Die Berliner erweisen Kirsten Harms’ Tannhäuser die letzte Ehre

Richard Wagner, Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf der Wartburg  Deutsche Oper Berlin, 2. November 2025

Fotos der Vorstellung vom 11. November 2017 © Bettina Stöss

Als Kirsten Harms, Intendantin der Deutschen Oper Berlin von 2004 bis 2011 und Regisseurin des Abends, zum Schlussapplaus auf die Bühne ihrer früheren Wirkungsstätte kommt, stehen die ohnehin bereits den Sängerstars des Abends zujubelnden Berliner von ihren Plätzen auf. Das Zeichen ist deutlich: Wir wollen hier zumindest einige der alten und bewährten, immer wieder gern gesehenen Inszenierungen behalten. Meine Sitznachbarn und Pausenbekanntschaften sprechen allesamt die Sorge an, dass mit der neuen Intendanz ab 2026/2027 die alten Inszenierungen sämtlich verschwinden werden.

Richard Wagner
Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf der Wartburg

Romantische Oper in drei Aufzügen (Dresdner Fassung)

Deutsche Oper Berlin, 2. November 2025

Musikalische Leitung  Axel Kober

Inszenierung  Kirsten Harms
Bühne, Kostüme, Licht  Bernd Damovsky
Chöre  Jeremy Bines

 Tannhäuser  Klaus Florian Vog

Venus/Elisabeth  Camilla Nylund
Landgraf Hermann  Tobias Kehrer
Wolfram von Eschenbach  Thomas Lehman
Walther von der Vogelweide  Kieran Carrel
Biterolf  Michael Bachtadze
Hirt  Nina Solodovnikova

 Orchester, Chor, Extrachor und Statisterie der Deutschen Oper Berlin

von Sandra Grohmann

 Die letzte Aufführung des Tannhäuser in der bildgewaltigen Einrichtung von Kirsten Harms ist durch den zartschmelzenden Tenor von Klaus Florian Vogt, die makellose Stimmführung Camilla Nylunds und durchweg charakterstarke Stimmen der in voller Rüstung auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin geschickten Ritterschaft geadelt.


Das Haus ist nahezu ausverkauft, viele Besucher nehmen Abschied von einer Inszenierung, die sie oft erlebt und geschätzt haben: Einer Inszenierung, die mit dem klischeehaften Heilige-gegen-Hure-Stoff behutsam umgeht und ihn trotzdem zeitgenössisch liest. Die mittelalterliche Jungbrunnen- und Fegefeuer-Bilder eindrucksvoll in Szene setzt und mit den fast allgegenwärtigen, aus dem Schnürboden schwebenden Ritterrüstungen für die Enge der patriachalen Welt auf der Wartburg in eine so simple wie einleuchtende visuelle Übersetzung findet.

Man hofft nur, dass die Rüstungen sängergerecht gebaut sind. Einengen und Singen sind nun einmal Gegensätze. Aber die Leistung der dem Ensemble der Deutschen Oper Berlin entstammenden Ritterschaft spricht dafür. Dieses Haus hat über die Jahre ein Ensemble aufgebaut, das hochkarätige Repertoire-Aufführungen ermöglicht. Unterstützt wird es vom preisgekrönten Chor des Hauses. Möge beides noch lange gepflegt werden. Mögen zukünftige Intendanzen die erhaltenswerten Traditionen achten.

 Dass dies nicht selbstverständlich ist, deutet sich derzeit auch im Orchester an, dem ab dem Ruhestand von Sir Donald Runnicles kein Generalmusikdirektor mehr vorstehen wird. Stattdessen soll es von einem Trio geführt werden. Das macht sich heute natürlich noch nicht bemerkbar.

Fotos der Vorstellung vom 11. November 2017 © Bettina Stöss

Aus dem Orchestergraben erklingt unter der Leitung von  Axel Kober der zarteste, durchsichtigste, zurückhaltendste Wagner, den man sich vorstellen kann. Nun ist der Tannhäuser ja ohnehin durch eine Zurückhaltung des Orchesters geprägt, wie man sie sonst mit Wagner typischerweise nicht verbindet: Dem Komponisten haftete schon zu Lebzeiten das Krachmacher-Etikett an. Sein Tannhäuser taugt dem nicht zum Beweis. Und Kober differenziert die Partitur so aus, dass Pastelltöne, das Aquarellhafte und die vielen Schichten zarter Ölmalerei zum Vorschein kommen. Wo sich ihm die Gelegenheit bietet, singt es selbst mit und unterstützt das Geschehen auf der Bühne durch wunderbare Kantilenen. Nicht einen Moment übertönt das Orchester der Deutschen Oper Berlin die Sänger.

Das liegt natürlich auch daran, dass wir uns starker Stimmen erfreuen dürfen. Vogt glänzt mit seiner berühmten hellen, weichen Stimme, die in meinen Ohren mit den Jahren an Fülle durchaus gewonnen hat und ein purer Ohrenschmaus ist. Camilla Nylund meistert ihre Doppelrolle als Venus/Elisabeth scheinbar mühelos, der Wechsel vom Mezzo zum Sopran gelingt, als wäre er eine alltägliche Aufgabe. Dass die Stimmen dieses Bühnenpaares bis in die letzte Ecke der mit einer erholsamen Akustik gesegneten Deutschen Oper dringen, nimmt man schon fast als selbstverständlich und ist auch vom fortschreitenden Bühnenalter nicht gemindert. Zu Recht werden beide vom Publikum bejubelt.

Das gilt nicht minder für die Ritterschaft. Strahlend Kieran Carrel als Walther von der Vogelweide – ein klassischer Tenor mit ungeheuer breitem Einsatzgebiet vom Tamino bis zum Erik. In unerfüllter Liebe leidend Thomas Lehmans Wolfram mit seinem zärtlich-warmen Bariton. Tobias Kehrers eher hell gefärbter Bass gibt einen empathischen Hermann ab.

Fotos der Vorstellung vom 11. November 2017 © Bettina Stöss

Einspringerin Nina Solodovnikova schließlich bietet uns den Hirten anrührend aus der Tiefe der Bühne und machte vergessen, dass da überhaupt ein Bühnenbild ist, eine einsame Wanderin zwischen den Welten.

Wir wollen nicht verheimlichen, dass der Abend auch kleinere stimmliche Wackler bereithält. Das schreiben wir dem Reiz von Live-Aufführungen zu, die eben nicht ganz glatt sind. Es spricht für die Zuhörerschaft und nicht gegen sie, dass sie uneingeschränkt jubelt und kleinen Kratzern kein Gewicht beimisst. Kirsten Harms durfte sich zu Recht noch einmal mitfeiern lassen, und wir verabschieden diese Inszenierung zwar ungern, aber immerhin in Ehre und Glanz.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert