war eine Kundry, die ihre Gefühle voll auslebt und -singt.  Sie beherrscht die Bühne in den umwerfenden Minuten mit Andreas Schager und weiß vor allem mit ihrer Stimme die in ihr lodernde Leidenschaft auszudrücken. Gubanova beeindruckt vor allem mit ihren phänomenalen Höhen und weiß die Spitzentöne, mit denen sich viele andere Sängerinnen abmühen, fast immer bombensicher und strahlend zu platzieren. Ihr tiefes Register ist, Erda-gleich, eine Offenbarung mit Gänsehautcharakter. Allein an ihrer Wortdeutlichkeit möge sie noch etwas arbeiten.

Parsifal 2024 (c) Enrico Nawrath

Ebenso souverän sang Derek Welton den Amfortas höchst selbst. Sein mächtiger Bariton stemmte die hammerschwere Partie klar, sauber und mit äußerst deutlich verständlicher Diktion.

Der US-Amerikaner Jordan Shanahan lebt heute in der Schweiz und tritt regelmäßig in Europa, Nordamerika, Asien und natürlich auch in seiner Heimat auf Hawaii auf. Der Bariton sang als Klingsor in allen Registern und hat das Zeug zu einem ganz großen Vertreter seiner Zunft. Seine deutsche Aussprache sehr gut, kein Wunder.

Beeindruckend, da sonor und voluminös satt, ist der Auftritt von Titurel Tobias Kehrer, der als Bass eine herausragende „Performance“ abliefert. Er brillierte in allen Tiefen mit kräftigem, klar verständlichem Bass.

Das Festspielorchester spielte unter der Leitung des Spaniers Pablo Heras-Casado, einem Neuling im Wagner-Geschäft mit der Kernkompetenz für historisch informierte Aufführungspraxis, wie von einem anderen Stern – in jeder Lage, vom Pianissimo bis zum dreifachen Forte. Bravi! So geht Wagner!

Parsifal 2024 (c) Enrico Nawrath

Bayreuth bringt einen „Parsifal“ der Extraklasse: Dieser Abend gleicht einer Referenzaufnahme.

Und Mensch, lieber Herr Eberhard Friedrich … was SIE aus diesem Festspielchor herauskitzeln, bei Frauen wie Männern, ist einsame Weltklasse… Dieser Chor allein war vom Pianissimo bis zum dreifachen Forte den Eintritt wert. Da waren Glanz und Zärtlichkeit, alles in erhabener Güte.

Der Applaus für fast alle Beteiligten ist enorm, die Kundry Gubanova bekommt fast so viel wie Andreas Schager und Georg Zeppenfeld.
Das Regie-Team erntet Applaus mit einigen Buh-Rufen. Die Buhs zu unrecht.

Mit dem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ von Richard Wagner ist es wie mit einem guten Rotwein: Es wird besser, je öfter man es hört. „Parsifal“ ist gigantisch schöne Musik, das Lebensabschiedswerk eines Jahrtausendkomponisten. Parsifal betört die Sinne und macht süchtig, je länger man die Oper hört. „Parsifal“ beseelt. Es ist die Mega-Oper schlechthin.

Auch an diesem Abend auf dem Grünen Hügel: Was für eine großartige Musik! Was für ein Vorspiel! Von den ersten Takten an entführt Richard Wagner in einzigartige und zauberhafte Klangräume. Sphärische, weihevolle Musik wie nicht von dieser Welt!

Wagner strebte eine Verschmelzung von Kunst und Religion an, würdevoll und sakral ist die Musik, christliche Motive und Themen sind der Kern des Stückes. Kreuzweg, Hoffnung, das Blut Christi, Auferstehung, Erlösung. Schöner und dichter als Wagner das mit seinem finalen großen Werk getan hat, kann man diese Motive wohl nicht zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen.

Und der „Parsifal“ ist schon in ganz andere – zum Teil abstruse Zeiten und Räume – verlegt worden.

Parsifal 2024 (c) Enrico Nawrath

Die Presse schrieb einst trefflich: „Klangfarbe ist im ‚Parsifal‘ vielleicht Wagners wichtigstes Ausdrucksmittel, zaubert Stimmungen, Seelenbilder, sorgt für eine fortwährende Verwandlung. Denn kaum eine der Instrumentations-Nuancen wiederholt sich. Die musikalische Erzählung ist in stetem Fluss, selbst Erinnerungen an Gewesenes erscheinen stets in neuem Licht. Auch die exzellent realisierten Chorpassagen – in vielfacher Mischung mit Stimmen aus der Ferne, vielfach geteilten Solostimmen (Blumenmädchen, Knappen) und einem besonders beeindruckenden Glockengeläute – haben ihren Anteil an dieser fein verästelten Klangmalerei.“

„Die instrumental und klanglich homogenen, dicht gesteigerten Vorspiele und die Verwandlungsmusiken der Eckakte sind die schönsten Beispiele dieser altersreifen, klar strukturierten, gleichmäßig feierlichen wie sinnlich strömenden Musik“, bilanziert der Musikkritiker Rolf Fath.

Andreas Schmidt, 28. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de

Richard Wagner, Parsifal Bayerische Staatsoper, 31. März 2024

Richard Wagner, Parsifal Wiener Staatsoper, 1. April 2024

Parsifal, Musik und Libretto von Richard Wagner Deutsche Oper Berlin, 3. März 2024

Richard Wagner (1813 – 1883), Parsifal Deutsche Oper Berlin, 25. Februar 2024

 

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