Es ist eben “The Rhinegold” und nicht „Das Rheingold“, was die English National Opera ENO auf die Bühne des spektakulären London Coliseum brachte: Es ist nicht nur die konsequente Weiterführung der ENO-Tradition, sämtliche Opern in englischer Übersetzung (und nicht wie die nahegelegene Royal Opera in Originalsprache) aufzuführen. Die ENO präsentiert uns hier eine eigenwillige, schrille, aber auch unbestreitbar humorvolle Interpretation des „Vorabends“ von Wagners „Ring“-Tetralogie. John Deathridge, der höchst kompetente Übersetzer dieses Werkes ins Englische, stellt denn auch im Programmheft fest: „Rheingold“ ist zugleich Farce und Tragödie. Diese Neuinszenierung des vielfach preisgekrönten Star-Regisseurs Richard Jones wird beidem gerecht – dem grotesk-komischen und dem immens tragischen dieser Oper. Musikalisch ausgezeichnet nicht nur die (allerdings etwas temperamentlose) Stabführung des Musikdirektors der ENO, Martyn Brabbins, mit dem bewährten ENO Hausorchester, sondern auch die stimmlichen Leistungen. Geradezu atemberaubend der abgrundtiefe Bass-Bariton des Kanadiers John Relyea (Wotan), berückend der amerikanische Tenor Frederick Ballentine – um hier eingangs nur zwei der durchwegs ausgezeichneten Sänger dieser Produktion zu erwähnen.
Richard Wagner “The Rhinegold” (Text und Musik)
Englische Übersetzung: John Deathridge
English National Opera, 4. März 2023
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)
Dass diese Inszenierung nicht wie sonst immer mit dem zutiefst unheimlichen, aus dem Nichts, dem Dunkel, den Urtiefen des Schöpfungsaktes kommenden und langsam anschwellenden E-Moll-Akkord beginnt, sondern mit einem kurzen, dreiteiligen szenisch-stummen Vorspiel, war arg gewöhnungsbedürftig: Man sieht einen erst nackten, dann zunehmend wie ein steinzeitlicher Urmensch in Fell gekleideten Mann, der sich an einem Baum zu schaffen macht – je mehr der Mann zum zivilisierten, bekleideten Wesen wird, desto mehr wird der Baum zerstört. Was sich offenbar hier noch vor Beginn der eigentlichen Handlung abspielt, ist das Abschneiden des Astes von der Weltesche (die daran zugrunde geht), aus dem Wotan seinen so bedeutsamen Speer verfertigt. Das ist zweifellos eine Idee – aber sie vermindert leider den genialen Effekt des Beginns, so wie ihn Wagner gewollt und komponiert hatte. Das Publikum honorierte den (gründlich misslungenen) Regieeinfall mit höhnischem Gekicher – ein sehr deutliches Verdikt der Zuschauer.
Fitness-Studio und Bunraku
Ebenso irritierend ging’s dann weiter: Die drei Rheintöchter in knallfarbenen, unvorteilhaft hautengen Kostümen – gerade so, als ob sie soeben aus dem Fitness-Studio entwichen wären. Aber es folgen einige durchaus gelungene und ziemlich witzige Gags: Beispielsweise die überdimensionierten Pingpong-Bälle in der himmlischen Welt der Götter, die wahrscheinlich Wolken verkörpern sollen und die sich auch langsam und allmählich über die Bühne schieben, wie es eben Wolken am Himmel auch tun. Und Alberich, der sich, angestachelt von Wotan und dem listigen Loge, in einen immer größeren Drachen verwandelt – eine Puppe, die dem Sänger übergestülpt wird. Und wenn den Göttern die von den beiden Riesen in Geiselhaft gehaltene Freia, Garantin der ewigen Jugend, abhanden kommt, vergreisen sie umgehend und überqueren, sich an Wotans Speer klammern, mit grotesken Greisenmasken die Bühne – urkomisch.
Originell die Darstellung des Goldschatzes als fette, fast bewegungsunfähige Bunraku-Puppe, manipuliert von Puppenspielern in schwarzen Kimonos und Kapuzen, genau in der Tradition des traditionellen japanischen Theaters. Der szenische Höhepunkt dieser Inszenierung war unbestreitbar das Schmieden des Ringes in der unterirdischen, von Rauch und Dämpfen durchsetzten Werkstatt der Nibelungen als einem Heer unterdrückter Sklaven. Aber wenn man sich all dies vor Augen führt – „eklektisch“ ist eher freundlich formuliert, vielleicht wäre „beliebig“ passender…
So richtig schön der Regenbogen am Schluss von „Rhinegold“: Farbiger Flitter rieselt in Regenbogenfarbe auf die Bühne herab – im Gegensatz zu manch anderem in dieser Inszenierung beeindruckend und gelungen.
Exzellente Stimmen
Unter den durchwegs sehr guten Sängerinnen und Sängern ragt Loge (Frederick Ballentine) als charismatischer Darsteller mit nuancenreicher, gewinnend warmer Tenorstimme hervor; die Erda der geradezu elektrisierenden Mezzosopranistin Christine Rice, vor allem aber der sonore Bass-Bariton des Wotan von John Relyea. Als facettenreicher, geradezu manisch agierender Bösewicht mit bemerkenswert leichter Bariton-Stimme Leigh Melrose. Die beiden Riesen Fasolt (Simon Bailey) und Fafner (James Creswell) profilierten sich durch stimmliche Klarheit und verständliche Aussprache des ins Englische übertragenen Textes.
Durchaus sehr präzis aber leider ziemlich temperamentlos das große Orchester unter der Stabführung von Martyn Brabbins.
Dr. Charles E. Ritterband, 4. März 2023, für klassik-beigeistert.de und klassik-begeistert.at
Regie: Richard Jones
Dirigent: Martyn Brabbins
Bühne: Stewart Laing
Wotan: John Relyea
Fricka: Madeleine Shaw
Freia: Katie Lowe
Alberich: Leigh Melrose
Mime: John Findon
Froh: Julian Hubbard
Donner: Blake Denson
Erda: Christine Rice
Loge: Frederick Ballentine
Fasolt: Simon Bailey
Fafner: James Creswell
Woglinde: Eleanor Dennis
Wellgunde: Idunnu Münch
Flosshilde: Katie Stevenson
Georges Bizet, Carmen English National Opera, 1. Februar 2023
My Fair Lady, Frederick Loewe Musik/ Alan Jay Lerner Libretto English National Opera 24. Mai 2022
Wolfgang Amadeus Mozart, Cosí fan tutte, English National Opera, London Coliseum, 20. März 2022
Sorry, werter Herr Dr. Ritterband, aber Das Rheingold beginnt genau wie The Rhinegold mit 136 Talkten in Es-Dur – worüber uns schon Loriot in seiner trefflichen Kurzfassung des Rings informierte.
Prof. Karl Rathgeber