"Parsifal" in Berlin: eine musikalisch zwiespältige Wiederaufnahme einer zu Recht vielfach gescholtenen Inszenierung

Richard Wagner, Parsifal,  Deutsche Oper Berlin, 14. April 2019

Foto: © Matthias Baus
Deutsche Oper Berlin, 14. April 2019
Richard Wagner, Parsifal

von Dr. Ingobert Waltenberger (www.onlinemerker.com)

Während in der Staatsoper Unter den Linden Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ unter Daniel Barenboim ertönen, gibt man sich an der Deutschen Oper Berlin mit “Parsifal” spiritueller. Viel war im Vorfeld der Aufführung von Umbesetzungen zu lesen, die nicht nur zwei Hauptrollen (Kundry, Amfortas), sondern auch den Dirigenten betreffen. Das muss ja nicht unbedingt pauschal schlecht sein, wie im Falle der Kundry zu konstatieren ist.

Mit der schrecklich bildüberladenen, gegen die Musik und das Wagner’sche Libretto vielfach verstoßenden Pappmaché-Hollywood-Kostümschinken-Degen-und Ritter-Regie von Philipp Stölzl aus dem Jahr 2012 (wir erinnern uns: Da war im Vorspiel die Kreuzigung Jesu zu sehen, sodann die Gralsgemeinschaft sich geißelnd und mit Schwerter durch die Gegend fuchtelnd, später ein Parsifal, der Blumenmädchen absticht und Klingsor durch einen Schlag von hinten erledigt und so weiter) ist auch 2019 kein Staat zu machen und wohl auch kein junger Mensch für die Kunstform Oper zu begeistern. 

Musikalisch kracht es im ersten Akt ordentlich im Gebälk. Der für Donald Runnicles kurzfristig eingesprungene amerikanische Dirigent John Fiore sorgt im ersten Akt für eine selten derbe, eckige und laute Wiedergabe. Ich habe das Orchester der Deutschen Oper Berlin kaum je so undiszipliniert und krachend gehört. Zwischen Bühne und Orchestergraben harmoniert es nicht wirklich, der Chor der Gralsritter vergisst sogar seinen ersten Einsatz und lässt einfach die ersten zwei Verse weg. 

Versöhnlich stimmen vier Solisten des Abends. Günther Groissböck ist kein Väterchen Gurnemanz und in dieser Rolle auch kein sanfter-weiser Alter wie einst Kurt Moll oder Karl Ridderbusch es waren, sondern ein beeindruckendes gestandenes Mannsbild mit der wohl besten aller Bassstimmen der Jetztzeit. Zu der sonoren Tiefe gesellt sich jetzt schon eine heldische Höhe. Der Wotan lässt grüßen. Die Befassung mit der Kunstform Lied hat Groissböck offensichtlich auch gut getan. Diktion, erzählerische Dichte, Phrasierung und ein modulationsfähiges Timbre lassen keinerlei Wünsche offen. 

Der Amerikaner Brandon Jovanovic als Parsifal ist trotz Anzugs optisch und stimmlich der Naturbursche schlechthin. Mit einem großen Tenor ausgestattet, ist er zuvörderst Instinktsänger und setzt, als gäbe es kein Morgen, auf sein schönes Material. Besonders im zweiten Akt im dramatischen Teil des Duetts mit Kundry bringt ihn das einmal hart an seine Grenze. Ein wenig mehr an Raffinement, Differenzierung, Pianokultur und damit effizienterem Einsatz seiner Mittel täten ihm gut. Dann wäre Jovanovic eine lange Karriere als Heldentenor sicher. Andernfalls bin ich mir da nicht so sicher….

Die größte Überraschung des Abends, weil für mich so völlig unerwartet, war die phantastische Kundry der Heike Wessels. Die Einspringerin fasziniert mit einem klangvollen dramatischen Mezzo mit Kontraalttiefe und einer metallischen Höhe.  Die Herzeleide-Erzählung gerät zum vokalen Höhepunkt des Abends. Das Duett mit Parsifal steht wie unter Starkstrom. Ihr Klangfarbenregister scheint unerschöpflich. Wessels gibt der Figur genau das Profil, das es dem Zuschauer erlaubt, das Archaische und Ambivalente der Figur mit rein stimmlichen Mitteln zu erfassen. Für mich ist Wessels die vokal facettenreichste Kundry seit Leonie Rysanek. 

Als Nummer vier im Kleeblatt des Opernstimmenglücks ist der australische Bassbariton Derek Welton als Klingsor zu nennen. Mit heldischer Attitüde kann er das Negativ-Abstoßende der Figur ebenso vermitteln wie das Bedauernswerte (immerhin hat er sich ja selbst kastriert). Ein schillernder Drahtzieher von Verführung und Sklave der Macht gleichermaßen.

Markus Marquart, Ensemblemitglied der Semperoper Dresden, enttäuscht mit einem relativ stark abgesungenen Bariton, Kurzatmigkeit und lange schwingendem Vibrato. Als Figur berührt der erfahrene Sänger dennoch. Andrew Harris ist ein passabler Titurel. Die Blumenmädchenszene (Netta Or, Alexandra Hutton, Irene Roberts, Nicole Haslett, Cornelia Kim und Annika Schlicht) habe ich schon glanzvoller und glaubwürdiger gehört. Dafür sind der erste und zweite Gralsritter mit Burkhard Ulrich und Byung Gil Kim luxuriös besetzt.

Der Chor der Deutschen Oper Berlin verdient schon wegen des spektakulär verpatzten Einsatzes kein Sonderlob.  

Fazit: Eine musikalisch zwiespältige Wiederaufnahme einer zu Recht vielfach gescholtenen Inszenierung.

Dr. Ingobert Waltenberger, 15. April 2019

2 Gedanken zu „Richard Wagner, Parsifal,
Deutsche Oper Berlin, 14. April 2019“

  1. Ich habe meinen abweichenden Eindruck von dieser Aufführung auf der Facebook Gruppe Richard Wagner gepostet.

    Gerd-Uwe Dastig

  2. Immer wieder beeindruckend, mit welch ebenso schwülstigem Vokabular jemand seine private Meinung kundtut und dies nicht als mögliche, sondern als einzig geltende Wahrnehmung hinstellt.

    Mich (und meine gesamte 5-köpfige Begleitung) interessieren weniger die oft seltsamen – manchmal gelungenen – inspirierten Regiesinszenierungen, sondern einfach der Versuch, etwas authentisch aus der jeweiligen Zeit darzustellen. Dies schien mir in Berlin durchaus am Ostersonntag für meine Jüngsten teilweise gelungen.

    „Verfaulende Gesellschaften“ einer Ruth Berghaus im Parsifal der 1980er-Jahre in Frankfurt würde ich da eher als etwas seltsam ansehen.

    Wenn ich musikalisch und optisch etwas moderneres erleben möchte, gehe ich zu Laurie Anderson.

    Wolfram Schwarz

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