Tristan und Isolde, Lübeck © Jochen Quast
Gleich mehrere Rollendebüts und ein Dirigat-Debüt, eine der anspruchsvollsten Opern überhaupt und das in grandioser Qualität – das schafft das Theater Lübeck mit Wagners „Tristan und Isolde“. Die Premiere am 2. Februar 2025 war ein absoluter Erfolg, der das Publikum von den Stühlen riss. Aber ist diese Oper, die Richard Strauss „die höchste Erfüllung der 2000-jährigen Entwicklung des Theaters“ nannte, das Werk eines Kiffers?
„Tristan und Isolde“
Musikdrama in drei Akten von Richard Wagner
Theater Lübeck, 2. Februar 2025 PREMIERE
Lena Kutzner, Sopran
Ric Furman, Tenor
Marlene Lichtenberg, Mezzosopran
Steffen Kubach, Bariton
Rúni Brattaberg, Bass
Noah Schaul, Tenor
Stefan Vladar, Dirigent
Stephen Lawless, Inszenierung
Herren des Chores und Extrachores des Theaters Lübeck
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
von Dr. Andreas Ströbl
Richard Wagner und die „indischen Zigaretten“
„Herr Wagner hat schon seit einigen Tagen an Atmungsbeschwerden gelitten. Dann wurde indischer Hanf angezündet, der einen wohlriechenden, süßen Dampf verbreitete. Er hatte sich das so angewöhnt, daß er eigentlich nur noch komponieren konnte, wenn der indische Hanf seine schönen dicken Wolken machte. Wenn man dann nach dem Komponieren in das Musikzimmer kam, um die Fenster aufzumachen, wurde einem ganz schwummerig davon zumute.”, so Wagners Dienstmädchen.
Wir sind ja einiges von Wagner gewohnt, aber dass er auch noch Drogen konsumiert hat, dürfte vielen neu sein. Der Regisseur Stephen Lawless rekurriert in seiner Inszenierung im Jugendstiltheater der Hansestadt auf ebendiese Eigenschaft, die eher zu den sympathischeren des Komponisten gehört. So ist der Liebestrank hier eine Rauschdroge, nach deren Genuss die beiden Konsumenten erstmal entspannt in die Sessel fallen, um dann zu sehen, wie sie im Miteinander wirkt. Echte Erotik ist dabei nicht im Spiel, vielmehr die Suggestion des seligen Taumels und des Sich-Verlierens im Gefühl der Auflösung des eigenen Selbst.
Wer erlebt hat, wie in der Verschmelzung von zwei Leibern und Seelen sich das Ich relativiert und in einem diffusen beglückenden WIR die Begriffe Raum und Zeit nicht mehr gelten, weiß, dass man dazu keine Drogen braucht. Aber darum geht es in dieser Interpretation nicht, denn Tristan und Isolde sind gierig nach mehr von dem wirksamen Stoff. Davon gibt es reichlich im Holzkästlein von Isoldes Mutter, die unfreiwillig zur Dealerin der beiden Wahngesteuerten wird.
Und so ist das, was die Liebes-Junkies erleben, in der Tat ein Rausch, aber das Sich-Auflösen im geliebten Gegenüber und damit eine wirkliche Beziehung mit allem erotischen Drum und Dran bleibt Illusion, Traum, Wahn. Beider Frage „Ist es kein Traum?“ wird hier mit einem „Leider doch!“ beantwortet. Die echten und im wirklichen Leben bewährten Beziehungen in dieser Produktion mit körperlicher Nähe bestehen zwischen Isolde und Brangäne, vor allem aber ist die Freundschaft zwischen dem treuen, aufrichtigen Kurwenal und dem tödlich angeschlagenen Tristan innigst greifbar.
Isolde ist für den Sterbenden nur noch ein Traumbild, sie hängt dem imaginierten Ideal im „Liebestod“ in der traurigen Retrospektive nach; ein gemeinsames Ende gibt es hier nicht.
All das geschieht die drei Aufzüge hindurch im kaltblauen Bauch eines stählernen Schiffes, dessen eine in Blitzform gebrochene Wand sich je nach erlebter oder vorgestellter Distanz bzw. Nähe schließt oder auftut. Frank Philipp Schlößmann, der Bühne und Kostüme entworfen hat, lässt beim Aufbrechen eine Spalte im Boden gähnen, die un- oder schwer überbrückbare Distanzen symbolisiert. Falk Hampels wirkungsvoll eingesetztes Licht taucht je nach Atmosphäre alles entweder in blaukühles oder auch rötliches Schimmern, das für die aufflammende Liebe steht; dann wieder ist das Licht brutal-enthüllend weiß oder diffus-grünlich. Zugegeben, das ist jetzt alles nicht wirklich hochoriginell; allein die Eisschollen im dritten Aufzug, die sich hinter dem Riss stapeln, sind ein ikonographisches Schmankerl für Kunsthistoriker, die wissen, dass hier Caspar David Friedrichs „Eismeer“ zitiert wird, das ja auch „Die gescheiterte Hoffnung“ heißt.
Reifste künstlerische Leistungen
Die Inszenierung lebt von den fast durchweg großartigen Solisten mit bei allen einwandfreier Textverständlichkeit, einer hingebungsvollen Personenregie und der vom Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck unter Leitung von GMD Stefan Vladar mit größter Verve, aber auch subtilem Gespür für die ganz zarten Töne gespielten Musik, die zwischen sattem Wagner-Rauschklang und kammermusikalischer Intimität changiert. Für diese hingebungsvolle Umsetzung der seelenvollen Partitur auf höchstem Niveau gibt es zu Beginn der Aufzüge Zwei und Drei schon zahlreiche Bravo-Rufe. Vladars erster „Tristan“ ist ein reifer, weil von detaillierter Kenntnis geprägt, und ein frischer, weil so unmittelbar und leidenschaftlich wiedergegeben.
Die „Isolde“ von Lena Kutzner als kometenhaft strahlend zu beschreiben, ist bedingungslos angemessen. Ihr Rollendebut gerät zu einem triumphalen Flug durch all die Emotionen von rasendem Zorn über heißestes Sehnen bis zur seligen Verklärung. Völlige, mühelose Sicherheit in den Höhen und ein phantastisch mitreißender Ausdruck prägen – unter anderem – diese Glanzleistung. Bei ihrem „Tod uns beiden!“ gefriert einem das Blut in den Adern. Bravissima, Lena – wann sehen wir dich in Bayreuth?
Ihr zur Seite in jeder Hinsicht steht, leidet und schmachtet Ric Furman, ein buchstäblicher Heldentenor. Auch für ihn ist es der erste „Tristan“, den er aber mit größter Selbstverständlichkeit mit klarer und leuchtender Stimme singt, vor allem aber darstellt. Der dritte Aufzug dieser Oper kann schon mal sehr lang werden und man leidet mit dem Helden beim mühevollen Warten auf das ersehnte Schiff. Furman aber gestaltet die Rolle des todkranken Tristan mit so viel glaubhaftem Schmerz, Sehnsucht und Hoffnung, dass vielen im Publikum aus Mitgefühl die Tränen kommen. Die beiden sind, das darf durchaus mal gesagt werden, auch optisch ein wunderschönes Paar.
Tristan ist nicht zu denken ohne seinen Getreuen Kurwenal, und Steffen Kubach verleiht dem unerschütterlichen Freund tiefmenschliche und denkbar nahe, anteilnehmende Gestalt. Kubach wird seit Jahren unterschätzt – natürlich ist er ein großartiger Komödiant, aber es ist endlich an der Zeit, ihm noch mehr von den ernsten Charakterrollen anzuvertrauen. Der Mann legt seinen ersten Kurwenal hin, als hätte er nie etwas anderes getan. Auf diesen Schultern lässt man sich gerne überallhin tragen.
Marlene Lichtenberg singt die Brangäne schon länger und macht die Vertraute Isoldes auch in Lübeck als ebenso standhafte wie mitfühlende Freundin erlebbar. Ihr wundervoll warmer, fülliger Mezzo eröffnet innige Anteilnahme und tiefes, freundschaftliches Mitgefühl. Die Szene, als sie, die Jacke über die Schulter geworfen, vor den beiden langsam in den Hintergrund entschwundenen Liebenden an der Bühnenkante entlanggeht, und ihr Mahnen sie nicht erreicht, ist von größter Schönheit – das ist tatsächlich ein bühnenbildnerisch wundervoller Einfall, und die Sängerin glänzt mit meisterhafter Grandezza.
Wiederum in einem Debut gleich in den Rollen Melots, des Hirten und des jungen Seemanns überzeugt Noah Schaul. Der junge Tenor gibt jeder Figur stimmlich und spielerisch glaubhaften Ausdruck, er zeigt, dass dies weit mehr als Nebenrollen sein können. Gerade sein Melot ist beängstigend fies.
Vor dem Beginn des zweiten Aufzugs wurde schon angesagt, dass Rúni Brattaberg beim Einsingen bemerkt hatte, dass er stimmlich angeschlagen sei und man Nachsicht üben möge. Sein Marke röhrte und gurgelte folgerichtig, wofür er am Ende anteilnehmenden Beifall erhielt. Hand aufs Herz, lieber Herr Brattaberg – ein erfahrener Sänger wie Sie merkt doch am Abend zuvor oder spätestens am Morgen der Aufführung, wenn man nicht auf der Höhe ist. Dann hätte die Leitung des Hauses rasch für Ersatz sorgen können. Der Bass hat sich, der Produktion und dem Publikum damit keinen Gefallen getan.
Viktor Aksentijević hat als Steuermann zwar kaum Text, aber auch der will klar und verständlich gesungen werden, ebenso, wie die Rufe der Seeleute und Krieger, die von den Herren des Chores und Extrachores des Theaters Lübeck unter Jan-Michael Krüger aus der Ferne schallen. Die Mannen Tristans und Markes agieren im dritten Aufzug wie bei einem indonesischen Schattenspiel im Hintergrund – eine stimmungsvolle, intelligente Lösung, ebenso wie die immer wieder von Andreas Beer auf die Schiffswand projizierten Meereswogen, Sinnbild der bewegten Seelen.
Das Ende des Dramas ist desillusionierend und in seiner eigenen Interpretation schlüssig. Tristan ist tot, ohne seine Geliebte nochmals in den Armen gehalten zu haben. Isolde ist der Realität entrückt und besingt ein Miteinander, das nie wirklich eine Chance hatte. Ob Liebestod, Verklärung oder nur Wahn – dieses Werk findet damit ein zu Herzen gehendes, sehnsüchtig-suchendes, leidvolles Ende. Bereits beim ersten Vorhang reißt es das komplette Publikum von den Sitzen und es gibt langanhaltenden, tosenden Beifall.
Dieser „Tristan“ ist für alle Liebhaber großer, meisterhaft umgesetzter Oper ein Muss! Wer jetzt nicht nach Lübeck fährt, hat wirklich etwas verpasst. Die nächsten Vorstellungen sind am 16. Februar sowie am 2. und 16. März.
Dr. Andreas Ströbl, 3. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel Theater Lübeck, 14. Dezember 2024
Georg Friedrich Händel, Semele Theater Lübeck, 23. November 2024