Foto der Vorstellung vom 11. November 2017 © Bettina Stöss
Für alle Tannhäuser-Fans gilt im Mai: Hier, in der Bismarckstraße, spielt die Musik.
Deutsche Oper Berlin, 26. Mai 2022
Tannhäuser
Musik und Libretto von Richard Wagner
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Chor der Deutschen Oper Berlin
Nicholas Carter, Dirigent
Was war das für ein herausragender Tannhäuser. Die Hauptrollen in Höchstform, eine spannende Inszenierung, die Chöre kräftig wie sonst nie… Da muss sich Bayreuth warm anziehen!
von Johannes Karl Fischer
Elisabeth Teige ist die neue Königin der Venuse- UND Elisabeths. Am Anfang die tiefere Mezzo-Lage, warm, dunkel, farbenfroh… rührend. Nach der Pause soll sie also Sopran singen… was, wenn das schief geht? Aber sie wurde immer besser. Je höher im Sopran-Register, desto strahlender ihre Stimme. „Dich teure Halle, grüß ich wieder“, so viel Gänsehaut im Publikum kriegen selbst viele Vollzeit-Sopranistinnen nicht hin. Wie Tanja Ariane Baumgartner und Lise Davidsen in einer Stimme.
Die zweite Hälfte ihrer Doppel-Rolle auszuklammern, wäre nichts anders als eine Herabwürdigung ihrer überragenden Leistung. Bei den melancholischen Stellen „Ich fleh für ihn“ musste man weinen wie sonst nur bei Butterfly. Ihr liegt der Venus-Mezzo, der dramatische wie auch der melancholische Elisabeth-Sopran wie eine glatte Eins. Lange habe ich mir Sorgen gemacht, weil Asmik Grigorian nicht auf dem diesjährigen Bayreuth-Spielplan steht. Aber das ist eine mehr als würdige Nachfolgerin der Ausnahme-Senta vom letzten Jahr.
Und Stephen Gould ist zurück in alter Form! Hatte man ihn vor einem Jahr über dem Zenit seine Karriere gesehen, sind diese Sorgen wie vom Erdboden verschluckt. Sein Tannhäuser kämpfte wieder von Anfang bis Ende, mit heldenhafter Kraft und viel Vibrato. Der anti-Vogt; wen man nun besser findet, ist Geschmackssache. Gegen diese Elisabeth musste er auch kämpfen, sonst wäre er untergegangen. Und er wurde müde, das merkte man. Tristan, Tannhäuser und Götterdämmerung-Siegfried in 6 Wochen: Das wird heftig. Mal sehen, ob er das schafft; ich habe bis jetzt nur skeptische Stimmen gehört.
Mit glasklarer Textverständlichkeit ragte Günther Groissböcks kraftvolle Stimme wie ein Stalaktit über die der Dichter hinaus. Vor allem sein Duett mit Elisabeth im zweiten Akt klang – ich wage es zu sagen, obwohl Wagner mich dafür wahrscheinlich aus Bayreuth verbannt hätte – wie ein Rezitativ. Nochmal eine Stufe besser als Zeppenfeld.
Thomas Johannes Mayers sang einen – passend zu Gould – außerordentlich kämpferischen Wolfram von Eschenbach. Allerdings fiel Meyers Stimme – vor allem im höheren Register – durch ein etwas fast übertriebenes Vibrato aus. Vielleicht liegt ihm das tiefe Register einfach besser? Bässe, die Bariton-Rollen singen, gibt’s ja genug – Pape hat sogar mal die Eschenbach-Arie eingesungen –, könnte das vielleicht auch andersrum funktionieren?
Die kleineren Rollen – v.a. Clemens Biebers Walter von der Vogelweide – waren außergewöhnlich stark besetzt. Auch von Valeriia Savinskaia (Hirt) möchte man sehr gerne mehr hören. Leider ist ihre Intonation im Laufe ihres a-cappella-Solos etwas nach oben gerutscht. Fiel aber kaum auf, denn das Englischhorn hat die Pause zwischen dem Hirtengesang und dem anschließenden Instrumentalsolo etwas gedehnt. Eine sehr elegante Lösung des Dauerproblems bei a-cappella-Soli.
Aus dem Orchestergraben kam – vor allem von rechts, also von den Bläsern – ein sehr saftiger Klang. Die Streicher klangen süß, gar edel, fast etwas zu weich. 12 erste und 12 zweite Violinen saßen im Graben, 16/16 wäre vielleicht besser gewesen gegen dieses Bläser-Chor Stahlwerk. Platz im Graben war noch genug.
Donald Runnicles’ Dirigat war am Anfang etwas hektisch; an einigen Stellen wackelte es ein wenig zwischen Bühne und Graben. Im dritten Akt – mit seinen vielen Orchester-Sternstunden – hatte er wieder den richtigen Zug gefunden, die Klarinetten und Flöten-Nachahmungen des Eschenbach-Liedes lyrisch in sanfter melodischer Linie.
Sehr begeistert war ich auch von Kirsten Harms’ Inszenierung. Die Sängerfest-Dichter in mittelalterlicher Ritter-Rüstung, als wäre man wieder im Mittelalter. Der letzte Akt dann im Siechenhaus – so laut Programmheft-Interview mit der Regisseurin. Das Pilgern ist also – laut dieser Inszenierung – sinnlos, weil der unvermeidliche Tod eines jeden Menschen sowieso irgendwann eintreten wird. Sehr spannend, vor allem vor dem Hintergrund Wagners Religionskritik. Übrigens musste auch Kirsten Harms sich in ihrer Amtszeit als Intendantin mit den heutigen Blasphemie-Gesetzen auseinandersetzten – Auslöser war bekanntlich eine Hans Neuenfels Idomeneo-Inszenierung.
Und das beste zuletzt: Der Chor. Als solle der Ruf im zweiten Akt nicht nur im Saal, sondern bis zum Stadtderby-Gegner an der Lindenoper erschallen! Die Pilger-Szene: „gesegnet, wer im Glauben treu“ klang wie in einem grandiosen Dom, wo auch die hervorragenden Bühnenakustik dieses Hauses mitspielte.
Die Szenen waren so üppig besetzt, dass man sich gefragt hat, wie viele Extrachöre eigentlich tätig waren. Aber das braucht man bei Wagner auch. Mit so viel Klang und Leidenschaft wird auch in Bayreuth nicht gesungen. Mächtig bravo und bravi Rufe wie sonst an keinem Haus. Und das absolut verdient. Bitte, Herr Bines, lassen Sie die Meistersinger-Chöre in zwei Wochen mit genauso viel Einsatz singen wie heute!
Leider waren – vor allem in den Rängen, aber auch im Parkett – noch viel zu viele Plätze frei. Liebes Berliner Opern-Publikum, liebe Wagner-Fans, jedes Jahr gehen zigtausende von euch in Bayreuth leer aus, weil ihr einfach nicht alle ins Festspielhaus reinpasst. Wo bleibt ihr? Dieser Tannhäuser war mindestens genauso gut wie auf dem Grünen Hügel. Für alle Tannhäuser-Fans gilt im Mai: Hier, in der Bismarckstraße, spielt die Musik.
Johannes Karl Fischer, 27. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tannhäuser (Premiere) Staatsoper Hamburg, 24. April 2022
Richard Wagner, Tannhäuser, Staatsoper Hamburg, 24. April 2022 PREMIERE
Kammerkonzert der Symphoniker Hamburg, Laeiszhalle Hamburg, Kleiner Saal, 22. April 2022