Foto: Ein AR-Motiv im „Parsifal“, © Bayreuther Festspiele/Joshua Higgason
Die „Parsifal“-Premiere zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele 2023
von Jolanta Łada-Zielke
Die Aussage im Titel – die paraphrasierten Worte von Gurnemanz – bezieht sich leider auf eine kleine Gruppe der Festspielgäste: nur 330 Personen. Nur so viele AR-Brillen hat die Festspielleitung dem Publikum zur Verfügung gestellt, welches die neue Inszenierung von „Parsifal“ sieht. Viele Menschen fragen sich, ob man solche, nicht für alle zugängliche Innovation braucht.
Die Idee des Regisseurs Jay Scheib bereichert das Bühnengeschehen. Die charakteristischen für den „Parsifal“ Symbole befinden sich genau in der virtuellen Realität. Auf einem transparenten Bildschirm schwebt vor unseren Augen ein von einem Pfeil getroffener Schwan, Klingsors Speer, und der Gral in Form einer Schale. Auf der Bühne gibt es vereinfachte Versionen dieser Symbole: ein Wanderstock als der Speer, und der Gral als ein smaragdgrünes Kristallgebilde. In der Schlussszene lässt es Parsifal nach der Enthüllung fallen und in Stücke zerschmettern. Der Gral ist in der europäischen Kultur fest verwurzelt, und der „Parsifal” ist eigentlich keine Oper, sondern ein Bühnenweihfestspiel. Deshalb finde ich solche Entmythologisierung des Grals etwas übertrieben.
Im dritten Akt gefallen mir die virtuellen Anspielungen auf den Klimawandel (zerdrückte Plastikflaschen und verbrauchte Batterien), sowie auf den Ukraine-Krieg (Granaten und Kalaschnikows). Ein sehr treffendes Symbol ist eine virtuelle, riesige Lilie, die die Unschuld des Titelhelden darstellt. Eine Biene bestäubt sie im dritten Akt. Interessant sind ebenfalls die Klapperschlangen als Attribute der hinterhältigen Kundry, sowohl als Schmuck an ihrer Kleidung als auch in der virtuellen Projektion.
Einige Zuschauer beschweren sich, dass sie sich so sehr auf die virtuellen Vorstellungen konzentrieren, dass sie wichtige Momente auf der Bühne verpassen. Dort spielen ebenso ausdrucksvolle Szenen. Die Amfortas‘ offene, blutende Wunde sieht realistisch, sogar naturalistisch aus. Klingsors Zaubermädchen tauchen als anziehende Vampirinnen auf, die kurz vor Parsifals Ankunft einen anderen Draufgänger „ausweiden“. Einige haben noch sein Blut an den Lippen.
Das Kostüm von Parsifal passt nicht zu diesem Charakter, der sich im Laufe der Handlung vom unwissenden Ignoranten zum Erlöser entwickelt. Es geht nicht darum, Andreas Schager mehr Größe zu verliehen, aber die Kleidung, die er auf der Bühne trägt, macht ihn optisch dicker. Als Siegfried sieht er männlicher aus, obwohl er diese Partie in einer Cargo-Hose und einem T-Shirt singt. Klingsors hochhackige Pumps, die dieser zu einem eleganten Anzug trägt, sind akzeptabel, obwohl sie ihn zu einer grotesken Figur machen. Aber Parsifal im dritten Akt, in einem roten Sweatshirt mit Kapuze und einer gleichfarbigen Hose, ähnelt eher einem Heinzelmännchen.
Kundry gefällt mir dagegen wirklich, visuell und schauspielerisch. Ihr Outfit mit schwarzen und weißen Elementen, sogar in ihrer Haarfarbe, zeigt, dass sie eine Frau voller Widersprüche ist. Ihr rätselhaftes Verhalten zu Beginn, dann der Versuch, Parsifal zu verführen, das Eingeständnis ihrer Sünden und schließlich ihre Dienstbereitschaft im dritten Akt – all das führt diese Figur mit einer Art Würde aus. Diese Würde, Schönheit und Attraktivität behält sie bis zum Schluss. Im dritten Akt sehen wir keine verzweifelte Greisin, sondern eine reife Frau, die sich ihres Wertes bewusst und immer noch liebesfähig ist.
Die musikalische Seite der Aufführung ist ein reines Vergnügen. Pablo Heras-Casado leitet das Orchester mit sicherer Hand und einem Feingefühl. Die Ouvertüre selbst ist mitreißend. In der dichten Tonart As-Dur erklingt strahlend das Gral-Motiv und nachdenklich mein Lieblingsmotiv des Glaubens (Es-As-G-F-Es-F-G / Ges-Ces-B-As-Ges-As-B). Die Glocken im ersten Akt sind würdevoll, die Harfen bei den Schlussakkorden zart und subtil.
Alle Sänger sind stimmlich und technisch ausgezeichnet, von der Titelfigur bis hin zu Klingsors Zaubermädchen, Gralsritter und Knappen. Am meisten fallen Andreas Schager als Parsifal und Georg Zeppenfeld als Gurnemanz auf; letzterer verfügt über eine hervorragende Diktion. Schager zeigt gesanglich die Verwandlung seines Charakters. Im ersten Akt singt er einfach und sparsam, im zweiten Akt hochdramatisch (vor allem in den Szenen mit Kundry), und am Ende phrasiert er mit viel Legato. Ich mag seine „besänftigende“ Interpretation. Die Mezzosopranistin Elīna Garanča (Kundry) bezaubert mit ihrer dunklen, starken Stimme, die sie gekonnt dosiert, nur ihre Aussprache sollte deutlicher sein. Auch Jordan Shanahan als Klingsor und Tobias Kehrer (Titurel) haben interessante Figuren geschaffen, gesanglich und schauspielerisch.
Zum Schluss bekamen alle Solisten, der Festspielchor und der Dirigent einen wohlverdienten, stürmischen Applaus, während das Regieteam einige Buhrufe sammelte. Buhten die Zuschauer, die keine Brille bekamen, oder diejenigen, denen die Kombination der Bühnenaktion mit virtueller Projektion nicht gefiel?
Ich bin offen für die Moderne, wenn man sie geschickt mit der Tradition verbindet. Was die neue Inszenierung von „Parsifal“ betrifft, würde ich die Proportionen nochmal überlegen, damit die virtuelle Botschaft das Bühnengeschehen ergänzt, aber nicht davon ablenkt. Zweitens wäre es gut, dass alle interessierten Zuschauern miterleben könnten, wie „Zeit zu virtuellem Raum“ wird, ohne den Geldbeutel zu strapazieren.
Jolanta Łada-Zielke, 28. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begesitert.at
Richard Wagner, Parsifal Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2023 (Eröffnung)
Richard Wagner, Parsifal (Eröffnung) klassik-begeistert.de, 26. Juli 2023