Tannhäuser in Bayreuth: Nathalie Stutzmann vereint Orchester und Bühne zu einer musikalischen Seele

Richard Wagner, Tannhäuser  Bayreuther Festspiele, 20. August 2023

Nathalie Stutzmann, Foto: Stephanie Slama

Selten hat eine Tannhäuser-Aufführung dermaßen bewegt und berührt. Klaus Florian Vogt jongliert die Titelpartie mit links und korrigiert nebenbei noch einige Versehen der Regie.  Ekaterina Gubanovas Gesang sprengt nahezu alle bisher gesetzten Venus-Standards, Nathalie Stutzmann vereint Orchester und Bühne zu einer musikalischen Seele.

Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 20. August 2023

Tannhäuser
Musik und Libretto von Richard Wagner

von Peter Walter

Man sieht es ihm an. Tannhäuser sitzt im Bus und soll singen – „Stets soll nur dir mein Lied ertönen“ wortwörtlich hinter einer Glasscheibe. Damit ist er nicht zufrieden. Lange hält er es nicht aus, mitten im Lied büxt er aus seinem akustischen Käfig einfach aus und ruft „Nach Freiheit dürste ich“ lautstark aus seinem heruntergekurbeltem Autofenster ins Publikum. Als hätte er die Inszenierung einfach satt und würde die Regie nun selbst in die Hand nehmen. So singt man einen freiheitshungrigen Tannhäuser!

Noch nie hat ein Sänger diese Partie dermaßen klar artikuliert, kräftig und gleichzeitig mühelos gesungen wie Klaus Florian Vogt. Wo andere schon im Venusberg mit den hammerschweren Höhen kämpfen, packt er die Rolle viele Stunden später mit links als würde er einem Bären auf die Pfote klatschen. Die Pilgerfahrt nach Rom hat ihn nicht kaputt gemacht, nein, sie hat ihm erst die Kraft gegeben, nun so ganz nach Wagnerianischer Lust und Laune sich mit nasaler Stimme über diesen Dämon namens Papst lustig zu machen. Einer der vielen genialen Regie-Einfälle des weltbesten Tannhäusers!

Nicht, dass man bei Tobias Kratzers bunter Inszenierung in irgendeiner Weise an Langeweile denken könnte. Viel wird gelacht, viel geklatscht und das ist auch gut so. Die Leute sind begeistert und stürmen en Masse die Plätze im Festspielhaus – als einer der wenigen Werke war die Ticket-Ampel im online-Shop beim Kratzer-Tannhäuser fast kontinuierlich stets auf Rot.

Nur ist diese Inszenierung nach wie vor von Missverständnissen und Fehlinterpretationen der Handlung geprägt. Der Sängerkrieg spielt wortwörtlich auf der Bühne des Festspielhauses, Theater im Theater also. Sorry, Herr Kratzer, diese Handlung ist leider ernstes Geschehen und kein Schauspiel! Sonst müsste Tannhäuser wohl kaum nach Rom pilgern… Und kann mir mal bitte erklären, was Elisabeth im Venus-Bus – und somit eigentlich im Reich der Göttin der Liebe – macht? Und warum ich mich jetzt mit einer Mörderin sympathisieren soll, wenn die Venus einen Polizisten überfährt? Oder sollen meine Sympathien etwa dieser erzkonservativen Rittergesellschaft gelten?

Tannhäuser 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Egal, die Darbietung der Venus sprengt nahezu alle bisher gesetzten Standards in dieser Partie. Ihr allumschlingender Mezzo klingt ebenso extrovertiert wie die von der Regie gestalteten Rolle, schauspielerisch tanzt sie über die Bühne als wäre sie völlig frei im Genießen. Und was für einen furiosen Lauf nach ganz oben macht diese Sängerin derzeit durch: Schien sie die letzten Jahre mit der Venus noch gut gefordert, beherrscht sie diese Rolle mittlerweile wie eine allmächtige Liebes-Göttermutter! Zurecht bekommt sie donnernden Applaus!

Den gibts auch für Markus Eiches überaus brillanten Wolfram von Eschenbach. Jede einzelne Zeile des Minnesängers singt er wie eine Lehrstunde des Liedgesangs. Seine Stimme segelt sanft über den holden Abendstern, siegessicher tritt er im Sängerkrieg gegen seine Konkurrenz an. Er liebt Elisabeth, spricht von der fliehenden Hoffnung seiner Träume als er sie mit Tannhäuser sieht. Und doch singt er einfach vor sich hin und akzeptiert, dass Elisabeths Geliebter nun mal Tannhäuser heißt.

Günter Groissböck herrscht mit klarer Textverständlichkeit und majestätischer Stimmstärke als Landgraf über sein Thüringer Volk. Stets findet er deutliche Worte für seinen Willen und greift mächtig in die Saiten seiner Stimme! Sein Jubelruf für des deutschen Reiches Majestät klingt dermaßen kämpferisch, da kann man nur hoffen, dass er das nicht wirklich auch glaubt. Ein bärenstarker Bietrolf (Ólafur Sigurdarson) und ein über alle Stimmen hinweg schwebender Walther von der Vogelweide (Siyabonga Maqungo) bringen den Gesangswettstreit auf ein himmlisches Niveau. Julia Grüter strahlt als Hirtensopran hell wie die Maisonne, unter der sie lustig die Schalmei spielt.

Und zu guter Letzt grüßt auch Elisabeth Teige mit innerlicher, doch zutiefst ausdrucksstarker Stimme voller Freude ihre geliebte Halle. Leidenschaftlich fleht sie für das Leben ihres Geliebten, da liegt das halbe Publikum in Tränen. Eine charakterlich eher zurückhaltende Landgraf-Nichte, umso mitreißender ihre höchst dramatischen und emotionalen Melodien.

Doch die wohl dickste Überraschung dieser Produktion spielt im Graben. Unter der Leitung der Bayreuth-Dirigatsdebütantin Nathalie Stutzmann schwebt das Orchester über Italiens holde Auen und flitzt wie ein flirrender Bienenschwarm in den Venusberg hinein. Man spürt es: Ihr Orchester atmet mit jedem Zug der SängerInnen mit, sie vereint Bühne und Graben zu einer Seele. Der Chor scheint daran richtig Spaß zu haben und feiert den Fürsten mit ganzer Leidenschaft. So fein ausgefeilt wird selbst ein Christian Thielemann den Tannhäuser nur selten dirigieren. Einzige Sache: Bei den Hornrufen im ersten Akt war stets ein nicht in der Partitur vorgesehener Liegeton zu hören. Eigentlich sollten die Bayreuther Hörner nicht mit Stützrädern blasen müssen…

Selten habe ich so einen berührenden und bewegenden Tannhäuser gesehen. Und bei all meiner Kritik an dieser Regie schaue ich mir auch lieber diese etwas absurde, aber spannende Inszenierung an als ein Otto-Schenk-Museumsstück! Aber es wundert mich immer wieder, dass das Bayreuther Publikum mit dieser Regie viel gnädiger ist als mit dem Schwarz-Ring. Oder ist die Musik etwa so überragend genial, dass die zahlreichen unerklärlichen Mysterien dieser Inszenierung an einem vorbeisegeln? Gut möglich…

Peter Walter, 21. August 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Tannhäuser, Musik und Libretto von Richard Wagner Bayreuther Festspiele, 28. Juli 2023

Richard Wagner, Tannhäuser Bayreuther Festspiele, 28. Juli 2023

Richard Wagner, Tannhäuser Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 24. August 2022

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