Foto: © David Jerusalem
Siegfried und Schager, das scheint einfach organisch. Schagers Darstellung strotzt von Energie, ist dynamisch und sehr laut, ohne Ermüdungserscheinungen. Spielerisch wie sängerisch ist sein Siegfried ein Kraftprotz und ein Strahlemann.
Staatsoper Hamburg, 23. November 2018
Richard Wagner, Siegfried
Siegfried: Andreas Schager
Mime: Jürgen Sacher
Wanderer: John Lundgren
Alberich: Jochen Schmeckenbecher
Fafner: Alexander Roslavets
Erda: Doris Soffel
Brünnhilde: Lise Lindstrom
Waldvogel: Elbenita Kajtazi
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung: Kent Nagano
von Leon Battran
Siegfried, beherzt und bärenstark, fürchtet sich vor nichts und niemandem. Er ersticht den Drachen, badet sich in seinem Blut. Er setzt sich gegen seinen arglistigen Ziehvater zur Wehr, ja, trotzt sogar dem Stabe Wotans, durchschreitet die Feuerlohe und dann: trifft der in Sachen Fürchten Unbelehrbare zum ersten Mal auf ein Mädchen seiner Spezies. Das lässt ihm den Schrecken in die Glieder fahren! Da schwankt und schwindelt ihm der Sinn.
Von Mythos und Mystik ist im Hamburger Ring nicht mehr so viel zu spüren. Zumindest optisch scheint die Inszenierung von Claus Guth in einer tristen Jetztzeit angekommen. Eine bedrückende Tristesse spricht aus dem Bühnenbild von Christian Schmidt. Siegfried wächst auf in der Trostlosigkeit einer ärmlich eingerichteten Einzimmerwohnung. Das Schwert Nothung bewahrt Mime in einer Plastikkiste unter dem Bett auf. An der Wand prangt ein Schild: „Hochspannung. Lebensgefahr.“ Gemütlichkeit geht anders.
Kein Wunder, dass der Junge zunehmend seine Herkunft hinterfragt und ausbrechen will. Claus Guth zeichnet von Wagners Heldengestalt ein eindrückliches Psychogramm. Siegfried ist ein übermütiger Hau-drauf, der mit Hieb- und Stichwaffen die Wohnung zerlegt. Er ist unterfordert, gelangweilt, nicht ausgelastet, verhaltensauffällig, wenn man so will. Aber derselbe Siegfried kümmert sich auch fürsorglich um seine Puppe und sehnt sich nach seinen wirklichen Eltern.
Die bröckelnde Weltordnung und die Machtgier nach dem Ring, die Schlechtigkeit der Gesellschaft, das alles geht ihn nichts an. Der dritte Teil von Wagners Operntetralogie ist eine Coming-of-Age-Geschichte. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen die Gefühle und Gedanken eines reinen Tors, der erwachsen werden muss.
Dieser Tor wird auf fabelhafte Weise verkörpert von Andreas Schager. Der 47 Jahre alte Tenor, der selbst auf einem Bauernhof in den niederösterreichischen Voralpen aufgewachsen ist, gehört seit einigen Jahren zu den gefragtesten Interpreten dieser Partie. Seit Schager 2014 als Einspringer-Siegfried an der Berliner Staatsoper der Durchbruch im Wagnerfach glückte, folgten Siegfriede, Parsifale und Tristans an renommierten Opernhäusern im In- und Ausland. Und auch in Hamburg enttäuscht Schager sein Publikum nicht.
Siegfried und Schager, das scheint einfach organisch. Schagers Darstellung strotzt von Energie, ist dynamisch und sehr laut, ohne Ermüdungserscheinungen. Spielerisch wie sängerisch ist sein Siegfried ein Kraftprotz und ein Strahlemann.
Diese Performance hat einfach Flair und Lebensgeist, wenn Schager seinen Siegfried mit zotteligem Haar und durchdrungen von Erfindergeist sein Schmiedelied schmettern lässt und dabei auf die glimmende Waschmaschine eindrescht. Und das trotz dem immens gedehnten Tempo, das Generalmusikdirektor Kent Nagano vorgibt. Ein erster Höhepunkt des Abends.
Große Ausstrahlung und Aura zeigte auch der Schwede John Lundgren in der Rolle des Wanderers. Die sonore Schwere seines Baritons baut ein Gegengewicht auf zum jugendlichen Elan in Schagers Darbietung und ist dabei nicht minder energetisch. Sein Gesang ist stets sauber und textverständlich. Voll und durchdringend im mittleren und höheren Register, im unteren Register eher kehlig und reich an Obertönen.
Jürgen Sacher, garstig, gierig und zwergig fies, lotete alle Facetten seines Mime aus und Jochen Schmeckenbecher verkörperte seinen Alberich mit der richtigen Portion Hässlichkeit als grantigen ausgestoßenen Saufkopf.
Im dritten Akt lässt Wagner endlich auch die Frauenstimmen zu ihrem Recht kommen. Weniger überzeugend war hier allerdings Doris Soffels Darstellung der Erda. Der Gesang der 70 Jahre alten Mezzosopranistin flatterte. Die Töne hatten zu wenig Kontur. Das tiefe Register sprach nicht richtig an.
Eine sehr solide Brünnhilde gab hingegen die US-amerikanische Sopranistin Lise Lindstrom. Die Kalifornierin geizte nicht am Vibrato, und die höheren Register mochten für manche Geschmäcker etwas spitz daher kommen. Die Schlusspassage „Ewig war ich, ewig bin ich“ sang Lindstrom jedoch herrlich fein und im besten Sinne unpathetisch, sodass man sich wunderbar in die Musik hineinträumen und darin vergessen konnte.
Das Philharmonische Staatsorchester unter Kent Nagano sorgte für zahlreiche dieser besonderen Wagnerschen Klangmomente. Vor allem im dritten Akt schien die Balance innerhalb des Orchestergrabens und auch im Zusammenspiel mit den Sängerinnen und Sängern zu stimmen. Das Orchester ließ fortwährend schöne Tuttiklänge erblühen, aus denen vor allem die Streicher leuchtend hervorstrahlten. Gerade die kammermusikalischen Momente in der Partitur wollten aber im Laufe des Abends nicht immer gut gelingen. Hier und da fehlte es an klanglicher Homogenität und präzisen Einsätzen.
Leon Battran, 24. November 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Inszenierung: Claus Guth
Bühnenbild und Kostüme: Christian Schmidt
Licht: Michael Bauer
Dramaturgie: Hella Bartnig