Gewagt und gelungen: Gegen diese Kundry muss selbst Andreas Schager kämpfen

Richard Wagner, Parsifal  Bayreuther Festspiele, 12. August 2023

Parsifal 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Elīna Garanča krönt sich zur Göttermutter des Gesangs, eine furchtlose Regie und siegessichere Stimmen zaubern einen traumhaften Parsifal auf den heiligen Hügel zusammen. Gewagt, aber gelungen! Einzig Pablo Heras-Casados sehr zugiges Dirigat rattert über die feinen Details des Karfreitagszaubers hinweg.  


Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 12. August 2023

Parsifal
Musik und Libretto von Richard Wagner

von Peter Walter

Elīna Garanča krönt sich zur Königin der Kundrys, nein, sie ist die Göttermutter des Gesangs! Ihre runde, voluminöse Stimme dringt tief in alle Seelen ein und verzaubert das Publikum wie die Bühne. „Parsifal! Weile!“ wird zum wahren Show-Stopper, da stockt die Zeit wie stillgestanden. Ihr warmer Mezzo umschwärmt die Ohren aus den Tiefen wie ein Ozean voller Wagnerzauber. Auch in himmlischen Höhen brilliert ihre Stimme mit intensiver Dramatik, den Stimmumfang von zweieinhalb Oktaven hat sie eben so fest im Griff wie ihren Parsifal.

Liebe Frau Garanča, Sie beherrschen diese Musik wie keine andere Sängerin der heutigen Zeit. Wenn Sie auf der Bühne stehen, muss alles andere musikalisch weichen. Wenn Ihre seidensanfte Stimme jedem einzelnen der fast zweitausend ZuschauerInnen die Ohren streichelt, ist die Bühne voll. Bitte holen Sie nun auch Ihr Venus-Debüt nach! Und wenn Sie in Interviews schon von der Möglichkeit einer Sopran-Partie sprechen… darf ich von der Isolde träumen?

Denn gegen diese Kundry muss selbst der weltstärkste Heldentenor, Andreas Schager, kräftig kämpfen. Was auch immer er mit seiner Stahlkraftstimme macht, sie kann mehr. Jeder andere, weniger stimmstarke Tenor wäre gegen sie gnadenlos untergegangen. Doch Schager bleibt tapfer und lässt sich auch von dem mächtigen Mezzo seine stimmlichen Kräfte nicht leer saugen. Am Ende kann er mit einer Heldentat Klingsor den Speer entreißen und Amfortas von seinem Leiden erlösen.

Georg Zeppenfeld (Gurnemanz) und Andreas Schager (Parsifal) im 3. Akt © Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath

Und das ausnahmsweise auch nicht mit roher Kraft, sondern mit intelligent phrasierten, gar glatt geschliffenen Melodien.

Ebenso begeistert mich Jordan Shanahans Klingsor. Mit röhrender Stimme beherrscht er seine Blumenmädchen, versucht auch Kundry in den Bann seines Zaubers zu ziehen. Nicht einmal zwanzig Minuten gönnt Wagner seinem Chef-Antagonisten auf der Bühne, doch aus diesen wenigen Worten macht er klar, wer hier zu fürchten ist.

Parsifal 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Auch Derek Welton glänzt in den äußerst leidensvollen Monologen des Amfortas. Sein Gesang ist ein Paradebeispiel der ewigen Melodie, hoch expressiv und trotzdem kraftvoll. Er singt „Erbarmen“, man spürt einen Hilferuf nach Erbarmen. Er hat die Musik in der Hand, wie ein richtig guter Redner, der mit den feisten Ecken seiner Stimme ganze Novellen erzählt!

Gewohnt bärenstark gerät auch Georg Zeppenfelds Gurnemanz. Was hat dieser Sänger im Moment für einen spitzenmäßigen Lauf! Glasklare Textverständlichkeit und segelnde, unendliche Monologe sind mittlerweile seine Markenzeichen. Nun scheint er die mächtige Kraft seiner Stimme zu entdecken, so herrscht er über seine Ritter. Die hoffentlich alle seinen ewigen Erzählungen genauso gerne zuhören wie das Publikum…

Parsifal 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Auch die kleineren Rollen haben ihren Anteil an der gesanglichen Exzellenz des Abends. Marie Henriette Reinholds Altsolo strahlt aus allen Höhen in den Saal, Klingsors Blumenmädchen sorgen in einem bunten Zauberschloss für farbenfrohe Stimmung!

Und jetzt wird’s spannend: Seit Jahren fiebert die halbe Wagner-Welt der neuen Augmented-Reality-Inszenierung von Jay Scheib entgegen. Leider bleibt für mich keine der wenigen AR-Brillen übrig… doch was ich hörte, macht mich ebenso neugierig wie verwirrt und skeptisch. Im ersten Aufzug soll ein Baum den Blick auf die Bühne versperren, im dritten ein Fuchs durch eine Felsenlandschaft mitten in einem Meer voller Plastikbeutel laufen. Würde mich mal interessieren, was da letztendlich zu sehen ist… vielleicht ein andermal. Aber wenn das mit den Mülltüten-Meeren so stimmt, haben wir jetzt einen Bayreuther Plastiksackerl-Parsifal.

Wie auch immer oder vielleicht gerade ohne Brille lassen sich die hochinteressanten Einfälle der Regie bestens beobachten. Gurnemanz hat eine Partnerin: Schon im Vorspiel wagt sich der Regisseur an eine spannende, frische Interpretation dieses Stoffs. Und kaum enthüllt der neugekrönte Gralskönig Parsifal den Gral, zerschmettert er diesen zu Boden. Eine sehr kurzweilige und zur Diskussion anregende Regiearbeit. Verantwortlich hierfür ist auch Joshua Higgasons kunstvolle Videogestaltung, da kann man mal so richtig in alle Ecken der Erzählung tief eintauchen.

Es wäre der perfekte Parsifal gewesen. Wäre da nicht das Orchester unter der Leitung von Pablo Heras-Casado. Der Chef am Pult pflügt durch diesen Parsifal als wolle er die duftigen Blumen auf den holden Karfreitagsauen mit einem 50 PS starken Rasenmäher pflücken. Dabei bleiben leider nicht mehr sehr viele bunte Blüten übrig… so wirklich viel Abendmahlstimmung ist auf dem heiligen Hügel leider nicht vorhanden. Und sorry, wenn ein Dirigat selbst den derzeit routiniertesten und unermüdlichsten Wagner-Bass der Welt gleich mehrfach zudeckt, läuft irgendwas im Graben nicht ganz rund. Diese Akustik ist eigentlich sehr sängerfreundlich. Das geht besser!

Am Ende gibt es reichlich Applaus für alle beteiligen, besonders für Elīna Garanča will die Stimmung im Haus nahezu explodieren. Dieser Parsifal setzt die stimmliche Siegesserie der diesjährigen Festspiele fort. Jetzt bleibt die Frage, warum das Publikum diese Inszenierung so viel besser annimmt als den Schwarz-Ring… ist erstere nicht mindestens genauso gewagt wie Walhall als Netflix-Serie?

Peter Walter, 13. August 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Parsifal Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2023 (Eröffnung)

Richard Wagner, Parsifal Bayreuther Festspiele, 30. Juli 2023

Richard Wagner, Parsifal (Eröffnung) klassik-begeistert.de, 26. Juli 2023

Ein Gedanke zu „Richard Wagner, Parsifal
Bayreuther Festspiele, 12. August 2023“

  1. Ich war in derselben Aufführung und wundere mich doch etwas, wie hier eine Produktion nur in einem Teilaspekt rezensiert wird, nämlich dem, der auf der Bühne stattfindet – und dann noch als ein „fast perfekter“ „Parsifal“ bezeichnet wird. Wie alle wissen, und der Rezensent ja auch, war das Regieteam mit dem klaren Ziel an die Arbeit gegangen, das Werk mit der sog. Augmented Reality (AR) zu inszenieren, die aber nur eine Augmented Phantasy wurde. Das wurde bekanntlich in Bayreuth und auch in der Presse an die ganz große Glocke gehangen.
    Deshalb bin ich der Meinung, dass eine vollumfänglich gültige Rezension dieses neuen Bayreuther „Parsifal“ nur mit der entsprechend eingestellten Brille, die der Rezensent auch durchgängig auf der Nase haben sollte, und ich mit wachsender Müdigkeit auch hatte, zumal sie recht schwer ist und ständige Akkommodation erforderlich ist, wenn man mal einen Moment ohne Brille sehen will.
    Denn es geschieht ununterbrochen etwas in der Brille, denn die Bühne und die Brilleneffekte sind allzu oft, wenn auch vielfach mit nicht einsichtigen Inhalten bei reduzierter Stückbezogenheit, aufeinander abgestimmt. Oder anders, Jay Scheib hätte den „Parsifal“ nie inszeniert, hätte ihm die Festspielleitung bei seinem technischen Profil nicht den Auftrag mit der AR gegeben. So ist diese Rezension für mich nur begrenzt brauchbar.

    Dr. Klaus Billand

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