© Wolf-Dieter Grabner, Goldener Saal, Musikverein Wien
Respighi raus, Wagner und Brahms rein, so die Neuigkeiten im Musikverein. Trotz aller Vorfreude auf die Römische Trilogie gelang Christian Thielemann ein regelrechter Triumphzug mit Wagner und Brahms, gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern brachte er das emotionale Karussell mächtig ins Rollen.
Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann, Dirigent
Werke von Richard Wagner und Johannes Brahms
Musikverein Wien, 20. April 2024
Respighi raus, Wagner und Brahms rein, so die Neuigkeiten im Musikverein. Trotz aller Vorfreude auf die Römische Trilogie gelang Christian Thielemann ein regelrechter Triumphzug mit Wagner und Brahms, gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern brachte er das emotionale Karussell mächtig ins Rollen.
von Johannes Karl Fischer
Keine 48 Stunden vorher kam die Nachricht: Kirill Petrenko musste aus gesundheitlichen Gründen absagen, Christian Thielemann war spontan eingesprungen. Ganz im Stile des neuen Lindenoper-Chefdirigenten musste Respighis Römische Trilogie natürlich weichen, zugunsten was wohl? Brahms und Wagner, ist ja klar. Lohengrin und Tristan soll es sein.
Ein ganz klein bisschen war ich vielleicht enttäuscht. Mein Besuch der Römischen Pini und Fontane im September wäre ganz zufälligerweise die perfekte Vorbereitung auf die erste vollständige Aufführung von Respighis Rom-Trilogie in der Geschichte der Wiener Philharmoniker gewesen. Und bei dem nasskalten Aprilwetter vor dem Musikverein habe ich den musikalischen Italien-Ausflug mehr denn ein wenig vermisst…
Doch sämtliche Zweifel an diesem Programm lösten sich mit den ersten Streicherklängen des Lohengrin-Vorspiels völlig in Luft auf. Schwebend und wie in einer Traumfantasie – ganz zufälligerweise ein derzeit sehr beliebter Regie-Ansatz für Wagner-Vorspiele – flossen die Harmonien streichelnd in mein Ohr. Ein bisschen wie ein Erwachen im Alpenland, als würde man frisch von der Sonne geweckt auf einer noch mit Morgentau bedeckten Alm auf den sich langsam aufweichenden Nebel im Tal hinabschauend.
Wie ein Sog zogen einen die Philharmoniker in den Strudel dieser wunderbar mächtigen Musik. Schleichend erweiterte sich das Instrumentarium, spätestens, als das schwere Blech mit Pauken den Saal in ein klangliches Schwimmbecken verwandelte, strahlte die Sonne zu mindestens musikalisch in all ihrer Pracht im Musikverein. Leider löste sich dieser Spannungsbogen schon nach zwölf Minuten ebenso sanft auf, wie er eingesetzt hatte. Ob Herr Thielemann das in der Staatsoper auch so hinbringen wird?
Das anschließende Tristan-Vorspiel gelang den Philharmonikern mit einer ähnlichen Anziehungskraft, ganz langsam und punktgenau platzieren die Bläser den berühmten Tristan-Akkord. Auch hier kurbelte Thielemann stets die Spannung an, immer weiter, immer packender, wie ein emotionales Karussell, dass sich immer schneller zu drehen scheint. Der Liebestod ließ alle höchsten Emotionen der hier leider nicht präsenten Isolde durch den Raum fegen, da hätte sich auch glatt die prächtige Decke des Goldenen Saals zu einem sternenklaren Nachthimmel öffnen können.
Nach der Pause dann die zweite Sinfonie von Brahms. Thielemann machte in dieser Wörthersee-Sinfonie eine völlig neue Welt auf. Jeder einzelne Cello-Einsatz schwebte in der Luft wie ein Vöglein im Voralpenwald, mit dem berühmten Bratschen-Thema im Kopfsatz malte er in wenigen Takten ein Klangfarbenspektrum so bunt wie eine Kärntner Frühlingslandschaft.
Nach einem äußerst gesangsvollen Adagio und einem federleicht tanzenden dritten Satz stürzten sich Dirigent und Orchester nochmal richtig furios ins Finale. Da erklang eine ganz andere Dimension aus dem Anti-Wagner namens Brahms heraus, als diese symphonischen Klänge die Halle ebenso vollfüllten wie das packende Tristan-Vorspiel zuvor. Die weit leichtere und im Vergleich zu Wagner deutlich entspanntere Melodik ließen die MusikerInnen dennoch keinesfalls liegen, dieser Brahms war einfach eine namenlose, etwas dörflich im Charakter und dennoch spektakuläre Freude!
Ganz nebenbei begann man mitten in der Sinfonie ein leicht metallisches Tappen zu hören. Meine Platznachbarin und ich guckten uns verwundert an, weniger so über die offensichtliche Ursache dieses Geräusches als über die recht verdutzen Blicke am Orgelbalkon. Was das wohl sein mag? Anscheinend hatten einige BesucherInnen die teils sehr kräftigen Regenschauer aus dem Blick verloren. Irgendwie passte das aber auch zur Stimmung, die Philharmoniker lebten diese Musik mal wieder wie eine gänzlich menschliche Seele. Wenn es dann mal zu regnen anfängt, naja, das tut es am Wörthersee auch. Die Mutter Natur spielte bei diesem symphonischen Gesamtkunstwerk – ja, Brahms wäre mit diesem Begriff eher weniger zufrieden gewesen – eben auch ein bisschen mit.
Stürmische Bravorufe waren die logische Folge. Ein Orchesterwart versuchte, die in Bühnennähe sitzenden ZuschauerInnen darauf hinzuweisen, dass auch die Zeit für den Extra-Dirigenten-Applaus nun um sei. Alles zwecklos. Weil Thielemann auch mindestens sieben oder achtmal auf die leere Bühne kam, um sich von seinem treuen Wiener Fanclub feiern zu lassen. Musikalisch hatte er sich den Applaus aber auch in dieser Dimension mehr als verdient. Brahms 2 bekam eine gänzlich neue Dimension und fegte selbst die Dauerkonkurrenz namens Berliner Philharmoniker völlig vom Platz!
Und liebe Wiener Philharmoniker: Es wird höchste Zeit, dass ein Spitzenorchester der allerersten Liga die Römische Trilogie mal richtig zum Klingen bringt. Bitte holen Sie das Respighi-Programm nach!
Johannes Karl Fischer, 21. April 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Report: Ottorino Respighi, der Römer klassik-begeistert.de, 10. September 2023
Münchner Philharmoniker und Wiener Philharmoniker Musikverein Wien, 13./14. April 2024
Grüß’ Dich Johannes!
Der „Wiener Fanclub“ rund um Thielemann ist bekannt. Der ist aber kein Gradmesser. Egal, was der Kapellmeister anstellt, die toben auf alle Fälle.
Jürgen Pathy
Lieber Jürgen,
das ist mir bekannt und genau deswegen habe ich ja geschrieben, Thielemann hätte sich diesen Applaus „auch in dieser Dimension mehr als verdient.“ Also der Applaus war meiner Einschätzung nach trotz des offenbar nicht-neutralen Fanclubs gerechtfertigt.
Es gibt einige Thielemann-Aufnahmen aus Wien (z.B. Meistersinger aus der Staatsoper 2008) wo lautstark zu Beginn des Eingangsapplauses „Bravo“ gerufen wird. Natürlich ist sowas auch viel „Personenkult,“ aber irgendwie gehört das zur Stimmung dazu. So ein bisschen „anfeuern“, das tut der Musik gut, bei einigen Werken mehr denn bei anderen.
Viele Grüße aus Hamburg
Johannes Fischer